„Auch wenn 30 Jahre vergangen sind, erlebe ich es so, als wäre es heute passiert“, sagte Zejad Avdic gegenüber dem Webportal der bosnischen Zeitung Oslobodjene vor der Beerdigung seines Bruders Senajid: „Das Wichtigste ist, dass die neuen Generationen sich daran erinnern – und nicht vergessen. Denn jeder vergessene Völkermord wiederholt sich.“
Nach der Einnahme der eigentlich unter Schutz des UN-Bataillons Dutchbat stehenden Muslim-Enklave am 11. Juli 1995 hatten die bosnisch-serbischen Truppen (VRS) unter Führung von General Ratko Mladic die Männer und Jungen von ihren Frauen, Müttern, Kindern und Brüdern getrennt und in Massenerschießungen in den umliegenden Wäldern systematisch liquidiert.
Um die Massaker zu vertuschen, hatte die VRS-Führung die Massengräber in den Wochen nach den Exekutionen teilweise sogar mehrmals hektisch umbetten lassen. Einerseits wurden und werden die Überreste von Opfern daher nicht selten über mehrere Massengräber verteilt aufgefunden. Andere warten, selbst Angehörige identifizierter Opfer, oft jahrelang mit der Beerdigung, weil sie nicht nur wenige Knochen bestatten wollen und auf den Fund weiterer Teile der verstümmelten Skelette hoffen.
Zwölf Jahre hatte beispielsweise die 63-jährige Witwe Mevlida Omerovic gewartet, bevor sie am Freitag eben die zwei 2013 gefundenen und per DNA-Abgleich identifizierten Kieferknochen ihres 1995 ermordeten Mannes Hasib bestatten ließ. „Ich hatte gewartet, ob noch mehr Knochen von ihm gefunden werden. Aber ich habe mich nun doch für die Beerdigung entschieden, damit ich weiß, wo sein Grab ist – und ich es besuchen kann.“
„Unsere Kinder wurden getötet, weil sie einen anderen Namen und Vornamen hatten“, so auf der Gedenkfeier die Vorsitzende des Verbands der Mütter von Srebrenica, Munira Subasic, die vor 30 Jahren 22 Angehörige verlor – darunter ihren Mann und ihren Sohn: „Während ich hier stehe, erleben viele Mütter in der Ukraine und in Palästina dasselbe, was wir 1995 mitmachen mussten.“
Serbiens Führung nicht in Potocari
Zwar nahmen am Donnerstag wie jedes Jahr auch serbische Menschenrechtsaktivistinnen an der Gedenkfeier teil und veröffentlichte die Initiative „Menschen gedenken der Menschen“ in der Belgrader Zeitung Danas eine 16-seitige Anzeige mit den Namen aller 8.372 Opfer. Doch zum zehnten Mal in Folge glänzte Serbiens Führung in Potocari erneut durch Abwesenheit.
An der Feier zum 15-jährigen Jahrestag des Völkermords hatte 2010 noch der damalige Staatschef Boris Tadic teilgenommen. 2015 war der damalige Premier und heutige Präsident Aleksandar Vucic nach Potocari gereist und war dort mit Stein- und Schuhwürfen empörter Trauergäste empfangen worden: Während des Bosnienkriegs hatte der damalige Ultranationalist im Parlament erklärt, dass für jeden getöteten Serben „hundert Moslems“ getötet werden müssten.
Sowohl in Serbien als auch im bosnischen Teilstaat der Republika Srpska wehren sich die nationalistischen Machthaber verbissen gegen die vom UN-Kriegsverbrechertribunal, dem Internationalen Gerichtshof und der UN-Vollversammlung bestätigten Tatbestand des Genozids. Am Jahrestag selbst hielten sich Serbiens Würdenträger mit ihren üblichen Anstrengungen zur Relativierung von Srebrenica zwar zurück. Doch dafür ließen sie die regierungsnahen Medien gegen die vermeintliche Diskriminierung von Serbien als Genozid-Nation vom Leder ziehen.
„Mit Hilfe von Srebrenica wollen sie Serbien für immer abstempeln“, titelte die regierungsnahe Politika: „Wir sind noch immer im Visier des Westens, der seit Jahren versucht, uns zur Hinnahme der Behauptung des Völkermords zu treiben.“ „Sie wollen unsere Kinder lehren, dass die Serben eine Genozid-Nation sind!“, empörte sich das Boulevardblatt Alo!.
De Maart
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