Montag22. Dezember 2025

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Im KinoAction- und Alltagsheldinnen in „Ballerina“ und „Jeunes mères“

Im Kino / Action- und Alltagsheldinnen in „Ballerina“ und „Jeunes mères“
Ana de Armas spielt Eve in „Ballerina“: Sie rächt sich an den Killern ihres Vaters Foto: Larry D. Horricks/Copyright: 2025 Lionsgate

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Unterschiedliche Frauenfiguren im Mittelpunkt: In „Ballerina“ ersetzt eine Killerin die Ikone John Wick, in „Jeunes mères“ porträtieren die Gebrüder Dardenne Teenie-Mütter. Doch wie sehenswert sind die Filme?

Blut und Ballett: „Ballerina“ 

Der neue Film „Ballerina“ beschaut das „John Wick“-Universum aus einer weiblichen Perspektive und bricht dabei zeitweise mit der ironisch-grotesken Gewaltästhetik der Vorlage, indem eine ansatzweise Psychologisierung um Rache, Identität und patriarchale Strukturen angedacht wird.

„Ballerina“ ist ein Spin-off-Film aus der „John Wick“-Reihe, darin begleiten wir die junge Auftragskillerin Eve (Ana de Armas) auf einem düsteren Weg zwischen Rache, Identitätssuche und körperlicher Grenzerfahrung. Als Kind verliert Eve ihren Vater in einem Anschlag des mysteriösen Killers namens Chancellor (Gabriel Byrne). Nach diesem traumatischen Ereignis wird sie von Winston (Ian McShane) – bekannt aus dem „Continental“-Hotel im „John Wick“-Universum – unter die Obhut der Ruska Roma gebracht, eines geheimen Netzwerks von Attentätern mit eigener strenger Ausbildungsphilosophie. In dieser abgeschotteten Welt wächst sie heran, lernt Ballett und zugleich die Kunst des Tötens.

Zwischenkapitel

Die Handlung spielt zeitlich zwischen „John Wick: Kapitel 3“ und „John Wick: Kapitel 4“ und greift das bekannte Universum der stilisierten Gewalt erneut auf – diesmal jedoch aus einer neuen Perspektive. Im Gegensatz zu John Wick (Keanu Reeves), der eigentlich aus dieser Welt entkommen möchte, strebt Eve regelrecht hinein. Die zeitliche Situierung zwischen den beiden Hauptfilmen macht diese Spannung klar, da Wick darin den verzweifelten und blutigen Weg in die Freiheit sucht, während Eve von einem anderen Impuls getrieben wird: Sie will den Chancellor finden und töten, um den Mord an ihrem Vater zu rächen. Auf dieser Reise trifft sie nicht nur auf bekannte Gesichter wie Winston (Ian McShane), Charon (Lance Reddick) oder die Direktorin der Ruska Roma (Anjelica Huston), sondern auch auf neue Figuren, die ihre eigene Entwicklung beeinflussen. Besonders ein Zusammentreffen mit dem Außenseiter Daniel Pine (Norman Reedus) und dessen Tochter lässt Eve ihre eigenen Werte hinterfragen – und konfrontiert sie mit der Frage, ob sie tatsächlich zur Killerin geboren ist oder ob ein anderes Leben möglich wäre.

Ana de Armas als Eve in „Ballerina“
Ana de Armas als Eve in „Ballerina“ Foto: Murray Close/Lionsgate/dpa

Es ist der Versuch der Psychologisierung dieser weiblichen Figur, die im harten Kontrast steht zur Originalreihe. Eve wird zuerst als Kind gezeigt, ihre persönlichen Traumata werden immer wieder aufgegriffen, um die Handlungsmotivation der Figur zu begründen. John Wick indes war „einfach nur da“, er „tauchte auf“, um seine Gegner auszuschalten. Seine Vergangenheit und sein Ursprung wurden nur vereinzelt angedeutet, waren aber nie direkt Thema. Gerade Eves Brüchigkeit hebt sie von ihrer männlichen Vorlage ab und gibt dem Film einen eigenen Ton.

Female empowerment

„Ballerina“ versucht dennoch, dem „John Wick“-Universum stilistisch treu zu bleiben: choreografierte Kämpfe in neongetränkten Nachtwelten, glatte Kamerafahrten, brutale Gewalt in ballettartiger Präzision. Da aber liegt das Problem: „John Wick 4“ (2023) war der Gipfel des modernen Actionfilms, sein Höhe- und Endpunkt. Das grotesk-ironische Gewaltballett aus Vivaldi- und Kafka-Bezügen war in seiner avantgardistisch-verspielten Referenzialität nicht mehr zu überbieten (siehe Tageblatt vom 16.5.2023). Hier sind die klanglich leisen Bezüge zu André Tschaikowskys „Schwanensee“ wohl da, die titelgebende Idee des Gewaltballetts unterstreichend, doch sie werden nie selbsttragend zum Kunstcharakter dieser „Spin-off“-Geschichte.

