Montag27. Oktober 2025

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Rumänien vor RichtungswahlAm Blitzaufstieg des rechtsextremen Präsidentschaftsanwärters Georgescu teilen sich die Geister

Rumänien vor Richtungswahl / Am Blitzaufstieg des rechtsextremen Präsidentschaftsanwärters Georgescu teilen sich die Geister
Die Präsidentschaftskandidatin der liberalen USR Elena Lasconi sollte in der Stichwahl gegen den prorussischen und rechtsextremen Kandidaten Calin Georgescu antreten Fotos: AFP/Daniel Mihailescu

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Die Politkrise in Rumänien vertieft sich. Von Moskau massiv unterstützte Rechtsextremisten verspüren Aufwind. Das Verfassungsgericht sagt die in der Diaspora bereits begonnene Stichwahl der Präsidentschaftskür ab. Ratlos ringt ein Land um seine Identität.

Der Duft von Glühwein und frisch gebackenen Baumstriezel zieht durch die Blockhaussiedlung auf dem Siegesplatz. Auf der Bühne trällert ein Mädchen neben überdimensionierten Nussknackern Weihnachtsweisen. Lachend flitzen auf dem Freiheitsplatz Schlittschuhläufer über das Eis. Alles wirkt, wie es immer war, auf dem Weihnachtsmarkt im rumänischen Timisoara. Nichts scheint die Vorfestfreude zu trüben.

„Alarm, Alarm, antifaschistischer Alarm“, skandieren auf dem Piata Unirii zwei Dutzend jugendlicher Demonstranten in der klammen Kälte. „Njet zum Kreml, Ja zu Europa“ oder „Besser in der NATO als Kanonenfutter für die Russen“ lauten die Aufschriften ihrer selbst gemalten Protestplakate.

„Wir wollen die, die sich von Politik normalerweise fernhalten, davon überzeugen, dass es in unserem Land um alles oder nichts geht“, erläutert der Teestubenbetreiber Alex den Sinn seines abendlichen Demonstrationseinsatzes: „Unsere Eltern und Großeltern haben hier in Timisoara vor 35 Jahren für unsere Freiheit gekämpft. Und ich habe Angst, dass wir die damaligen Errungenschaften nun einfach wegwerfen.“

Völlig überraschend hat am Freitag das Verfassungsgericht in Bukarest die für Sonntag geplante Stichwahl der Präsidentschaftskür abgesagt und das Ergebnis des ersten Wahlgangs annulliert: In der letzten Woche hatten sich die Hinweise auf massive Wahlkampfmanipulationen zugunsten des russophilen Rechtsextremisten Calin Georgescu vermehrt.

Diaspora hatte bereits mit Stichwahl begonnen

„Warum erst so spät?“, fragt sich Alex angesichts der in der Diaspora zum Teil bereits begonnenen Stichwahl: „Unsere Institutionen haben mal wieder völlig versagt.“ Die Annullierung der Wahl könne er angesichts der von Russland inszenierten Manipulationen allerdings „zum Teil verstehen“: „Ich fürchte nur, dass das Chaos noch größer wird – und die Rechtsextremen Amok laufen.“

In Timisoara hatte Rumäniens Aufstand gegen das Regime des sozialistischen Diktators Nicolae Ceausescu im Dezember 1989 seinen Anfang genommen. Nun mehrt sich auch in Rumäniens Boomstadt angesichts des Blitzaufstiegs der russophilen Rechten die Sorge vor einer autoritären Zeitenwende. Er habe Angst vor einem „autoritären Regime, das uns vom Westen entfernt und dem Osten näherbringt“, sagt Alex: „Vor allem die Minderheiten könnten darunter leiden, wenn die Rechtsextremisten an die Macht kommen.“

Bei der Parlamentswahl am letzten Wochenende ist drei russophilen Parteien der Sprung über die Fünfprozenthürde geglückt – und stimmten über 30 Prozent der Wähler für rechtsextremistische Kräfte. Bei der nun spät annullierten ersten Runde der Präsidentschaftswahl votierten vor zwei Wochen gar über 35 Prozent für die Rechtsausleger – und gelang mit dem parteilosen Agrarwissenschaftler Calin Georgescu einem prorussischen Ultranationalisten der Sprung an die Spitze – vor der oppositionellen USR-Chefin Elena Lascoi.

