ItalienPostfaschistin Giorgia Meloni könnte nächste Regierungschefin werden

Italien / Postfaschistin Giorgia Meloni könnte nächste Regierungschefin werden
Giorgia Meloni, Parteichefin von Fratelli d’Italia, spricht bei einer Veranstaltung ihrer Partei Foto: Cecilia Fabiano/LaPresse via ZUMA Press/dpa

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Nach dem Rücktritt Mario Draghis und der Auflösung des Parlaments sieht sich Italien mit einem politischen Vakuum konfrontiert. Die Bewegung 5 Sterne und die Demokratische Partei werden kaum die erforderliche Wählerschaft mobilisieren können, um erneut eine Regierung zu bilden. Die rechten Parteien Fratelli d’Italia, Lega und Forza Italia wollen die Lücke ausfüllen. Mit Giorgia Meloni könnte nach Mussolini erstmals wieder eine Politikerin der extremen Rechten Regierungschefin werden.

Während sich in Italien die Parteien der Linken und der bürgerlichen Mitte noch über den Rücktritt von Premier Mario Draghi und den aktuellen Zusammenbruch der Koalitionsregierung die Augen reiben, hat sich die Rechte bereits konsolidiert. Am vergangenen Mittwoch haben die Spitzen der drei Mitte-rechts-Parteien Fratelli d’Italia (FdI), Lega und Forza Italia (FI) getagt, um über die Konturen einer möglichen Regierung nach den Wahlen am 25. September zu beraten. Obwohl Lega-Chef Matteo Salvini und der ewige FI-Vorsitzende Silvio Berlusconi sich am liebsten selbst auf dem Chefsessel im Palazzo Chigi sähen, mussten sie sich dem Willen der sowohl agilen als auch resoluten Chefin der postfaschistischen FdI, Giorgia Meloni, beugen. Der Kompromiss lautet, Regierungschef(in) wird, wer nach den Wahlen eine Stimme mehr auf sich vereinigen konnte.

Meloni scheint da gut Lachen zu haben, denn in allen jüngsten Umfragen liegt ihre Partei mit Werten zwischen 22 und 25 Prozent deutlich vorn. Die Lega kann nur auf etwa 12 Prozent der Stimmen hoffen, und die immer stärker zerbröselnde Forza Italia mag froh sein, wenn sie noch über sieben Prozent der Wählergunst auf sich vereinen darf. Doch immerhin dürfte das rechte Bündnis zusammen einen Stimmenanteil um die 43 Prozent auf sich vereinigen können und damit über eine solide Mehrheit verfügen, die es ihr gestattet, die neue Regierung zu bilden. Nach den gegenwärtigen Umfragewerten könnte Giorgia Meloni nicht nur die erste Frau im Sessel des italienischen Ministerpräsidenten sein, sondern genau 100 Jahre nach Benito Mussolinis „Marsch auf Rom“ am 30. Oktober 1922 wieder eine zumindest profaschistische Regierung installieren.

Italien und Europa verunsichert

Noch hat der eigentliche Wahlkampf keine Fahrt aufgenommen, da verstören schon die wildesten Gerüchte die Wählerschaft: Die römische Zeitung La Stampa titelte am Donnerstag, russische Botschaftsangehörige hätten im Vorfeld des Draghi-Rücktritts Kontakt zu Berlusconi und Salvini aufgenommen, um Optionen des Sturzes der „Regierung der nationalen Einheit“ zu prüfen. Zwar beeilten sich der nationale Sicherheitsrat Copasir sowie der für Sicherheitsfragen zuständige Staatssekretär Franco Gabrielli zu versichern, die Nachricht „entbehre jeglicher Grundlage“, doch lässt die langjährige Verbundenheit zwischen den beiden italienischen Rechtspolitikern und Russlands Präsidenten Wladimir Putin derartige Gerüchte im Wahlvolk lange köcheln. Da hilft es auch wenig, dass Giorgia Meloni in öffentlichen Auftritten ihre positive Haltung zur Unterstützung der Ukraine sowie zum atlantischen Bündnis betont. Europa dürfte mit einer von der rechten Troika gebildeten Regierung Schwierigkeiten bekommen. Man darf einen harten, selbstbewussten außenpolitischen Kurs erwarten, der sich eher an Strömungen orientiert, wie sie von Frankreichs Marine Le Pen, Ungarns Viktor Orbán oder der polnischen PiS gefahren werden.

Auch innenpolitisch dürften die Töne einer Regierung, die in erster Linie dem Kurs der FdI folgt, schärfer und konservativer werden, als es selbst den bürgerlichen Wählern schmecken könnte. Parteichefin Meloni sieht sich selbst als nationalkonservative Katholikin. Strikt homophob, lehnt sie die gleichgeschlechtliche Ehe ebenso ab wie die Möglichkeit, dass Homosexuelle Kinder adoptieren dürfen. Sie lehnt sowohl Schwangerschaftsabbrüche als auch Sterbehilfe, etwa bei unheilbaren Krankheiten, ab.

Doch nicht nur drastische Eingriffe in das Privatleben, sondern auch ein übersteigerter Nationalismus kennzeichnet die politischen Vorstellungen der FdI-Chefin. Getreu ihrem US-amerikanischen Vorbild Donald Trump gibt sich Giorgia Meloni als Mission „Italia first“. Hier trifft sie sich mit ihrem künftigen Koalitionspartner Matteo Salvini. Für viele Italiener ist eine solche Haltung suspekt, zumal das Land wirtschaftlich eigentlich unlöslich mit der europäischen Staatengemeinschaft verbunden ist und autark nicht überleben könnte.

