18. Dezember 2025 - 6.46 Uhr
ForumÄnder Hoffmann über die Verbindungen von Rechten, Wirtschaft und Mitte – und die Geschichte, die sich wiederholt
Die Rechte stimmt im Europaparlament mit der extremen Rechten. Zweimal hintereinander. Es ging um den Konflikt zwischen ökologischen und wirtschaftlichen Interessen. Die Rechten stimmten gemeinsam für die „Wettbewerbsfähigkeit“ der europäischen Industrie, gegen eine Stärkung der Menschenrechte und der ökologischen Nachhaltigkeit. Das europäische Kapital hatte wohl auch kräftig lobbyiert. Die sogenannte Brandmauer fiel – wie in Jericho – unter den Trompeten der Ökonomie zusammen.
Ist das Muster nicht aus der Geschichte bekannt? Nur kurz zur Erinnerung: Die sogenannte Wirtschaft, sprich die Klasse der Besitzenden, war besorgt um die bestehenden Macht- und Eigentumsverhältnisse. Ihre politische Vertretung, die sogenannte „Mitte“ – unter anderem die „Deutsche Zentrumspartei“ – teilt naturgemäß diese Besorgnis. Aber die linken Parteien, SPD, KPD und die Gewerkschaften sind noch stark.
Da bietet sich eine Chance, den Umsturz oder den Zerfall der bestehenden Ordnung noch aufzuhalten. Eine unbedeutende Splittergruppe um einen politischen Hasardeur gewinnt zunehmend Zulauf. Sie nutzt die Wirtschaftskrise (seit 1929), die wachsende Arbeitslosigkeit, die astronomische Inflation, das nationale Ressentiment gegen den Ausgang des 1. Weltkriegs, aber auch den Unmut über die Herrschaft des Kapitals. Deshalb nennt sie sich national und sozialistisch. Sozialistisch ist daran nichts, aber das Wort soll die geschundene Arbeiterklasse verführen. Um die wahren Ursachen der Krise und die Verantwortung zu verschleiern, braucht man einen Sündenbock. In der Bibel werden einem unschuldigen Schaf alle Fehler und Sünden der Gemeinschaft aufgebürdet, bevor es dann in die Wüste oder zur Schlachtbank getrieben wird. Der Sündenbock sind damals die Juden, sie sind an allem schuld, sie passen nicht ins faschistische Stadtbild, sie bedrohen die nationale Identität.
Die deutsche „Wirtschaft“ ihrerseits drängt auf schnelle Maßnahmen für den Erhalt ihrer Macht: die Arbeiterklasse zähmen, mit der Kriegsindustrie ihre Gewinne sichern etc. Ihr aggressiver, geldschwerer Lobbyismus ist hinlänglich bekannt. Der französische Schriftsteller Eric Vuillard hat ihn in „L’ordre du jour“ (Prix Goncourt 2017) eindrucksvoll geschildert: Hermann Göring empfängt zwei Dutzend Bonzen der deutschen Wirtschaft, um über die finanzielle und politische Unterstützung seiner Partei zu beraten. Derweil wird in Frankreich der rechten Haute Bourgeoisie der Spruch zugeschrieben: „Plutôt Hitler que le Front populaire!“ – belegt ist allemal ihre spätere Collaboration mit dem Vichy-Regime.
Dreieck
Die finanzielle und propagandistische Unterstützung wird aber doch noch nicht reichen, um Hitler an die Macht zu bringen. Die hohen, aber bereits leicht schrumpfenden Wahlergebnisse seiner Partei (immerhin noch über 30%) reichen nicht für eine parlamentarische Mehrheit. Und vor einem gewaltsamen militärischen Putsch schreckt man doch wohl noch zurück. Also müssen Allianzen geschmiedet werden. Die „Mitte“ muss mitmachen. Die „Mitte“, das ist u.a. die Deutsche Zentrumspartei. Katholisch, gegen rechten wie linken Extremismus. Mit der Unterstützung der konservativen „Mitte“ kommt Hitler im März 1933 zu seinem „Ermächtigungsgesetz“, das ihm quasi uneingeschränkte Macht zusichert. Das „Zentrum“ sichert, „unter Druck“ heißt es, die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit. Nur die SPD stimmt trotz Druck geschlossen dagegen, die KPD ist schon ausgeschlossen. Mit dem Gesetz beginnt eine der fürchterlichsten Diktaturen der Neuzeit. Dank einer Dreieckskonstellation von extremer Rechten, Wirtschaftsmächtigen und politischer Mitte.
Man muss mit historischen Vergleichen sehr, sehr vorsichtig und differenziert umgehen. Geschichte wiederholt sich nicht. Europa ist nicht Weimar. Wir stehen nicht vor einer faschistischen Diktatur wie in den 30ern. Das Votum im Europaparlament ist noch kein Anzeichen eines „Ermächtigungsgesetzes“. Aber es reiht sich ein in eine Reihe von Entwicklungen der letzten Jahre, von Symptomen, die durchaus zur Sorge berechtigen.

