ÖsterreichGegen Corona-Leugner engagierte Ärztin wurde in den Tod getrieben

Österreich / Gegen Corona-Leugner engagierte Ärztin wurde in den Tod getrieben
Eine Frau steht vor dem Gesundheitsministerium in Wien vor Blumen und Kerzen, die für die verstorbene Ärztin niedergelegt wurden Foto: Tobias Steinmaurer/APA/dpa

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Eine österreichische Ärztin bekommt jetzt die Aufmerksamkeit, die sie sich gewünscht hätte, bevor sie von radikalen Impfgegnern und überforderten Behörden in den Selbstmord getrieben wurde.

Jetzt werden wieder die Betroffenheitsrituale abgespult. Montagabend fanden sich auf dem Wiener Stephansplatz Hunderte Menschen zu einem Lichtermeer ein, in anderen Städten wurden „Mahnwachen“ abgehalten. Es ging um „ein starkes gemeinsames Zeichen für gesellschaftlichen Zusammenhalt und gegen Hass“, wie einer der Initiatoren verkündete. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat schon getwittert: „Hass und Intoleranz haben in unserem Österreich keinen Platz.“

Lisa-Maria Kellermayr hatte eine andere Erfahrung machen müssen. Die seit gut einem Jahr in Seewalchen am oberösterreichischen Attersee ordinierende Landärztin war im vergangenen November ins Visier radikaler Impfgegner geraten. Anlass war ein Tweet über eine Demonstration vor dem Klinikum ihrer Heimatstadt Wels: „Eine Demo der Verschwörungstheoretiker … blockiert sowohl den Haupteingang zum Klinikum als auch die Rettungsausfahrt des Roten Kreuzes.“ Obwohl sie diesen Tweet löscht, weil die Polizei klarstellt, dass eine zweite Zufahrt zum Spital frei geblieben war, ist Kellermayr ab nun in den Schwurblergruppen auf Telegram nur noch die „Impfärztin aus Seewalchen“.

Detaillierte Morddrohungen

Es hagelt Anfeindungen, Beleidigungen und Morddrohungen. Nicht nur schnell hingeschriebene Beschimpfungen, sondern auch ausführliche Mordfantasien mit blutigen Beschreibungen des ihr blühenden Schicksals. „Hallo du Stück Scheiße“ schreibt einer und kündigt an, er werde als Patient kommen, sie an den Stuhl fesseln und zusehen lassen, wie er ihrem Mitarbeiter die Kehle durchschneide. Ihr selber wolle er danach „den ganzen Rest an Impfstoff ins Gehirn pumpen, der noch in der Praxis ist. So wirst du langsam und sicher sterben und gehst ganz bestimmt in die Kategorie Impfschaden ein“.

Am 22. November zeigt Kellermayr ein solches Drohschreiben bei der Polizei an. Schon tags darauf erklärt die Landespolizeidirektion, dass die Spur ins Darknet führe und eine Verfolgung daher rechtlich nicht möglich sei. Ab Ende November schaut zumindest einmal täglich eine Polizeistreife in der Ordination vorbei. Die Ärztin fühlt sich dennoch nicht sicher. Sie engagiert einen privaten Sicherheitsdienst und richtet in der Praxis einen Panikraum ein. Nicht nur einmal fängt der Türsteher „Patienten“ mit Messern ab. Ob sie wirklich in Mordabsicht gekommen waren oder die Stichwaffe einfach so in der Tasche trugen, bleibt unklar.

Klar ist nur, dass Kellermayrs Angst nicht kleiner und sie damit weitgehend allein gelassen wird. Drei Monate später wird zwar im bayerischen Starnberg ein Verdächtiger ausgeforscht, der den dortigen Ermittlern aber die Aussage verweigert. Die Staatsanwaltschaft Wels stellt daraufhin das Verfahren ein. Man sei nicht zuständig, so die Begründung, denn bei Drohungen im Internet sei der Computer des Täters der Tatort.

