EditorialWerden wir aus Erfahrung dümmer? Das Gefühl der Endlosschleife verhärtet sich jedenfalls

Editorial / Werden wir aus Erfahrung dümmer? Das Gefühl der Endlosschleife verhärtet sich jedenfalls
Es bleibt faszinierend und schaurig zugleich, wie die Wissenschaft fast jede Pandemie-Entwicklung richtig voraussagt und abschließend trotzdem immer alle baff sind ob der neuen „bösen Überraschungen“ Foto: AFP

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Vor knapp zwei Jahren begannen wir, uns auch in Luxemburg mit dem Coronavirus zu beschäftigen. Virologe Claude Muller erklärte uns damals im Tageblatt-Interview, Ende Januar 2020, den Stand der Dinge zur „neuen Gefahr aus China“. Auch Muller war sich noch unsicher, was da alles auf uns zukommen könnte, wusste aber: „Eine böse Überraschung ist nicht auszuschließen.“

Es hat schon Menschen gegeben, die falscher lagen mit ihren Vorhersagen. Im Nachhinein ließe sich höchstens anfügen, dass wir nicht nur einmal böse vom Coronavirus überrascht wurden, sondern ziemlich viele Male. Schlauer gemacht hat uns das höchstens in Maßen.

Kurz bevor wir ins dritte Seuchenjahr gehen, wiederholen sich die Geschichten und wir lernen erneut, dass Kreuzfahrten in Pandemiezeiten nicht unbedingt die erhoffte Erholung garantieren, dass ausgelassenes Feiern auf engstem Raum gerne mal in einem Cluster endet, dass sich das Virus in Klassenzimmern verbreitet, auch weil die immer noch keine gescheiten Lüftungsanlagen haben. Oder, in europäischen Fragen, dass Klassierungen in Was-auch-immer-Gebiete von Nachbarländern immer dem Infektionsgeschehen hinterherhinken und eher wenig bringen. Werden wir etwa aus Erfahrung dümmer? Schwer zu sagen, aber das Gefühl, in einer Endlosschleife festzustecken, verhärtet sich.

Die jüngste „Überraschung“, die uns das Virus serviert, heißt Omikron, und weil wir alle die andauernden bösen Überraschungen satthaben, läuft der erste kollektive Versuch, sie in den Köpfen als „gute“ Überraschung zu verankern. Die Virusvariante verbreitet sich dermaßen rasant und ist individuell wohl weniger gefährlich, dass eine Herdenimmunität plötzlich erreichbar scheint. Durch die Hintertür sozusagen: Infektionspflicht statt Impfpflicht. Politisch dürfte das eine feine Sache sein, weil man sich recht gut aus der Situation herausziehen könnte. Es wird ein bisschen an den Regeln herumgeschraubt, wer wie lange daheim bleiben soll, davon abgesehen heißt es unterschwellig: Wem das nicht gefällt, der soll sich nicht so anstellen, mehr lasse sich nun einmal nicht machen.

Doch bereits jetzt sind, mal wieder, das Lehrpersonal, die Schulkinder und auch ihre Eltern die Versuchskaninchen. Und nirgendwo steht geschrieben, dass nach Omikron nicht noch eine Variante auf uns lauern wird. Die Weltgesundheitsorganisation wies vergangene Woche auf das Problem hin: Je mehr Infizierte es gibt, desto häufiger mutiert das Virus, desto öfter läuft die Unglückslotterie, die immer wieder fiese Varianten in die Welt hinaus verteilt. Und Omikron, das muss man sagen, scheint da ganze Arbeit zu leisten. Genau solche Tücken des Virus hatte Muller im Interview von vor zwei Jahren mit der „bösen Überraschung“ gemeint.

Das neueste „Mit dem Virus leben“ dürfte demnach bald heißen, sogar geboostert eine Infektion in Kauf nehmen zu müssen, weiter arbeiten zu gehen und damit nicht einmal andere schützen zu dürfen – ein Paradigmenwechsel in der Pandemiebekämpfung.

Was bleibt also zu Beginn des Jahres drei der Pandemie zu tun? Fürs seelische Wohl empfehlenswert dürfte sein, sich nicht allzu viele Sorgen zu machen, sich also auch als Einzelperson aus Erfahrung dümmer zu machen, um nicht in Panik zu verfallen. Auch kann man die Zeit nutzen und sich jetzt schon mal ein paar Notizen machen. Für die Wahlen im kommenden Jahr. Damit man dann, wenn diese Pandemie hoffentlich vorbei ist, noch weiß, wer halbwegs vernünftig war und wer alles nur schlimmer machte.

J.C. Kemp
20. Januar 2022 - 8.45

Dumme gab es immer, sie vermehren sich in kritischen Zeiten stärker.

uma
9. Januar 2022 - 17.13

@Jacques " Und man sollte sich fragen wer in welcher Partei es besser gemacht hätte. Nämlich keiner.Denn: wieso sollten Politiker mehr wissen als die Wissenschaftler. " Eine Partei hat doch einen direkten Draht zum Schöpfer. ?u

Jacques Zeyen
8. Januar 2022 - 12.25

"Für die Wahlen im kommenden Jahr. Damit man dann, wenn diese Pandemie hoffentlich vorbei ist, noch weiß, wer halbwegs vernünftig war und wer alles nur schlimmer machte." --- Und man sollte sich fragen wer in welcher Partei es besser gemacht hätte. Nämlich keiner.Denn: wieso sollten Politiker mehr wissen als die Wissenschaftler. Wenn allerdings Politiker bewusst die Menschen in die Irre lenken,durch schäbige Äusserungen und Drohungen gegen die Presse,dann ja dann sollte man Notitzen machen für die nächsten Wahlen. "Wir irren uns empor." sagte einst Harald Lesch Eins steht fest :wir werden diese Pandemie überleben,so wie wir schon andere überlebt haben. Was sie uns kosten wird steht allerdings in den Sternen.Allerdings sollten wir nicht durch die oben erwähnte Dummheit Wasser auf die Mühlen lenken. Wenn man durch Impfung immer noch infiziert werden kann und sogar krank,dann sollten wir die Impfung nicht als nutzlos betrachten.DAS wäre die größte aller Dummheiten.