Der Ort des Grauens ist heute ein Hort des Friedens. Ein schieres Idyll für jeden, der die Bilder von einst nicht im Kopf tragen muss. Ein Schotterstreifen liegt zwischen der wenig befahrenen Departement-Straße 618 und dem Flüsschen Bareille im Mischwald, nur Vogelgezwitscher ist zu hören, ganz selten heult ein Motor. Lediglich ein schneeweißes Steindenkmal mit buntem Blumenschmuck verrät, das diese Stelle in den Pyrenäen seit 30 Jahren und auf ewig mit einer der schwärzesten Stunden der Tour de France verbunden ist.
„Der Tod von Fabio Casartelli war der schmerzvollste Moment. Und ich hoffe, dass dies auch so bleiben wird“, sagte Tour-Chef Christian Prudhomme über jenen 18. Juli 1995. Prudhomme damals junger Radioreporter auf einem Begleitmotorrad, erlebte den schlimmsten Rennunfall in der Geschichte der Frankreich-Rundfahrt hautnah: „Ich sah ihn auf dem Boden, es war so viel Blut, überall. Fürchterlich.“
Casartelli, der dort weit unten auf der Abfahrt vom Col de Portet-d’Aspet lag, verbogen und zerschmettert, verlor an diesem Tag sein Leben, als bislang letzter Fahrer während einer Tour. Der italienische Olympiasieger von 1992 wurde nur 24 Jahre alt. Sein Tod erschüttert bis heute auch deshalb, weil er so sinnlos war: Ein schlichter Helm hätte ihn wohl gerettet. Wenn das Peloton an Casartellis Todestag ganz in der Nähe unterwegs ist, bleibt sein Schicksal eine Mahnung.
„Wir werden auch deshalb nie vergessen, was das Leben eines Radfahrers ist“, sagte Prudhomme. Gefährlich nämlich, nach wie vor. Erst am Mittwoch starb der 19-jährige Italiener Samuele Privitera bei der Aostatal-Rundfahrt, 2023 erschütterte der Tod von Gino Mäder bei der Tour de Suisse die Velo-Welt. Die Anteilnahme einst am Schicksal Casartellis freilich war beispiellos.
Bei Tempo 90 ohne Helm
„Er war einfach ein großartiger Junge. Fabios Tod hat mir gezeigt, worum es bei der Tour wirklich geht“, sagte Lance Armstrong, damals 23 Jahre alt und Casartellis Teamkollege im Motorola-Team. Für den Radsport war es eine Katastrophe wie zuvor nur der tödliche Zusammenbruch von Tom Simpson 1967 am Mont Ventoux. Die ungeschminkten TV-Bilder des schwer verletzten Casartelli zur besten Nachmittags-Sendezeit nahmen dem Radsport seine Romantik, lange vor den großen Dopingskandalen.
Drei Jahrzehnte später ist das Geschehen hinreichend untersucht: ein Rennunfall eben. Und doch in seiner Drastik erschreckend. Auf der halsbrecherischen, teils über 17 Prozent steilen Abfahrt flogen Casartelli, sein Landsmann Dante Rezze und der Deutsche Dirk Baldinger bei Tempo 90 ab. Ohne, man kann es nicht oft genug sagen: Helm. Baldinger erlitt einen offenen Hüftbruch, doch Casartelli hatte es viel schlimmer erwischt.
Der lombardische Jungprofi war mit dem Gesicht auf einen Begrenzungsstein geprallt. Erbarmungslos hielten die Kameras fest, wie Casartelli bewusstlos auf dem flirrenden Asphalt lag, das Blut in Strömen aus seinen Wunden schoss. Innerhalb von zehn Sekunden waren die Ärzte bei ihm, konnten ihn reanimieren – doch drei Stunden später starb Casartelli im Krankenhaus von Tarbes.
Die Lehren aus dem Grauen: Zunächst überschaubar. Bis 2003, bis zum Tod des Kasachen Andrej Kiwilew dauerte es, ehe der Weltverband die Kopfschutzpflicht im Rennen durchsetzte. (SID)
Italienisches Radsport-Talent bei Sturz tödlich verunglückt
Der Radsport trauert um den Italiener Samuele Privitera. Das 19 Jahre alte Nachwuchstalent starb an den Folgen eines Sturzes während der Aostatal-Rundfahrt in Norditalien, wie sein Team am Donnerstag bekannt gab. „Momente wie diese sind unvorstellbar. Ihn zu verlieren, ist unbeschreiblich niederschmetternd. Ruhe in Frieden, Samuele. Du wirst immer Teil dieses Teams sein“, sagte Axel Merckx, der Chef des Hagen Berman Jayco-Teams, das als Entwicklungsteam des derzeit bei der Tour de France fahrenden Rennstalls Jayco-AlUla fungiert. Die Umstände des Sturzes von Privitera, der sich am Mittwoch während der ersten Etappe ereignete, seien „weiterhin unklar“, erklärten die Organisatoren: „Der italienische Fahrer stürzte in der Gemeinde Pontey. Er wurde vom medizinischen Dienst des Rennens behandelt und in das Parini-Krankenhaus in Aosta gebracht, wo er leider verstarb.“ Die für Donnerstag vorgesehene zweite Etappe wurde abgesagt .Straßen-Weltmeister Tadej Pogacar äußerte sich am Rande der zwölften Etappe der Tour de France zu dem tragischen Ereignis: „Es ist wirklich traurig, heute ein weiteres junges Talent zu verlieren. Verheerend“, sagte Pogacar bei Eurosport: „Es ist eine der gefährlichsten Sportarten der Welt. Das Risiko, das wir manchmal eingehen, geht zu weit. Ich fühle wirklich mit seiner Familie. Möge er in Frieden ruhen.“
 
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