WirtschaftAlexander von zur Mühlen: „Europa steht in Asien für Verlässlichkeit“ 

Wirtschaft / Alexander von zur Mühlen: „Europa steht in Asien für Verlässlichkeit“ 
Alexander von zur Mühlen ist „CEO Asia-Pacific, Europe, Middle East & Africa (EMEA), and Germany“ bei der Deutschen Bank Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Seit rund vier Jahren ist Alexander von zur Mühlen zuständig für die Region „Asien-Pazifik“ bei der Deutschen Bank. Vor kurzem kamen „Europa, der Nahe Osten und Afrika“ zu seinem Aufgabenbereich hinzu. Vergangene Woche war er zwei Tage in Luxemburg. Das Tageblatt hat sich mit ihm über Europas Rolle in der Welt unterhalten.

Tageblatt: Warum sind Sie hier in Luxemburg?

Alexander von zur Mühlen: Luxemburg ist ein sehr wichtiger Standort für uns, bei dem das internationale Geschäft im Mittelpunkt steht. Nicht umsonst sind wir hier schon seit mehr als 50 Jahren vertreten. Der Finanzplatz Luxemburg verfügt über eine lange Tradition und glänzt mit seiner Expertise. Seit Juli 2023 bin ich im Vorstand auch für Europa verantwortlich, und es ist mir wichtig, die für die Deutsche Bank wichtigsten Märkte regelmäßig zu besuchen und unsere Kunden und Mitarbeitenden persönlich zu treffen.

In der neuen Globalisierung: Was ist Europas Rolle in der Welt? Sein Gewicht? Seine Stärken?

Europa hat riesige Chancen, muss sie nun aber auch ergreifen. In Asien stehen Unternehmen aus Europa immer noch für Qualität und Zuverlässigkeit. Europa hat also einen guten Ruf, den hiesige Unternehmen aber noch besser nutzen könnten: sei es, um Produkte und Dienstleistungen in Asien zu vermarkten oder um ihre Finanzierungsbasis mit Blick auf Investoren in Asien zu verbreitern. Dafür muss Europa auch in der Politik geeinter, aber auch unabhängiger auftreten. Die Konkurrenz ist groß: Die sieben wichtigsten Schwellenländer, die E7-Staaten, haben heute zusammengenommen eine größere Wirtschaft und Bevölkerung als die G7-Staaten.

Ist die „grüne Politik“ eine Hilfe oder ein Hindernis?

Der Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft ist eine Chance für Unternehmen und Investoren. Der CO2-Ausstoß muss sinken, aber gleichzeitig muss dieser Weg für Unternehmen auch verlässlich plan- und finanzierbar sein. Hier können wir als Bank unsere Expertise einbringen und unsere Kunden bei ihren eigenen Transitionsplänen unterstützen. Man kann nicht einfach den Stecker ziehen. Dabei sehe ich die grüne Technologie grundsätzlich als Chance für Europa. Hier wird noch viel passieren, aber dazu braucht es auch das notwendige Kapital. Leider ist es derzeit noch nicht Europas Stärke, Risikokapital aufzubringen. Hier brauchen wir dringend einen integrierten europäischen Markt, damit wir mit den großen Kapitalmärkten mithalten können.

Auch sind wir noch nicht schnell genug in Europa – wir müssen weiter Bürokratie abbauen, damit sich die Innovationsfreude der Unternehmen bei Nachhaltigkeitsthemen noch besser entfalten kann. Ansonsten droht, dass andere uns die gute Position bei grünen Technologien wieder streitig machen. Ich kenne das aus China – hier gibt es zahlreiche neue Wettbewerber bei Elektromobilität, die die etablierten unter Druck setzen.

Dabei gilt gerade Deutschland aktuell als schwach?

Deutschland bekommt derzeit sehr viel negative Presse. Wir sehen eine leichte, eher technische Rezession und sollten uns nicht schlechter reden, als wir sind. Aber um auf einen echten Wachstumskurs einzuschwenken, braucht Deutschland Reformen. Nur so kann mehr Kapital für neue Technologien und Innovationen angelockt werden. Wir müssen auch den Mangel an Fachkräften adressieren, und dazu gehört auch Einwanderung. Deutschland wird aber insgesamt zu negativ dargestellt. Herausforderungen gibt es wohl, aber das Land hat sich schon oft in Krisen gut angepasst.

Die makroökonomischen Unsicherheiten der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass es ohne Diversifikation nicht geht

Alexander von zur Mühlen

Was ist mit den Energiepreisen?

Deutschland ist da stärker betroffen als andere Länder. Als Exportnation brauchen wir rasch einen bezahlbaren Energiemix, gerade im Vergleich mit den internationalen Wettbewerbern. Dazu braucht es nicht nur einen verlässlichen Rahmen seitens der Politik, sondern auch beträchtliche private Investitionen in erneuerbare Energie. Auch dafür brauchen wir einen einheitlichen europäischen Kapitalmarkt, um für private Investitionen aus dem Ausland attraktiv zu sein.

„Es entstehen neue Handelskorridore zwischen Südostasien und dem Nahen Osten“
„Es entstehen neue Handelskorridore zwischen Südostasien und dem Nahen Osten“ Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Wie geht es der Weltwirtschaft? Entstehen gerade neue Handelskorridore?

Absolut. Das liegt an den großen Unterschieden zwischen den Wachstumsraten einzelner Länder und Regionen. So wächst in China die Wirtschaft derzeit langsamer als in den Jahren zuvor, wovon Südostasien und Indien profitieren. Es entstehen neue Handelskorridore zwischen Südostasien und dem Nahen Osten, da sich dort wichtige Kapitalgeber finden und gleichzeitig auch die Konsumnachfrage steigt. Mit dem höheren Wohlstand wächst der Wunsch nach Produkten mit einer höheren Qualität.

