Dienstag21. Oktober 2025

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Richtungswahl in RumänienAm ultranationalistischen Präsidentschaftsanwärter Simion teilen sich die Geister

Richtungswahl in Rumänien / Am ultranationalistischen Präsidentschaftsanwärter Simion teilen sich die Geister
Nur noch zwei Kandidaten im Rennen: Wahlplakate für die Präsidentschaftsanwärter Simion und Dan auf einer der sieben offiziellen Wahlwerbetafeln in Cluj Foto: Thomas Roser

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Bei Rumäniens Richtungswahl zieht am Sonntag der Ultranationalist George Simion gegen den prowestlichen Nicusor Dan ins Rennen. Schlittert das EU- und NATO-Mitglied ins internationale Abseits oder bleibt es in der europäischen Spur? In der Boomstadt Cluj sind die Geister geteilt – wie im ganzen Land.

Die Schicksalswahl überschattet in Rumäniens Erfolgsstadt Cluj-Napoca (Klausenburg) selbst die Geschäfte. Er solle es sich nicht einfallen lassen, am Sonntag George Simion zu wählen, ermahnt am Piata Timotei eine Dame streng ihren Blumenverkäufer: „Wenn du Simion wählst, werde ich bestimmt nicht mehr bei dir kaufen. Was glaubst du denn, wer bei dir Blumen kauft? Die Wähler von Simion oder die von Dan?“

Bei Rumäniens Richtungs- und Schicksalswahl geht Simion, der Chef der ultranationalistischen AUR, als Favorit und mit 20 Prozent Vorsprung in das Stichwahlduell gegen seinen prowestlichen Rivalen Nicusor Dan. Schlittert das EU- und NATO-Mitglied nach der Präsidentschaftswahl ins internationale Abseits oder bleibt es in der europäischen Spur? In der Boomstadt Cluj sind die Erwartungen und Geister geteilt – wie im ganzen Land.

Er sei Rumäne und werde darum „sicher wählen gehen“, sagt der Blumenverkäufer Remus. Wen er wählen will, verrät er nicht. Doch nicht nur ein Anstecker in den Landesfarben, sondern auch seine Klagen über die Missstände im Land weisen ihn eher als Wähler des Nationalisten Simion denn als Anhänger des prowestlichen Dan aus.

In Rumänien machten die Politiker immer ihren Schnitt, doch keiner frage die einfachen Leute, wie sie mit einem Minimallohn von 3.500 Lei (685 Euro) ihre Familien unterhalten sollten, schnaubt Remus: „Ja, die Stadt sieht gut aus. Aber nur Millionäre haben hier ein feines Leben. Cluj ist voll von Menschen, die kaum über die Runden kommen.“

Für Minderheiten könnte es schwieriger werden

Hippe Cafés hinter gläsernen Fassaden: Die Bürotürme des „The Office Business Center“ oder „Record Park“ könnten auch in Frankfurt oder in Rotterdam stehen. Manche der Neubauprojekte halte er für mehr, andere für weniger gelungen und bei manchen sei auch Korruption im Spiel, sagt der bei einem deutschen Energieriesen beschäftigte Finanzbuchhalter Benjamin Czikle. Doch auch wenn er die Enttäuschung vieler Landsleute „verstehen“ könne, wäre die Wahl von Simion ein „Schritt zurück“: „Ich fürchte, dass er unser Land von der EU und der NATO abwenden und Russland annähern wird.“

„Wir Minderheiten werden mit Simion an der Macht zu leiden haben“: Der ungarischstämmige Finanzfachmann Benjamin Czikle (36) fürchtet eine Abkehr Rumäniens von Europa
„Wir Minderheiten werden mit Simion an der Macht zu leiden haben“: Der ungarischstämmige Finanzfachmann Benjamin Czikle (36) fürchtet eine Abkehr Rumäniens von Europa Foto: Thomas Roser

Auch als Angehöriger der ungarischen Minderheit fürchte er, „dass es mit Simion schwierig werden könnte, unser Leben so zu leben, wie wir das gewohnt sind“, sagt der 36-jährige Familienvater: „Seine ganze Karriere fußt auf seinen Hetzereien gegen die Minderheiten. Und falls er an die Macht kommen sollte, werden wir darunter als Erste zu leiden haben.“

„Respekt“ fordern die Poster mit dem Bildnis von Simion, die sich in der Parteizentrale der rechtsextremen AUR stapeln. Parlamentarier im fernen Bukarest habe er eigentlich gar nicht werden wollen, gesteht im Obergeschoss der AUR-Abgeordnete Ilie-Alin Colesa. Er habe sich 2019 der gerade neu gegründeten Partei angeschlossen, weil er deren Werte als gläubiger Christ und Rumäne teile. Als dem Parteineuling 2020 auf Anhieb etwas überraschend der Einzug ins Parlament gelang, rutschte der IT-Techniker als Nachrücker ins Parlament: „Wir waren damals einfach nicht so viele.“