Knusprigbraun brutzeln Schweinehaxen und Würste im Bratenfett. Spuren von Rumäniens winterlichem Wahlmarathon wie Wahlplakate oder Flugblätter sind in der Innenstadt hingegen nicht zu sichten. Der Wahlkampf habe sich fast völlig ins Web und in die Medien verlagert, berichtet der Buchhalter Robert. Doch obwohl der Stimmenstreit kaum sichtbar sei, werde derzeit „in Rumänien über kaum etwas anderes geredet – und gestritten“: „Ob im Büro oder zu Hause – Politik und Georgescu sind derzeit das alles beherrschende Thema.“

PSD-Chef Marcel Ciolacu begrüßt Annullierung der Wahl

Die Leute und das Land seien geteilt, sagt der hochgewachsene Medizinstudent David: „Wir führen endlose Debatten, ob wir offener oder religiöser sein müssen, Homosexualität akzeptieren oder ablehnen sollen.“ Die Diskussionen „erhitzen sich sehr schnell“, so seine Erfahrung: „Letztendlich dreht sich alles darum, wer der Präsident wird – und wohin uns das in der Zukunft führen wird.“

Die Verwerfungen im politisch zerrissenen Land haben Buchhalter Robert auch persönliche Probleme beschert. Erst beim gemeinsamen Gang ins Wahllokal habe er vor zwei Wochen bemerkt, dass seine Freundin für Georgescu stimme: „Ich war verblüfft, aber sagte erst nichts, weil ich dachte, dass der Idiot ohnehin völlig chancenlos ist.“ Nun wisse er nicht, „wie ich damit umgehen soll“, bekennt er ratlos: „Ich fürchte, dass dies unserer Liebe beenden wird.“

Im fernen Bukarest scheint das erst am Mittwoch mühsam geschmiedete Bündnis der proeuropäischen Parteien gegen Georgescu nach der Absage der Stichwahl bereist wieder geplatzt. Das von der sozialistischen PSD dominierte Verfassungsgericht habe die „Demokratie mit Füßen getreten“, empört sich die ausgebremste Präsidentschaftsanwärterin Lasconi. Nach den „Interventionen Russlands“ sei der Urnengang „eklatant verfälscht“ worden, begrüßt der bei den Präsidentschaftswahlen frühzeitig gescheiterte PSD-Chef Marcel Ciolacu hingegen deren Annullierung: „Dies war die einzig richtige Lösung.“

Vorläufig scheint Rumänien noch tiefer in die Politkrise zu schlittern. Während Georgescu sich zunächst in Schweigen hüllt, spricht der russophile AUR-Chef George Simion von einer „Schande“: „Der Staatsstreich ist in vollem Gange.“ Gleichzeitig ruft er seine Anhänger auf, „nicht auf die Straße zu gehen“: „Wir lassen uns nicht provozieren. Dieses System muss demokratisch fallen!“

„Jeder lebt in seiner eigenen Blase“

In den Büroräumen der USR in Timisoara stapeln sich die Plakate ihrer vorläufig gestoppten Hoffnungsträgerin im Treppenhaus. Die Vorstellung, dass das Land von Rechtsextremisten geführt werden könne, mache ihr „Angst“, räumt die URS-Ortsvorsitzende Paula Romoceon offen ein: „Die TikTok-Manipulationen sind das beste Beispiel, dass der Staat keinerlei Kontrolle mehr über die Verbreitung von Fake News über die sozialen Medien hat.“

Doch nicht nur über die unklare Finanzierung des Wahlkampfs zeigt sich die Wirtschaft beunruhigt. Auch dessen Ablehnung von EU-Mitteln, ausländischer Investitionen und Kredite, die Annullierung von Privatisierungen sowie die angekündigte Bevorzugung heimischer Firmen stoßen bei Unternehmern auf offenen Argwohn. Die Nachricht von der Wahlannullierung sorgt bei ihnen für Erleichterung – und lässt sofort die Kurse an der Bukarester Börse steigt.