Die Action gipfelt in einem Nachtclub, in dem neben der Neon-Ästhetik mit Eis- und Glaskulissen und wabernden Nebeleffekten die räumliche Eigenartigkeit dieses Universums wiederhergestellt wird, aber nie ganz zusammenkommt. Eves Suche nach dem Chancellor ist nicht nur als ein sinnfreier, blutiger Freiheitswunsch im Sinne der Vorlage inszeniert, sondern ist sowohl „female empowerment“ als auch Emanzipationsgeschichte. Der Versuch, Kontrolle über das eigene Schicksal zu gewinnen – in einer Welt, die von Männern und patriarchalen Strukturen dominiert ist, in allen Fällen aber von Gewalt geregelt wird –, ist eine Neuerung, die den selbstironischen Ton der Reihe zwangsläufig aufbrechen muss.


Aus dem Leben junger Mütter: „Jeunes mères“ 

In Cannes gewann der neue Film der Gebrüder Dardenne den Drehbuch-Preis. „Jeunes mères“ erzählt in Form eines Episodendramas vom Schicksal junger Teenagerinnen, die auch Mütter sind. Dabei bleibt das Regiepaar seiner semidokumentarischen Arbeitsweise treu.

Die Filmografie der Brüder Dardenne zeichnet sich durch eine konsequente Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Randlagen und moralischen Konflikten aus, oft angesiedelt im belgischen Arbeiter- und Migrantenmilieu. Ihr Kino ist geprägt von einer nüchternen, fast dokumentarischen Ästhetik und einer tiefen Empathie für verletzliche Figuren. In „Rosetta“ (1999), der mit dem Palmengewinn in Cannes ihren internationalen Durchbruch bedeutete, erzählen sie von einer jungen Frau, die verzweifelt versucht, Arbeit und Würde zu finden – ein Thema, das sich in „L’Enfant“ (2005) wiederholt, wo ein junger Vater sein Neugeborenes verkauft und lernen muss, Verantwortung zu übernehmen. In „Der Junge mit dem Fahrrad“ (2011) steht die Suche eines verlassenen Kindes nach familiärem Halt im Mittelpunkt, während „Le jeune Ahmed“ (2019) die Radikalisierung eines muslimischen Jugendlichen zeigt.

Szene aus „Jeunes mères“ der Brüder Dardenne
Szene aus „Jeunes mères“ der Brüder Dardenne Foto: Christine Plenus

Schicksal der Mütter

Vor diesem Hintergrund erscheint „Jeunes mères“ nur folgerichtig, nun wenden sich die Dardennes einer kollektiven Perspektive zu und beleuchten das Leben junger Mütter in prekären Verhältnissen – erneut mit klarem Blick und mit einem solidarischen Grundton. Durch all ihre Filme zieht sich die Frage: Wie handelt man richtig – in einer Welt, die moralisch ambivalent und strukturell ungerecht ist?

Perla (Lucie Laruelle) trägt die Narben einer Kindheit mit einer alkoholabhängigen Mutter. Der Vater ihres Neugeborenen ist frisch aus dem Gefängnis entlassen und verweigert jegliche Verantwortung. Allein gelassen mit der Aussicht, ihr Kind ohne Unterstützung großziehen zu müssen, ringt sie mit Angst, Zweifel und dem tiefen Wunsch nach Stabilität. Jessica (Babette Verbeek) ist selbst kaum älter als ein Kind – einst von ihrer Mutter im Säuglingsalter verlassen, versucht sie nun, ihr eigenes Baby zu behalten und damit die eigene Geschichte umzuschreiben. Doch bevor sie Verantwortung übernehmen kann, muss sie erst lernen, mit ihrer eigenen tiefen Verletzung umzugehen. Ariane (Janaina Halloy) wurde von ihrer übergriffigen, narzisstischen Mutter (Christelle Cornil) zur Schwangerschaft gedrängt – jetzt will diese das Enkelkind für sich beanspruchen. Doch Ariane entscheidet sich für einen selbstbestimmten Weg, wendet sich gegen das familiäre Machtspiel und sucht nach einer Zukunft in Freiheit, auch wenn das bedeutet, sich vom Kind zu trennen.

Nicht fehlerfrei

Wie lebt man Mutterschaft, wenn man selbst noch nicht erwachsen sein durfte? Entlang dieser Frage binden die Dardennes das Publikum unmittelbar an die Protagonistinnen, ohne ironische Distanz, ohne pädagogische Belehrung. Stattdessen lässt der Film die jungen Frauen selbst sprechen – von ihren Entscheidungen, Zweifeln, Wünschen, Hoffnungen. Wie gewohnt gestalten die Dardennes ihren Film mit semi-dokumentarischer Klarheit: Die Kamera bleibt nahe an den Figuren, oft auf Schulterhöhe, ohne große Ausleuchtung oder Filmmusik. Schnitt und Rhythmus orientieren sich am echten Leben – nicht an dramaturgischen Konventionen.

Diese Geschichten stehen nicht nur nebeneinander, sie berühren sich subtil, sodass der rote Faden allmählich ersichtlich wird: der Wunsch nach Autonomie, nach Selbstbestimmung in einem Gefüge, das zwischen sozialer Ächtung und aufrichtiger Unterstützung oszilliert. Dabei wird nie behauptet, dass die Frauen heldenhaft oder fehlerfrei sind – vielmehr offenbart sich die Komplexität ihrer Lage: zwischen Fürsorge und Überforderung, Verantwortung und Selbstschutz.