Nicht, dass die Briten dem Tag besondere Bedeutung beimaßen. Zu beschäftigt sind sie mit der seit vielen Jahrzehnten beispiellosen Streikwelle, die immer wieder Post und Eisenbahn lahmlegt, diese Woche sogar die Gesundheitsversorgung gefährdete. Da bleibt wenig Zeit für Reflexionen über das 74-jährige Staatsoberhaupt, dessen wichtigste Funktion, dem Beispiel der im September verstorbenen Elizabeth II. folgend, ohnehin das freundliche, gelegentlich auch prunkvolle Repräsentieren sein sollte. Wenn er nicht, auch darin der Mutter ähnlich, weitgehend geräuschlos Weichen für die Zukunft stellt, um der Monarchie das langfristige Überleben zu sichern.
Umsichtig repräsentiert haben Charles und seine praktisch veranlagte Frau Camilla in den Tagen unmittelbar nach dem Tod der Queen. Auch den ersten Staatsbesuch eines ausländischen Gastes brachte das Paar mit Bravour hinter sich: In neun Sprachen, die in Südafrika gesprochen werden, begrüßte der König im November seinen Gast, den Staatspräsidenten Cyril Ramaphosa.
„Prophetisch“ in Umweltfragen
Wie sehr er den 70-Jährigen damit beeindruckte, ging aus dessen Antwortrede und Körpersprache hervor – nicht die beinahe ehrfürchtige Hochachtung, die viele Menschen zuletzt der Queen entgegengebracht hatten, vielmehr beinahe so etwas wie ein Treffen unter Gleichgesinnten, fast Freunden. Viele von Charles’ Äußerungen zu Umweltproblemen wirkten im Nachhinein „sehr prophetisch“, lobte der Besucher.
Den Eindruck haben mittlerweile viele Menschen weltweit – weshalb es umso peinlicher wirkte, als die Kurzzeit-Premierministerin Liz Truss im Herbst dem König die Teilnahme an der UN-Klimakonferenz im ägyptischen Scharm el-Scheich untersagte. Truss‘ Nachfolger Sunak hielt an der Entscheidung fest, machte sich aber nach anfänglichem Zögern wenigstens selbst auf die Reise nach Ägypten.
Der Regierungschef ist mit seinen 42 Jahren gerade mal zwei Jahre älter als Charles‘ älterer Sohn und Thronfolger. Der Einfluss von William und dessen kluger Frau Kate hat, so scheint es, in den vergangenen Wochen zugenommen. Charles scheint zu beherzigen, dass er sich von manchen liebgewonnen Vorstellungen verabschieden und die Ideen der jüngeren Generation berücksichtigen muss.
„König der Unruhestifter“, hat Charles’ Biografin Catherine Mayer den Monarchen genannt und damit auf die vielfältigen Konflikte angespielt, die der Thronfolger über die Jahrzehnte vom Zaun gebrochen hatte. Dass ihm in der neuen Rolle Zurückhaltung auferlegt ist, hat der König gleich in seiner ersten Ansprache einen Tag nach dem Tod seiner Mutter verdeutlicht. Beim ungewohnten Schweigen ist er – jedenfalls weitgehend – bisher geblieben.
Noch im Juni hatte der Thronfolger beispielsweise das Vorhaben der konservativen Regierung, Asylbewerber nach Ruanda abzuschieben, als „entsetzlich“ gekennzeichnet, ganz im Einklang mit der Spitze der anglikanischen Staatskirche. Inzwischen dürfen Äußerungen zu solch emotionalen und umstrittenen – die Asylpolitik wurde gerichtlich gestoppt – Problemen höchstens noch diskret ausfallen: Diese Woche wurde beim königlichen Adventsgottesdienst in der Westminster Abbey an den Flüchtlingsstatus des neugeborenen Jesus und seiner Eltern erinnert; die Auswahl des Gedichts hatte Charles getroffen, wie das Programm ausdrücklich vermerkte.
Krönung im „Geist unserer Zeiten“
Da darf man gespannt sein auf die Details der Krönung von König und Königsgemahlin Camilla im Mai, die ja, wie der Palast mitgeteilt hat, den „Geist unserer Zeiten“ berücksichtigen soll. Entschlacken will der neue Monarch die Zeremonie, sie auch globaler gestalten. Wie aber den Konflikt lösen um den berühmten Diamanten Kor-i-Noor, der zu den britischen Kronjuwelen zählt, aber von Indien zurückgefordert wird? Da wird es im neuen Jahr noch viel Bedarf an tragfähigen Kompromissen geben.
Ganz vorne dran steht dabei die Frage, wie die Monarchie mit dem abtrünnigen Herzogspaar Harry und Meghan umgehen will. Anlässlich der jetzt ausgestrahlten, sechsteiligen Netflix-Serie, in der die Kalifornier nochmals all ihre echten oder vermeintlichen Auseinandersetzungen mit Harrys Familie weitschweifig zur Sprache brachten, hüllte sich das Königshaus in beredtes Schweigen. Ob diese Taktik auch verfängt, wenn im Januar die Prinzen-Autobiografie „Reserve“ erscheint?
Rechtzeitig vor der Krönung wird Charles sehr öffentlich den Versuch einer Aussöhnung mit seinem „Darling-Sohn“ und dessen selbstbewusster Gattin unternehmen müssen. Mag sein, dass die Kluft zwischen dem Narzissmus des kalifornischen Herzogspaares und der königlichen Pflichterfüllung schon zu groß geworden ist; dann sollte in der Wahrnehmung des Souveräns, also des Volkes, wenigstens deutlich sein, dass ein Ausgleich nicht am König gescheitert ist.
De Maart
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