Wenn mir jemand vor 15 Jahren gesagt hätte, dass wir wirtschaftlich Staaten wie Ungarn oder Griechenland überflügeln, hätte ich das für einen Witz gehalten. Aber das ist im Moment die Realität.

Dan Sucu, Arbeitgeberpräsident

Er erinnere sich noch daran, wie er seine Jugend „in einem armen, kalten und dunklen Rumänien unter dem Dach Russlands verbracht“ habe, weist Arbeitgeberpräsident Dan Sucu auf die Errungenschaften und Entwicklungssprünge des Landes in den letzten beiden Jahrzehnten: „Wenn mir jemand vor 15 Jahren gesagt hätte, das wir wirtschaftlich Staaten wie Ungarn oder Griechenland überflügeln, hätte ich das für einen Witz gehalten. Aber das ist im Moment die Realität.“

Schlüssige Antworten, warum die Rechtsextremen dennoch so viel Zulauf erfahren, vermögen auch viele Rumänen kaum zu geben. Er habe keine richtige Erklärung, räumt Demonstrant Alex offen ein: „Jeder lebt auch ein wenig in seiner eigenen Blase. Ich sah zwar, dass rechtsextremistische Kräfte überall in Europa stärker werden, aber hätte das so hier nie erwartet.“ Der Alltag in der Erfolgsstadt Timisoara habe mit dem in der Provinz „nichts zu tun“, glaubt David: „Uns geht es gut, wir leben in einer reichen Stadt, aber sind von der anderen Hälfte des Landes völlig abgenabelt.“

„Treffen am Ende die richtige Entscheidung“

Weniger die prorussische Ausrichtung von Georgescu als die „Enttäuschung“ vieler Landsleute über die „traditionellen Parteien“, macht die USR-Politikerin Romocean für dessen Siegeszug verantwortlich: „Auch wegen der vielen unerfüllten Versprechen glauben viele Leute an niemand mehr. Aber sie sind bereit, an einen falschen Priester zu glauben.“

Noch baumeln Rumäniens Landesflaggen und Europas Sternenbanner einig von den Laternen am Siegesplatz. Nach dem ersten Wahlgang hatten in Timisoara 2.000 Menschen gegen das Erstarken des Rechtsextremismus demonstriert. Nun sind es nur noch eine Handvoll von Demonstranten, die mahnend über den Weihnachtsmarkt ziehen. Manche seiner Mitstreiter seien erschöpft, andere „beginnen, die Hoffnung zu verlieren“, sagt Alex.

In der Dämmerung kreist das Riesenrad hoch über dem festlich beleuchteten Weihnachtsmarkt. Doch in welche Richtung wird sich das Rad der Zeit für Rumänien drehen? Sie sei „eigentlich immer Optimistin“, habe aber in diesen Tagen manchmal „ein kleines Herz“, gesteht Romocean: „Doch wir Rumänen waren immer proeuropäisch und pro NATO. Ich vertraue einfach darauf, dass wir am Ende erneut die richtige Entscheidung treffen – für uns und unsere Kinder.“

Einige tausend Demonstranten gingen am Donnerstag noch für die liberale Präsidentschaftskandidatin Elena Lasconi auf die Straße
Einige tausend Demonstranten gingen am Donnerstag noch für die liberale Präsidentschaftskandidatin Elena Lasconi auf die Straße
Luxmann
6. Dezember 2024 - 19.46

Der sogenannte korrespondent Roser weiss ja anscheinend immer alles im balkan von novi sad ueber pristina bis sofia und timisoara.
Dann sollte er mal klarmachen wie einer im traditionell eher antirussischen rumaenien als rechter ultranationalist beschriebene kandidat gleichzeitig russenfreund sein kann und was der auch eher russenkritische und kurzzeitige Nixon freund Ceaucescu hier macht.
War er vielleicht auch pro nato und wurde von wem auch immer hingerichtet?