Nationalismus aus alten Quellen

Wie sehr sich Meloni trotz gegenteiliger Bekundung von den Zielen der EU entfernt, zeigt sich in den souveränistischen Programmen der Fratelli d’Italia. Im Europaparlament gehört Melonis FdI der Fraktion der „Europäischen Konservativen und Reformer“ an, zu denen neben Polens PiS auch die rechtsextremen Schwedendemokraten und Vox aus Spanien gehören. Sie stellen sich die EU eher als einen lockeren Zusammenschluss eines „Europas der Nationalstaaten“ vor. Silvio Berlusconis Forza Italia hingegen ist in der „Europäischen Volkspartei“ verankert, deren Vertreter sich durch den neuen Kurs in Italien zusehends beunruhigt fühlen.

Melonis Nationalismus kommt nicht von ungefähr. Schon als 15-Jährige trat sie der römischen Sektion der „Fronte della Gioventù“, der Jugendorganisation der Mussolini-Nachfolgepartei „Movimento Sociale Italiano“ (MSI), bei. Biografen vermuten, dass dies eine Protestreaktion gegen den kommunistischen Vater gewesen sei, der die Familie im „roten Arbeiterbezirk“ Roms, Garbatella, zurückgelassen hatte. Als Parteichef Gianfranco Fini den MSI in „Alleanza Nazionale“ (AN) umbenannte, ein Imagewechsel, um ohne den faschistischen Schatten koalitionsfähig zu werden, folgte Meloni, nicht ohne dem rechtsradikalen Kern treu zu bleiben. Die beredte Journalistin machte bald Parteikarriere.

Silvio Berlusconi, der bis heute als ihr politischer Ziehvater angesehen werden kann, holte sie 2008 als Ministerin für Jugend und Sport in sein Kabinett. Mit 31 Jahren war sie zu der Zeit die jüngste Ministerin Italiens. Mit dem Ende von Berluconi sank auch die Bedeutung der AN, die unter Fini in des „Cavalieres“ „Popolo della Libertà“ aufgegangen war. Unzufrieden mit dem Niedergang der Partei, bei dem die einstigen Ziele von MSI und AN völlig verschwanden, gründete Meloni gemeinsam mit dem militanten Ex-Verteidigungsminister Ignazio La Russa 2012 die Bewegung „Fratelli d’Italia“. Der Name lehnt sich an die erste Zeile der durchaus als martialisch zu bezeichnenden italienischen Nationalhymne an. Befreit von allen Kompromissen, die der zunehmend als moderat geltender Gianfranco Fini eingegangen war, kehrte die junge Partei zu ihren einstigen Positionen zurück.

„Unbefleckte“ Politikerkarriere

Zwar distanzierte sich Meloni von allzu gestrigen Mussolini-Anhängern, doch sah sie den Faschismus stets als eine legitime Phase in der italienischen Geschichte an. Auch wenn sich die Parteispitze als auf dem Grund der demokratischen Gesellschaft stehend präsentierte, hatte die Partei bei Wahlen zunächst keinen Erfolg. Es war schwierig, die Lega von Matteo Salvini rechts zu überholen. Das änderte sich erst, als Salvini eine Koalition mit der allseits suspekten populistischen Protestbewegung Movimento 5 Stelle einging. Und noch mehr als die Lega sich nach dem Scheitern der beiden Regierungen Giuseppe Contes der Koalition von Mario Draghi andiente.

Nun konnten Meloni und FdI beweisen, dass sie strikt und treu zu ihrem Programm stehen und von allen Kompromissen, Skandalen und Niederlagen „unbefleckt“ ihren Weg gehen. Wie erfolgreich dieser ist, schlägt sich im Vergleich von Wahlergebnissen und Prognosen nieder: Konnten die „Fratelli“ zu den Parlamentswahlen 2018 nur etwa vier Prozent der Stimmen auf sich vereinigen, liegen sie jetzt in den Umfragen mit fast 25 Prozent deutlich an der Spitze aller politischen Bewegungen.

Was nicht bedeutet, dass die Italiener gerade ihr Herz für ultrarechte Positionen entdeckt haben. Der deutliche Sympathiezuwachs von FdI ist eher auf die Unzufriedenheit des Wahlvolks mit der aktuellen Politik, dem unentschiedenen Umgang mit den Problemen des Landes, der Inflation, Wirtschafts- und Energiekrise sowie die außenpolitische Lage im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg zurückzuführen.

Allerdings kommt die streng nationalistische Gangart Melonis im rechten Lager nicht überall gut an. Aus Protest gegen die Allianz mit der Souveränistin verließen führende FI-Mitglieder, wie Berlusconis langjähriger Vertrauter Renato Brunetta oder die derzeitige Ministerin für den Süden, Mara Carfagna, Forza Italia.

Um die bürgerlichen Wähler nicht zu verschrecken, beschlossen die drei Rechtsparteien, jeweils mit einem eigenen Kandidaten für das Regierungsamt ins Rennen zu gehen: FI mit Silvio Berlusconi – der sich kurz vor seinem 86. Geburtstag nochmals einen Wahltriumph verspricht –, die Lega mit Matteo Salvini und schließlich FdI mit Giorgia Meloni. Mit der Formel „Wer eine Stimme mehr hat, wird Premier“ scheint sich die FdI-Chefin dennoch siegesgewiss ins Fäustchen zu lachen.