Die Bedrohte bleibt unter Beschuss der Impfgegner und fühlt sich von den Behörden im Stich gelassen. Das sagt sie auch öffentlich, was wiederum bei der Polizei nicht gut ankommt. „Insgesamt wurde zunehmend der Eindruck gewonnen, dass Frau Dr. Kellermayr sich über verschiedene Schienen bemüht, die öffentliche Wahrnehmung ihrer Person zu erweitern, indem sie Druck auf die Ermittlungsbehörden ausübt“, heißt es in einem Aktenvermerk der oberösterreichischen Polizei. Nicht gut kommt auch der Einsatz einer deutschen Internet-Spezialistin an, der Kellermayr die Drohmails samt zugehörigen Metadaten übermittelt. Die identifiziert binnen weniger Stunden einen Verdächtigen in der deutschen Rechtsextremistenszene. Polizei und Verfassungsschutz in Österreich wehren den Vorwurf der Untätigkeit mit dem Hinweis auf die rechtlichen Rahmenbedingungen ab: Die deutsche Hackerin habe Methoden angewendet, die den Sicherheitsbehörden nicht erlaubt seien.

In Konkurs getrieben

Allein bleibt Kellermayr auch mit den Kosten, die der Psychoterror verursacht. Praxisumbau und Bodyguard verschlingen Geld, das eine junge Landärztin nicht hat. „Die Sicherheitskosten übersteigen den Gewinn einer Hausarztpraxis um ein Vielfaches“, twittert Kellermayr am 27. Juni und verkündet die Schließung der Praxis. Es sollte aber nur ein vorläufiges Ende sein, bis die Finanzierung gesichert und vor allem die Sicherheit wieder garantiert wäre. Es gab Ideen, etwa Crowdfunding, aber letztlich doch keine Lösung, sodass der Konkurs im September im Raum stand.

In dieser Situation sah die Ärztin nur noch eine mögliche „Therapie“: Vor zwei Wochen setzte sie sich in ihrer Ordination eine Infusion mit einer tödlichen Substanz, wurde aber gerade noch rechtzeitig entdeckt und gerettet. Wieder blieb Kellermayr aber allein mit ihrem Problem. Der Amtsarzt sah nach dem gescheiterten Suizidversuch keine Notwendigkeit, Kellermayr einer entsprechenden Behandlung zuzuweisen.

Vorigen Freitag langt in der Landespolizeidirektion in Linz diese Nachricht Kellermayrs ein: „Kein Stress, Sie werden mich wohl nicht mehr lebend finden. Es ist 02:30. Ich habe mich in den Panikraum zurückgezogen und werde mich umbringen. Ich kann nicht mehr…“ Am Ende des Abschiedsbriefes steht: „Ich verwünsche die Landespolizeidirektion Oberösterreich!“

Kein Stress, Sie werden mich wohl nicht mehr lebend finden. Es ist 02:30. Ich habe mich in den Panikraum zurückgezogen und werde mich umbringen. Ich kann nicht mehr…

Dr Lisa-Maria Kellermayr, Nachricht an die Landespolizeidirektion Linz

Der zweite Selbstmordversuch gelingt. Kellermayr wird nur noch tot aufgefunden. Die Situation ist eindeutig. Die Staatsanwaltschaft schließt „Fremdverschulden“ aus. Das juristisch Zutreffende klingt vor diesem Hintergrund himmelschreiend zynisch.

Das offizielle Österreich ist daher gerade sehr betroffen. Jenes offizielle Österreich, das an diesem Lichtermeer-Montag die letzten Corona-Schutzmaßnahmen fast völlig abgeschafft hat, obwohl die Pandemie in der letzten Juli-Woche 103 Todesopfer und damit siebenmal so viele wie im Jahr davor gefordert hat.

Der „gesellschaftliche Zusammenhalt“, den vom Bundespräsidenten abwärts jetzt alle beschwören, hat eben seinen Preis. Manche kostet er das Leben.