Die kritische Sozial- und Geschichtswissenschaft spricht bereits von Ansätzen eines schleichenden, eines „demokratischen Faschismus“. Das meint das Bestreben, die Mittel und Möglichkeiten der Demokratie zu nutzen, um sie von innen zu zerstören. Man will demokratische Wahlen gewinnen, um die Kernelemente der Demokratie abzubauen: Gewaltentrennung, Pressefreiheit, Minderheitenrechte, soziale Gleichheit. Zu diesen Tendenzen gehört die „illiberale Demokratie“ in den USA, Italien, Ungarn, Polen, Israel …, die sich auf Wahlergebnisse beruft, um individuelle, kollektive, demokratische Rechte einzuschränken. Und wieder das Feindbild des Fremden, da kann man sich auf niedere Triebe verlassen.
Es gibt andrerseits – wie in den 30ern – Unterstützung und Lobbyismus für solche Tendenzen aus den Reihen der ökonomischen Macht. Die Konzernherren des Silicon Valley huldigen Trump. Ein Teil des französischen Patronats macht keinen Hehl mehr aus seiner Unterstützung des Rassemblement national.
Es gibt schließlich eine sichtbare Verlockung der politischen „Mitten“, sich solchen Strömungen anzubiedern oder zumindest sich nicht aktiv zu widersetzen. Dabei spielt – wie in den 30ern – eine Gemengelage von Unsicherheit, Krisen, Verlustängsten eine Rolle. In den konservativen Parteien und Strömungen kann sich die „wirtschaftsfreundliche“ Programmatik verbinden mit einer Abwehr gesellschaftspolitischer Veränderungen und Neuerungen, die traditionelle Welt- und Menschenbilder infrage stellen.
Die Dreieckskoalition in neuem Gewand?
Es gibt noch eine andere bedenkliche Parallele. Der Faschismus verband eine Begeisterung für technischen Fortschritt mit einem regressiven Antimodernismus. Die italienische Kunstrichtung des Futurismus etwa war fasziniert von der modernen Technik und ein Teil ihrer Vertreter verbündete sich mit dem Faschismus, also mit dessen Idealisierung der Vergangenheit, mit dessen reaktionärem Weltbild der Traditionen, der heilen (patriarchalen) Familie und der nationalistischen Überhöhung. In der Verherrlichung des Krieges fanden beide Tendenzen zusammen: Denn der Krieg verkörpert in der Tat sowohl die Errungenschaft moderner Technik wie auch das maskulinische Heldentum und die nationalistische Verirrung. Für die Nazis wurde sogar die Vernichtung der Juden zu einem technischen Problem mit einer technischen (End-)Lösung.
Bei aller Vorsicht: Angesichts jener Technik-Begeisterung kann man nicht umhin, an die futuristischen Fantasien von Elon Musk zu denken, der den Weltraum erobern will und zugleich den US-Präsidenten auf seinem Rückweg in patriarchalische, nationalistische Verhältnisse begleitet. Man denkt an die Tech-Milliardäre des Silicon Valley, die an der Künstlichen Intelligenz arbeiten (und daran verdienen wollen) und die kollektive menschliche Intelligenz zu verachten scheinen. Damit wird also aus dem genannten Dreieck ein Viereck: Zu den drei genannten Seiten kommt eine andere hinzu: der quasi religiöse Glaube an die Technik, die alle Probleme lösen soll. Womöglich von oben verordnet.
Aus all dem ergibt sich natürlich die politische Frage, ob und wie die progressiven Kräfte sich dem rechten Durchmarsch widersetzen können. Aber entscheidend ist auch die Frage, wohin die politische und die zivilgesellschaftliche „Mitte“ sich verschieben werden.
Anmerkung: Das Tageblatt schätzt den Austausch mit seinen Leserinnen und Lesern und bietet auf dieser Seite Raum für verschiedene Perspektiven. Die auf der Forum-Seite geäußerten Meinungen sollen die gesellschaftliche Diskussion anstoßen, spiegeln jedoch nicht zwangsläufig die Ansichten der Redaktion wider.
De Maart
In einem rezenten Insta-Kommentar auf einer deutschen Seite schrieb ich, dass die Konservativen (sprich CDU/CSU) die Steigbügelhalter des Faschismus seien, worauf ich folgende Antwort erhielt, welche ich mit der werten Leserschaft teilen möchte: "Nein, die sind nicht bloss Steigbügelhalter, die stellen das Pferd, satteln es und hieven die Faschisten aufs Pferd." Ich finde, treffender hätte man die aktuelle Lage wohl kaum beschreiben können, oder?
