Verteidigung75 Jahre NATO: Die Feierlaune bleibt aus

Verteidigung / 75 Jahre NATO: Die Feierlaune bleibt aus
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg wiederholt bei jeder Gelegenheit, dass „eine starke NATO gut für die Vereinigten Staaten ist“ Foto: AFP/Kenzo Tribouillard

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Wenn die NATO am Donnerstag in Brüssel den 75. Jahrestag ihrer Gründung begeht, wird von Feierlaune nicht viel zu spüren sein.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist der größte Härtetest in der Geschichte des transatlantischen Bündnisses, der Ausgang des Krieges scheint ungewisser denn je. Zu einer Zerreißprobe für die NATO könnte zudem die mögliche Wiederwahl des früheren US-Präsidenten Donald Trump werden.

Von dem ersten NATO-Generalsekretär Hastings Lionel Ismay stammt ein viel zitiertes Bonmot. Der britische General und Politiker gab in den 1950er Jahren das Bündnisziel aus, „die Sowjetunion draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen kleinzuhalten“. Zumindest in Bezug auf die USA wirkt Ismays Spruch aktueller denn je.

Der heutige NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg wiederholt bei jeder Gelegenheit, dass „eine starke NATO gut für die Vereinigten Staaten ist“. Dank des Bündnisses hätten die USA „mehr als 30 Freunde und Verbündete“, mehr als jede andere Weltmacht, betont der Norweger. Deshalb sei es „im nationalen Sicherheitsinteresse der USA, die NATO stark zu halten“.

Die Sätze sind vor allem auf Trump gemünzt. Der Ex-Präsident hat im Bündnis mit der Drohung für Unruhe gesorgt, im Fall eines Siegs bei der Präsidentschaftswahl im November Verbündete nicht mehr zu unterstützen, wenn sie nicht genug für Verteidigung ausgeben. Er werde die Russen dann sogar ermutigen, mit ihnen zu tun, „was immer zur Hölle sie wollen“, sagte er wenige Monate vor dem Jubiläumsgipfel in Washington im Juli.

Deutschlands Rolle hat sich verändert

Inzwischen hat der 77-jährige Trump dies zwar als Verhandlungstaktik relativiert. Dennoch gibt es zwei Zukunftsszenarien für die NATO: einen weitgehenden Rückzug der USA, falls Trump siegreich aus den Präsidentschaftswahlen im November hervorgeht. Oder zumindest starken Druck auf die Europäer, ihre Sicherheit fast 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg selbst in die Hand zu nehmen.

Ein Rückzug Washingtons wäre das „Worst-Case-Szenario“, sagt James Black von der Denkfabrik Rand Corporation, welche die US-Streitkräfte berät. Dann wäre die Allianz gut 75 Jahre nach ihrer Gründung de facto tot.

Selbst bei einem Wahlsieg von Präsident Joe Biden besteht für Black jedoch ein großes Risiko, dass die USA „weniger Führungsbereitschaft“ in der Allianz zeigen und sich auf den Konflikt mit China konzentrieren. Die Europäer müssten sich also in jedem Fall ins Zeug legen. Dies gilt insbesondere auch für die Deutschen, deren militärischen Einfluss Washington noch bis in die 1960er-Jahre „eindämmen“ wollte, wie US-Dokumente aus den Jahren von Präsident Lyndon B. Johnson zeigen. Auch um die US-Zweifel auszuräumen, gab sich die Bundesrepublik nach ihrem NATO-Beitritt 1955 als Musterschüler.

Während des Kalten Kriegs habe sich Deutschland „sehr stark bemüht, insbesondere den militärischen Anforderungen zu entsprechen“, sagt die langjährige NATO-Mitarbeiterin Stefanie Babst. Unter Kanzlern wie Konrad Adenauer (CDU) und selbst unter Willy Brandt (SPD) mit seiner Ostpolitik gab Deutschland zeitweise deutlich mehr als drei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung aus. Heute erfüllt Berlin mit Ach und Krach die NATO-Quote von zwei Prozent. (AFP)