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Bosnien40 Jahre nach den ersten Maria-Erscheinungen kam Corona – und macht dem Wallfahrtsort Medjugorje schwer zu schaffen

Bosnien / 40 Jahre nach den ersten Maria-Erscheinungen kam Corona – und macht dem Wallfahrtsort Medjugorje schwer zu schaffen
Die ersten Pilger kommen wieder – aber fast ausschließlich aus Osteuropa Foto: AFP/Elvis Berukcic

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Eine Erscheinung machte das Wunder möglich: Vor 40 Jahren erschien die Jungfrau Maria sechs Jugendlichen im bosnischen Medjugorje – und verwandelte das Winzernest in ein Touristenmekka der klingenden Kassen. Doch Corona hat sich für den Wallfahrtsort als biblische Plage entpuppt.

Zumindest zum Jubiläum ihres erstmaligen Erscheinens hat die Gottesmutter die Stoßgebete der verzweifelten Gastronomen von Medjugorje erhört. „Wenigstens aus Osteuropa kommen wieder die Pilger – vor allem aus Polen, der Ukraine, Ungarn und Rumänien“, berichtet am Telefon erleichtert Davor Ljubic, der Vorsitzende des Tourismus- und Hotelierverbands in dem bosnischen Wallfahrtsort dem Tageblatt: „Wenn die epidemiologische Lage uns keinen Strich durch die Rechnung macht, können wir dieses Jahr vielleicht wieder auf 30 Prozent der Gästezahlen von 2019 kommen.“

Grillen zirpen im Gestrüpp, während die Pilger in der gleißenden Sonne schwitzend die kahle Anhöhe erklimmen. Auf dem roten Gestein des „Erscheinungshügels“ knien die betenden Gläubigen vor einer Statue der. Deren Erscheinen machte vor 40 Jahren das Dorf-Wunder möglich: Am 24. Juni 1981 Jahren erschien die Jungfrau Maria erstmals zwei Mädchen unweit des verschlafenen Winzerdorfs in der Herzegowina.

Egal, ob sie deren Friedensbotschaft wie zunächst bekannt beim heimlichen Rauchen von Zigaretten oder wie später behauptet beim Suchen nach verirrten Schafen ereilte: Insgesamt sechs Jugendliche sollten in den Tagen danach von ähnlichen überirdischen Begegnungen in der flirrenden Hitze berichten.

Metamorphosen allerorten

Die Botschaft vom wunderlichen Erscheinen der Gottesmutter verbreitete sich rasch über die Grenzen des damaligen Jugoslawiens – und sollte dem Flecken zu einer nicht minder wunderlichen Metamorphose verhelfen. Hunderttausende von Pilgern verwandelten Medjugorje („zwischen den Bergen“) in den letzten Jahrzehnten mit über einer Million Übernachtungen pro Jahr und über 12.000 Gästebetten zu einem der populärsten Touristenziele in Südosteuropa – und zum vermutlich wohlhabendsten Dorf im bitterarmen Bosnien und Herzegowina.

Das Bildnis von Maria prangt auf Shampoo-Flacons, Tassen und Feuerzeugen. Jahrzehntelang war das lukrative Pilgergeschäft für alle Beteiligten eine einträgliche Symbiose. Einkehr, Bekehrung und Frieden suchten und fanden die Gäste. Ein gutes Auskommen und klingende Kassen bescherte Maria derweil der brummenden Tourismus-Branche des Wallfahrtsorts – auch ohne offizielle Anerkennung des Vatikans.

Medjugorje ist immer noch ziemlich leer, die Gästezahlen brachen teilweise um 90 Prozent ein
Medjugorje ist immer noch ziemlich leer, die Gästezahlen brachen teilweise um 90 Prozent ein Foto: AFP/Elvis Barukcic

Während die Gottesmutter im französischen Lourdes nur 18 Mal und im portugiesischen Fatima gar nur 6 Mal erschienen war, wurden Marias Botschaften in Medjugorje bereits über 40.000 Mal vernommen: Von täglich über zweimonatlich bis jährlich reicht die Schlagzahl der Verkündigungen der sechs ebenso kommunikationsfreudigen wie geschäftstüchtigen „Seher“.

Über das von ihnen vermittelte Bild der Muttergottes als „Chefin eines Telegrafenamts, die täglich eine Nachricht schickt“, spöttelte 2017 selbst Papst Franziskus: „Warum sollte die Jungfrau zu irgendjemandem sagen: Komme morgen um dieselbe Zeit an denselben Platz – ich habe eine neue Botschaft für dich.“

Zweifel und Kritik fochten die Pilger und ihre Gastgeber in Medjugorje indes niemals an. Doch es ist das Corona-Virus, das sich für den Wallfahrtsort als biblische Heimsuchung erwiesen hat. Schon im ersten Coronajahr 2020 seien die Gästezahlen um 90 Prozent eingebrochen, berichtet Verbandschef Ljubic. Ob die Betreiber von Hotels, Restaurants, Taxi-Unternehmen, Souvenirläden oder Reisebüros: „Viele haben Kredite aufgenommen, die sie nun kaum mehr abzahlen können. Und vom bosnischen Staat gibt es keinerlei Hilfen.“

Motivierte Pilger

Auch im Vielvölkerstaat sind die Infektionszahlen in den letzten Wochen kräftig gesunken. Doch in vielen westeuropäischen Staaten sei Bosnien und Herzegowina noch immer auf der roten Liste, „obwohl wir längst grüner als grün sind“, klagt Ljubic: „Die Aussicht auf eine Quarantäne bei Rückkehr schreckt viele Besucher ab.“ Verärgert ist er auch über den Nachbarn Kroatien, der derzeit nur zwölfstündige Abstecher ins nahe Bosnien ohne Vorlage eines aktuellen Antigen-Tests bei Rückkehr erlaubt: „Die Kosten für den Test sind genauso hoch wie für eine Übernachtung mit Halbpension in Medjugorje.“

Medjugorje sei „leer“, es herrsche Verzweiflung, berichtete Anfang Juni das bosnische Webportal „klix.ba“ über die Abwanderung erster Einwohner: „Niemand kommt mehr, um die Gottesmutter zu sehen.“ Doch zumindest vorläufig hat die „Gospa“ Medjugorje erneut aus der Patsche geholfen: Seit den Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag ihres Erscheinens steuern wieder vermehrt die sehnsüchtig erwarteten Autobusse den gebeutelten Wallfahrtsort an.

Pilger hätten eine „stärkere Reisemotivation als normale Touristen“, sagt Ljubic, der für seine Branche auf „bessere Zeiten“ hofft: „Ein, zwei Jahre kann man eine solche Krise durchhalten. Doch falls die Grenzen wieder dicht gehen sollten, könnte das für einige Betriebe das Ende bedeuten.“

Observer
6. Juli 2021 - 13.15

Maria mag keine klingenden Kassen mehr, sie ist zum Antikapitalisten mutiert.