Guten Tag Herr HOFFMANN, zur Frage, wie sich progressive Kräfte wehren können, fallen mir Aussagen zum Thema "Sozialistische Rassenhygienik" aus dem Text "Der Heilige Krieg der Eugeniker" von Herrn Armin TRUS, den ich gerade vertieft lese, ein. Diese Aussagen weisen darauf hin, daß der Begriff "Progressivität" wandelbar ist. ▪Wikipedia Ikarien, 28.11.2022. "Ikarien" ist ein historischer Roman von Uwe TIMM, der 2017 erschien. (…) Handlung: Michael HANSEN wurde 1920 in Hamburg geboren und emigrierte mit seinen Eltern und seiner älteren Schwester 1932 in die USA. Nach der Schule studiert er deutsche Literatur in St. Louis und meldet sich dann freiwillig zur US Army. Er kehrt als Lieutenant der Nachrichtentruppe nach Deutschland zurück. (…) Nach Kriegsende erhält er einen Auftrag des "Counter Intelligence Corps" (CIC): Er soll WAGNER, einen ehemaligen Freund und Weggefährten des Eugenikers und Begründers der deutschen Rassenhygiene, Alfred PLOETZ, befragen. Er soll herausfinden, wie es zu dem Rassenwahn in der Zeit des NS kam und warum so viele Ärzte und Wissenschaftler bei den Krankenmorden mitgemacht haben. Wegen HANSENs Sympathie zu WAGNER, aber auch, weil dieser die Geschichte immer mehr ausdehnt, abschweift und seine eigene Lebensgeschichte einfließen lässt, treffen sich beide insgesamt 14 Mal. Hansens Vorgesetzte lassen ihm Zeit, sind jedoch hinterher mit seinen Berichten unzufrieden: PLOETZ war in jungen Jahren Sozialist, WAGNER ist es immer noch, und der CIC erhoffte sich - im Klima des gerade beginnenden Kalten Krieges - Erkenntnisse über mögliche aktuelle Kontakte zu Kommunisten. (…) WAGNER erzählt, er habe PLOETZ während des Studiums in Breslau kennengelernt, wo PLOETZ eine geheime Gruppe mit utopisch-sozialistischen Ideen gründete. Wegen der Verfolgung durch das Sozialistengesetz flohen beide nach Zürich. PLOETZ war stark von Etienne CABET beeinflußt und besuchte zusammen mit WAGNER die von CABET gegründete ikarische Gemeinschaft in den USA. Beide waren jedoch enttäuscht, daß sich dort nicht eine bessere, harmonischere Gesellschaft entwickelte, sondern es Streit und Mißgunst gab. Nun entwickelte PLOETZ die Idee, die Menschen müßten erst, auf dem Wege der Eugenik, gebessert werden, bevor sich eine bessere Gesellschaft entwickeln könne. Dies führt zu Meinungsverschiedenheiten mit WAGNER, der dem linken Flügel der Sozialdemokraten angehört und für gleiche Rechte aller Menschen eintritt. (…) PLOETZ geht mit seiner Frau Pauline in die USA und arbeitet vier Jahre lang als Arzt, geht dann nach Berlin, wo auch WAGNER inzwischen lebt. Beide lernen die Malerin Anita kennen (im Roman nur "die Griechin" genannt). WAGNER verliebt sich in sie, sie heiratet jedoch PLOETZ, der sich von Pauline scheiden ließ. Mit dem Vermögen seiner Frau baut PLOETZ eine Forschungsanstalt in Herrsching am Ammersee auf, wo er seine rassenbiologischen Theorien beweisen will. Unter anderem führt er ein Experiment mit tausenden Kaninchen durch, um zu beweisen, daß Alkohol die Gehirne und die Keimzellen der Tiere verändert und zu "minderwertigem" Nachwuchs führt. PLOETZ hält Alkoholismus für erblich bedingt und schließt soziale Faktoren aus, was sich aber als haltlos erweist. Als die Nazis die Macht übernehmen und das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses beschließen, freut sich PLOETZ, daß seine Forderungen nun endlich in die Tat umgesetzt werden: Genetisch minderwertige Menschen können nun zwangssterilisiert werden. (…) Während PLOETZ durch das Erbe seiner Frau wohlhabend und durch seine Forschungen geachtet und bekannt wird, führt WAGNER ein eher ärmliches und schwieriges Leben als Vortragsredner und Journalist für verschiedene linke und gewerkschaftsnahe Zeitungen. 1918 erkrankt er an einer Lungenentzündung und Anita holt ihn nach Herrsching, um ihn gesundzupflegen. PLOETZ und WAGNER haben sich in ihrem Denken in der Zwischenzeit weit voneinander entfernt, Anita verhindert aber einen offenen Streit. Nur halbwegs gesundet, fährt WAGNER nach München, um sich an den Kämpfen um die Münchner Räterepublik zu beteiligen. Er setzt in der Weimarer Republik seine journalistische Tätigkeit fort und wird nach der Machtergreifung für mehrere Monate im KZ Dachau inhaftiert. Danach muß er sich im Keller eines Antiquariats verstecken, für das er auch bis 1945 arbeitet. (…) MfG, Robert Hottua, dessen NS - Mutter ihn mehrmals auf Alkoholprobleme in ihrer Familie hinwies
Wer glaubt der trumpismus sei bald am ende befindet sich wohl auf dem holzweg.
Auch nach Donald wird die silicon valley palantir truppe um Peter Thiel,Alex Karp mit ihren kumpels Elon,Zuck und Jeff weiterhin dank ihrer fast unbegrenzten finanziellen ressourcen eine dominante rolle in der US und weltpolitik spielen.
Und diese leute haben jetzt schon zahlreiche freunde in der EU .
Und das in vielen nicht nur rechten parteien.