Ukraine-KriegIslamisten in Putins Windschatten

Ukraine-Krieg / Islamisten in Putins Windschatten
Großmufti Tadzhuddin adelte Putins Krieg zum „Dschihad“ Foto: Kreml

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Eine sich europäisch gebende, aber russisch geführte Organisation mit Nähe zur Muslimbruderschaft forciert die Rettung Europas durch den Islam.

Wladimir Putin führt seinen Krieg nicht nur mit dem Segen des orthodoxen Patriarchen Kyrill I. Großmufti Talgat Tadzhuddin hat die Teilnahme von Muslimen an der Invasion in der Ukraine zum Dschihad und dort Gefallene zu Märtyrern erklärt.

Die islamische Dimension des Konfliktes verdient mindestens ebenso Beachtung wie die christlich-orthodoxe. Denn Putin hat im politischen Islam offenbar einen Hebel entdeckt, der einem seit Jahren verfolgten Ziel Moskaus dienlich ist: die Destabilisierung Europas.

„Islam Rettung Europas“

Besonderes Augenmerk verdient dabei das 2018 in Barcelona gegründete European Muslim Forum (EMF). Es ist in Paris und Kopenhagen registriert, eng mit dem türkischen Regime vernetzt und hat an der Spitze einen russischen Putin-Fan: Abdul-Wahed Nijasow. Auf Facebook hat der 1969 im sibirischen Omsk geborene und als Wohnsitz Brüssel angebende EMF-Präsident am 3. Juni seine Vision gepostet: „Der Islam ist die Rettung Europas!“

EMF-Präsident Nijasow (r.) mit Putins tschetschenischem Statthalter Kadyrow 
EMF-Präsident Nijasow (r.) mit Putins tschetschenischem Statthalter Kadyrow  Foto: Facebook

Daran arbeitet er offenbar auch in der Ukraine, wo er im April bei Mariupol an der Seite tschetschenischer Kämpfer fotografiert wurde. Aus seiner Nähe zum Tschetschenen-Präsidenten Ramsan Kadyrow macht Nijasow, der vor der Präsidentschaftswahl in Russland im Jahr 2008 eine Bewegung „Muslime für Putin“ gegründet hatte, kein Geheimnis. Zuletzt traf er Putins Statthalter in Grosny im vergangenen Oktober.

Muslimbrüder

Eng ist Nijasow auch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Schon 1995 feierte er mit dem damaligen Bürgermeister von Istanbul am 29. Mai den Jahrestag der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen im Jahr 1453. Im vergangenen März beriet Nijasow in Istanbul mit Erdogans Sohn Bilal und der Religionsbehörde Diyanet über muslimische Kooperationen in „Großeuropa“. Bei der Gelegenheit wurde auch die deutsche Connection sichtbar: Zu den Gesprächen am Bosporus kam auch EMF-Ratsmitglied Samir Falah, Ex-Präsident der vom Verfassungsschutz der Muslimbruderschaft (MB) zugerechneten Deutschen Muslimischen Gesellschaft (DMG).

Dass bestimmte rechte und linke Gruppen durch Russland unterstützt werden, ist bekannt. Man hat in jüngerer Zeit verstanden, dass auch Islamisten diesen Zweck erfüllen.

Politologin Nina Scholz

Verbindungen zur Muslimbruderschaft offenbart auch die nach einer Corona-Zwangspause im Januar in Katar wiederbelebte Kooperation des EMF mit der Internationalen Union Muslimischer Gelehrter (IUMS). Diese wurde vom MB-Chefideologen Yusuf al-Qaradawi gegründet, der in seinen Büchern zur Ermordung von Juden aufruft.

Unlautere Praktiken

Der vom EMF als Ratsmitglied ausgewiesene Chef der Islamischen Föderation Berlin, Murat Gül, bestreitet Verbindungen zu der Organisation. Er habe, so Gül zum Tageblatt, Nijasow vor einigen Jahren in Hamburg bei einer Veranstaltung getroffen, sei aber nie EMF-Mitglied gewesen. Er habe das Nijasow-Büro bisher vergeblich zur Entfernung seines Namens von der EMF-Homepage aufgefordert. Gül will nun juristische Möglichkeiten prüfen.

Auch bei politischen Parteien in der EU sucht das EMF Einfluss. So jubelte Nijasow Anfang Juni über den Auftritt des bosnischen Politikers Bakir Izetbegovic beim Kongress der Europäischen Volkspartei (EVP) in Rotterdam. „Wir unterstützen unseren Bruder voll dabei, seinem Land eine europäische Zukunft zu eröffnen“, schrieb Nijasow auf Facebook unter einem Foto von einem Treffen mit Izetbegovic im Juli 2021, bei dem dieser seinen Eintritt ins EMF-Kuratorium zugesagt haben soll. Ein EU-Beitritt der Balkanländer gefiele Nijasow: „Denn ein wesentlicher Teil der Bevölkerung sind Vertreter der muslimischen Völker des Kontinents.“

Blinde Politik

Das könnte auch mehr Einfluss islamistischer Organisationen und damit Konfliktpotenzial für die EU bedeuten. Das wäre ganz im Sinn Putins. Die Wiener Politologin Nina Scholz sieht das EMF daher „als Teil von Putins hybrider Kriegsführung gegen Europa“. Es gehe dem Kreml darum, Organisationen zu stärken, die antidemokratische Ziele verfolgen, so die Autorin des Buches „Alles für Allah – Wie der politische Islam unsere Gesellschaft verändert“. „Dass bestimmte rechte und linke Gruppen durch Russland unterstützt werden, ist bekannt. Man hat in jüngerer Zeit verstanden, dass auch Islamisten diesen Zweck erfüllen.“

Gegenüber dem Tageblatt bezweifelt Scholz „angesichts des zumeist leichtsinnigen allgemeinen Umgangs mit der Gefahr durch legalistisch operierende Islamisten, zu denen das EMF zweifelsohne gehört, dass eine versuchte Destabilisierung durch islamistische Kräfte erkannt wird“. Das Bewusstsein sei, so Scholz, nicht einmal im Energiesektor vorhanden gewesen, wo die Möglichkeit der Destabilisierung wesentlich klarer auf der Hand lag.