Fünf Jahre später scheint sich der selbsterklärte Patriot noch immer nicht so recht an sein Volksvertreter-Dasein gewöhnt zu haben. Von seinem Laptop liest er etwas verlegen die Antworten auf die vorab angeforderten Fragen ab. Ja, seine Partei rechne mit einem Sieg von Simion und erwarte von ihren Gegnern „korrekte Fairness“: „Der Wille des Volkes muss respektiert werden.“

Nachbar Ungarn als warnendes Beispiel

Millionen junger Rumänen hätten auswandern müssen, „weil sie in der Heimat keine Arbeit und keine Wohnung zu einem korrekten Preis“ hätten finden können, erklärt Colesa die Unzufriedenheit seiner Landsleute. Es sei ein „absurder Witz“, dass Simion vorgeworfen werde, das Land in die Isolation zu führen, empört sich Golesa. Natürlich werde Rumänien in der EU und in der NATO verbleiben, versichert der AUR-Abgeordnete: „Aber wir werden EU-Mittel nicht für den Krieg, sondern für Krankenhäuser nutzen.“

Zwei Minuten auf Tiktok genügen, um mit einfachen Botschaften die Idee des Nationalstolzes zu verbreiten: Du bist Rumäne – und das ist genug.

Claudia Indreica, Geschäftsführerin eines Headhunterbüros

Im normalen Berufsleben fahndet Claudia Indreica nach Führungspersonal für Großunternehmen oder erstellt detaillierte Arbeitsmarktanalysen für Investoren und Ministerien. Doch nun ist es Rumäniens drohender Kurswechsel, der der Geschäftsführerin des Headhunterbüros „Psihoselect“ keine Ruhe lässt: „Die Lage steht auf der Kippe. Wir haben als Generation versagt, die den Kommunismus und die Diktatur noch erlebt hat.“

Das Bewusstsein, was Demokratie und Autokratie bedeute, sei bei den Jüngeren kaum entwickelt, klagt Indreica: „Zwei Minuten auf Tiktok genügen, um mit einfachen Botschaften die Idee des Nationalstolzes zu verbreiten: Du bist Rumäne – und das ist genug.“

Dabei sei das benachbarte Ungarn ein warnendes Beispiel, was mit einem Staat geschehen könne, der von der Demokratie in die Autokratie abdrifte: „Erst werden die Medien gegängelt, dann die Justiz unter Kontrolle gebracht und die Gewaltenteilung ausgehöhlt.“ Ungarn zeige auch, dass eine Autokratie nur bei einem „gewissen Wirtschaftsumfeld“ überleben könne: „Das bedeutet kein Wettbewerb, keine Kompetenzen und jede Menge Korruption.“

Zweitplatzierter hole „spürbar auf“

Aufgeräumt begrüßt im Büro der Antikorruptionspartei USR der Stadtrat George Trif seine Besucher. 20 Prozent Rückstand seien für den von der USR unterstützten Dan zwar enorm, aber „keine unmögliche Aufgabe“, versichert der 36-jährige Jurist: „Unseren Erhebungen zufolge holen wir spürbar auf.“

Neben der Hauptstadt war Cluj der einzige Wahldistrikt des Landes, in dem Dan bereits im ersten Wahlgang an der Spitze lag. Auch der hohe Akademiker- und Bildungsgrad sei dafür verantwortlich, dass Cluj als Wirtschaftsstandort „breiter aufgestellt“ sei als andere, sagt Florin Sabou, der Geschäftsführer von „Neotronik“ – einem auf die Automatisierung von Produktionslinien spezialisierten Unternehmen unweit des Flughafens.

„Europa ist unser einziges Geschäftsmodell.“ Der Unternehmer Florin Sabou (46) beklagt die zunehmende Orientierungslosigkeit der rumänischen Gesellschaft.
„Europa ist unser einziges Geschäftsmodell.“ Der Unternehmer Florin Sabou (46) beklagt die zunehmende Orientierungslosigkeit der rumänischen Gesellschaft.  Foto: Thomas Roser

In Stuttgart hatte der 46-jährige Ingenieur einst studiert und promoviert. 2016 ließ sich der Wahlschwabe von seinem Arbeitgeber mit seiner Familie in seine Heimat entsenden. 2020 wagte er den Sprung in die Selbstständigkeit. Doch nicht nur die durch die Pandemie, den Ukraine-Krieg und die verstärkte Konkurrenz aus China abgeschwächte Konjunktur macht ihm zu schaffen

„Wenn ich zu all den Halbwahrheiten, die mir per Facebook geschickt werden, sagen würde, was ich denke, würde ich die Hälfte meiner Freunde verlieren“, seufzt der Unternehmer. Ein rationaler Diskurs sei bei dem „Frust über die etablierte Politik“ kaum mehr möglich. Jeder habe eine „eigene Wahrheit“ und das Land „entwickle sich stets weiter auseinander“: „Es ist eine orientierungslose Gesellschaft. Und die Grenze der Demokratie ist erkennbar.“ Er hoffe einfach, dass Rumänien auch künftig ein Teil Europas bleibe, „egal, wie die Wahl ausgeht“: „Denn wir haben kein anderes Geschäftsmodell.“