KinofilmAch, das wird schon: „C’mon C’mon“ von Mike Mills

Kinofilm / Ach, das wird schon: „C’mon C’mon“ von Mike Mills

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In Mike Mills’ neuem Film „C’mon C’mon“ muss sich die Hauptfigur an die Erziehung eines Jungen heranwagen – ohne jemals zuvor die Erfahrung gemacht zu haben, was es heißt, für ein Kind verantwortlich zu sein.

Es ist keine zwei Wochen her, dass man in der städtischen Cinémathèque Mirandy Julys letzten Film „Kajillionaire“ in einer einmaligen Sondervorstellung sehen durfte. Mit „C’mon C’mon“ meldet sich nun ihr Lebenspartner Mike Mills zu Wort, der mit Joaquin Phoenix in der Hauptrolle eine nicht unähnliche Geschichte erzählen will. Auf jeden Fall scheinen ihn die gleichen Sachen zu beschäftigen wie die Schriftstellerin und Regisseurin, mit der er verheiratet ist.

Phoenix ist Johnny und Johnny ist ein Radiomann, der mit seinen KollegInnen durch die Vereinigten Staaten reist, um Reportagen aufzunehmen. Mit seinem langen Mikro bewaffnet stellt Johnny Jugendlichen (in Detroit) Fragen zu dem Zustand der Welt, der Zukunft und ihren Vorstellungen des Lebens in dieser Welt. Johnny scheint aber nur auf den ersten Blick der Freigeist à la amerikanische Podcaststimme zu sein, die unseren Alltag nicht erst seit gestern begleitet. In ganz kurzen Rückblenden bekommt man eine Idee davon, dass er noch nicht wirklich über den Tod seiner Mutter hinweggekommen ist. Das Verhältnis zu seiner Schwester Viv ist freundlich, aber es wirkt, als ob sich etwas zwischen die beiden gedrängt hätte. Viv hat zudem noch ihre eigenen Sorgen. Zwischen einem mental instabilen Mann und einem 9-jährigen Jungen zu Hause versucht sie durchzukommen. Der Zustand des Lebenspartners und Vaters des Kindes scheint sich zu verschlechtern und Viv fragt Johnny, ob er sich nicht für einige Tage um den kleinen Jesse kümmern könne, während sie versucht, ihren Mann zu einem Krankenhausbesuch zu überzeugen. Jesse ist ein aufgeweckter, altkluger Junge. Er hört morgens nach dem Aufstehen Mozarts Requiem, inszeniert sich gerne als Waisenkind und stellt vor allem unaufhörlich Fragen.

Für das Leben gibt es kein Script

In seinem vorherigen Spielfilm „20th Century Women“, der eine Art filmische Abhandlung über sein Leben inmitten von Frauen – vor allem aber natürlich mit seiner Mutter – war, gönnte Mike Mills seinen Figuren in einer von melancholischer Schönheit kaum zu steigernden Schlusssequenz das Wissen über das Leben, welches sie nach dem Abspann bis zu ihrem Tod leben würden. Was sonst mit klassischen Texteinblendungen gehandhabt wird, wurde in „20th Century Women“ zu einer Sammlung an Voiceover-Stimmen, die jede Figur selbst formulierte.

Antworten gibt es jetzt in „C’mon C’mon“ keine, sondern nur Fragen. Und die stellt nicht nur der Mann mit dem Mikro in der Hand, der sich vielleicht am Ende doch nur hinter dem Mikro versteckt, um sich selbst keine Gedanken machen zu müssen. Aber gut, dass es Kinder gibt, die in ihrer unkoordinierten Ahnungslosigkeit dieses Mikro aus der Hand reißen können. Weil genau das macht Jesse. Im Handumdrehen hat er nämlich den Spieß umgedreht. Die Interviewsituationen mit den Jugendlichen sind nicht gescriptet und genauso spontan erscheint auch alles, was der junge Woody Norman vorbringt. Ein Vergleich mit Jean-Pierre Léauds Antoine Doinel wäre viel zu einfach. Es ist vielmehr, was der Jungdarsteller mit Joaquin Phoenix macht und wie die beiden als Onkel-Neffe-Kombo funktionieren, was in Mike Mills neuem Film so heraussticht. Wer hätte gedacht, dass sich Joaquin Phoenix nach Joker noch so in eine andere Richtung entwickeln könnte. Die Exzentrizität, die Jesse an den Tag legt, gibt Phoenix’ Figur den Raum, jeden artifiziellen Manierismus abzustreifen und sich damit verletzbar zu machen.

„Whatever you imagine your life is going to be like, know your life is not going to be anything like that“, gab schon Greta Gerwigs Figur in „20th Century Women“ zu verstehen. „C’mon C’mon“ ist eine natürliche Verlängerung dieser Replik. Denn niemand weiß so wirklich, wie man das Leben, das Elterndasein und alles dazwischen auf die Reihe bekommt. Kinder und Erwachsene sitzen dabei im gleichen Boot. Und auch der Filmemacher selbst kann dem nicht entgehen. Die Ratlosigkeit und Überforderung der Charaktere ist in der Regie ebenfalls zu spüren. Die Schwarz-Weiß-Bilder und die Dramaturgie mäandern – was dem Film zum negativen Vorwurf gemacht werden könnte – und versuchen, in Bildern, die die amerikanische Rushhour mit den Schlangen von PKWs in ihren geregelten Bahnen zeigen, kurz zur Ruhe zu kommen. Eigentlich ist die Kamera der Versuch eines Verstehen-Wollens. Hofft July mit ihrem Film dafür zu sorgen, dass sie es nicht so macht wie ihre Figuren, so akzeptiert Mills das gelegentliche Scheitern, solange sich alle auf Augenhöhe begegnen und miteinander kommunizieren.