Es war die frohe Botschaft in der Nachweihnachtswoche: Am Dienstag durfte ein Schiff der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ im sizilianischen Hafen von Augusta anlegen. 558 Migranten, die aus Seenot gerettet wurden, konnten nach einer Woche Umherirrens auf dem Meer endlich an Land gehen.
Vor der Küste wartet noch die „Seawatch 3“ auf die Erlaubnis, einen italienischen Hafen anlaufen zu dürfen. Erst zu Weihnachten hatte das Schiff der Berliner Organisation nochmals 96 Schiffbrüchige aus einem Schlauchboot gerettet, unter ihnen eine Frau, die im neunten Monat schwanger war, und ein erst zwei Wochen altes Baby.
Weitere Flüchtlinge wurden von der italienischen Küstenwache aufgenommen. Sie befanden sich im 80-Kilometer-Raum der italienischen Territorialgewässer. Die Flüchtlinge waren zuvor von einem Aufklärungsflugzeug der EU-Grenzschutzagentur Frontex ausgemacht worden. Die Küstenwachboote der italienischen Marine brachten an Heiligabend 718 Flüchtlinge in den Hafen des kalabrischen Crotone. Trotz des ungemütlichen Wetters über dem Mittelmeer hält der Flüchtlingsstrom auch über Weihnachten und den Jahreswechsel unvermindert an.
Die Zahl der geretteten Migranten stieg 2021 gegenüber jenen des Vorjahres dramatisch. Statistiken des italienischen Innenministeriums zufolge waren bis zum 29. Dezember 66.482 Flüchtlinge an den Küsten des Belpaese angelandet. Noch im Vorjahr waren es „lediglich“ 34.134 Menschen, 2019 sogar nur 11.421, die den gefährlichen Weg übers Meer wagten. Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge sind in diesem Jahr 1.864 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken – die Dunkelziffer dürfte jedoch um ein Vielfaches höher sein. Gerade in den unwirtlichen Monaten von November bis März/April dürfte die Gefahr des Kenterns der hochseeuntauglichen Wasserfahrzeuge erheblich steigen.
EU hat noch immer keine gemeinsame Lösung
Dennoch machen sich die Flüchtlinge – ein Viertel von ihnen kommt aus Tunesien – auf den gefährlichen Weg. Der an Gefährlichkeit nur noch übertroffen wird von der langen Passage aus Syrien und der Türkei. Denn die Tatsache, dass die griechische Grenzpolizei alle aufgegriffenen Flüchtlinge in diese Länder zurückschickt, hat sich bei den Migranten inzwischen herumgesprochen. Hilfsorganisationen und UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR befürchten heute schon, dass sich mit weiterer Machtausdehnung der Taliban in Afghanistan und der damit verbundenen Einschränkung bürgerlicher Rechte der Flüchtlingsstrom auf dieser Route aus dem Nahen Osten noch verstärken wird.
Doch noch immer haben die Verantwortlichen in der EU sich auf keine gemeinsame Lösung zur Klärung der Flüchtlingsfrage einigen können. Dieses Lavieren ermöglicht es den rechtsextremen Populisten und Nationalisten – wie in Italien Matteo Salvini von der Lega oder Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia) –, ihren flüchtlings- und ausländerfeindlichen Kurs weiterzusteuern. Wenige Ausnahmen, wie eine kürzlich beschlossene Erleichterung der Arbeitserlaubnis für Migranten, sind da nur Tropfen auf den heißen Stein. Und solange sich die politische Lage in den Herkunftsländern – auch unter dem Druck der internationalen Gemeinschaft – nicht ändert, wird auch 2022 ein weiteres Jahr werden, in dem sich Flüchtlinge auf die gefährlichen Routen begeben.
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