Wie wichtig ist das Thema der „Abhängigkeit von Diktaturen“?

Die makroökonomischen Unsicherheiten der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass es ohne Diversifikation nicht geht. Energie beispielsweise bei nur einem Zulieferer zu kaufen, ist eben riskant. Wer seinen Einkauf diversifiziert, muss aber auch die höheren Kosten tragen, und das wiederum macht die Produkte langfristig teurer. Mehr Sicherheit treibt also die Preise. Eine komplette Abkehr von einem Land wie China wird es jedoch nicht geben: Für viele Produkte ist es der einzige wichtige Lieferant, selbst bei mehr Diversifizierung wird es weiterhin eine bedeutende Rolle spielen.

Und bei den Banken: Wie schlagen sich die europäischen, die amerikanischen und die aus China?

Die US-Banken haben ein sehr gutes Jahrzehnt hinter sich. Wir sehen aber, auch aufgrund der Geschehnisse in der Welt, wie wichtig es für unsere Kunden ist, eine europäische Alternative zu haben, die weltweit aktiv ist. Und für diese Rolle kommen nur wenige Institute infrage, darunter die Deutsche Bank. Diese Entwicklung ist aber nicht nur gut für uns, sondern für die europäischen Banken insgesamt. Wie ich zu Beginn sagte, steht Europa in Asien für Verlässlichkeit. Diese gute Reputation ist wichtig für uns.

Muss sich die Wirtschaft Sorgen um die anstehenden Wahlen in Europa und in den USA machen?

Die Ungewissheit, wie die Präsidentschaftswahl in den USA ausgehen wird, und die steigende Wahrscheinlichkeit, dass Trump gewinnt, haben Auswirkungen auf den internationalen Handel. Falls sich der Konflikt zwischen den USA und China verschärfen sollte, stellt sich die Frage, wie Europa reagieren wird. Umso wichtiger ist es, jetzt ein starkes und strategisch souveränes Europa zu formen. Daher ist die Wahl zum EU-Parlament im Juni so entscheidend. Sie wird ein Fingerzeig sein, ob die EU endlich politisch und wirtschaftlich enger zusammenrückt. Bleibt sie ein Flickenteppich aus Einzelinteressen, wird es für die EU immer schwerer, sich auf der Weltbühne Gehör zu verschaffen.

Sie haben Russland noch gar nicht erwähnt?

Aktuell ist Russland ein „Nicht-Markt“ für viele Unternehmen, und ich bezweifle, dass sich das wieder ändern wird. Europa musste innerhalb kurzer Zeit seine Energie-Lieferketten umbauen und Alternativen zum russischen Gas finden. Das hat auch maßgeblich zum Anstieg der Inflation in Europa beigetragen.

Und was ist mit der Atomkraft?

Dazu gibt es bekanntlich unterschiedliche Ansätze in Europa. Klar ist aber auch, dass man einen einmal vollzogenen Ausstieg nicht ohne Weiteres kurzfristig zurückdrehen kann.

Und die Deutsche Bank in dem Ganzen?

Die Deutsche Bank hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend transformiert und besser aufgestellt. 2023 haben wir das höchste Vorsteuerergebnis seit 16 Jahren erreicht. Als globale Hausbank haben wir das richtige Netzwerk und das notwendige Risikomanagement, um unsere Unternehmenskunden in neue Märkte zu begleiten, wie etwa Vietnam oder Brasilien. Dafür wurde die Deutsche Bank vor über 150 Jahren gegründet: um europäische Firmen auf ihrem Weg in die Welt zu begleiten. Von Europa nach Asien – und umgekehrt, damit sie wachsen können.

Der Standort Luxemburg …

… ist für uns von großer Bedeutung und ein wachsender Markt. Wir zählen hier aktuell 550 Mitarbeitende. Luxemburg ist vor allem zentral für das Angebot von grenzüberschreitenden Wertpapier-Dienstleistungen in Europa.

Ist eine Finanzkrise wie 2008 irgendwann zu befürchten?

Ich sehe derzeit kein Szenario wie 2008. Die Banken haben sich verändert, ihre Kapitalbasis gestärkt und ihre Geschäftsmodelle überarbeitet. Parallel dazu haben Aufseher international ihre Vorgaben verschärft. Leider sind parallel Schattenbanken stark geworden, die nicht der gleichen Regulierung unterliegen. In Summe sind die Banken heute sicherer, stabiler und besser kapitalisiert als noch vor einigen Jahren.

Zur Person

Alexander von zur Mühlen fing 1998 nach seinem Betriebswirtschaftsstudium bei der Deutschen Bank an. Nach verschiedenen Stationen in der Investmentbank, zuletzt als Co-Chef des Geschäfts mit Anleihenemissionen in Europa, berief ihn der Konzern 2009 zum Treasurer. In dieser Funktion steuerte er unter anderem das Kapital, die Liquidität und die Finanzierung der Bank. Nach einem Jahr als Co-Leiter für das weltweite Kapitalmarktgeschäft wurde er im Sommer 2018 Strategiechef der Bank. Seit dem 1. August 2020 ist er Mitglied des Vorstands der Deutschen Bank. Er übernahm damit die Verantwortung für das Asien-Pazifik-Geschäft der Bank. Mittlerweile ist er „CEO Asia-Pacific, Europe, Middle East & Africa (EMEA), and Germany“. Die Deutsche Bank zählte zum Ende des Jahres 2022 weltweit etwa 85.000 Mitarbeiter.

Grober J-P.
16. Februar 2024 - 10.50

„Europa steht in Asien für Verlässlichkeit“ Und in die andere Richtung? Europa der Blauäugigen.