ForumDie doppelte Märchenstunde des Xavier Bettel

Forum / Die doppelte Märchenstunde des Xavier Bettel
Premier Xavier Bettel bei der parlamentarischen Debatte über seine Rede zur Lage der Nation am vergangenen Dienstag Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Der Lagebericht des Premierministers war langatmig und realitätsfremd. Wie so vieles, was unsere Innenpolitik bewegt, kommt die vom großen Kommunikator Gaston Thorn initiierte „Erklärung zur Lage der Nation“ eigentlich aus den USA. Wo der Präsident vor den beiden Häusern des Kongresses – Senat und Repräsentantenhaus – jährlich seinen politischen Fahrplan verkündet.

Der Präsident des mächtigsten Staates der Welt schafft in 20 konzisen Minuten die „State of the Union“-Adresse. Im einzigen Großherzogtum der gleichen Welt benötigen die sich folgenden Premierminister bis zu zwei Stunden, um dem staunenden Volk die Marschroute für die kommenden Monate zu skizzieren. Wobei es „meistens anders kommt und zweitens als man denkt“ (Bertold Brecht).

Zu Junckers Zeiten war die Erklärung zur Lage der Nation noch sprachlich gut ziseliert. Der große Zampano verfasste seine jährlichen Episteln weitgehend selbst. Bettel begnügt sich damit, seine von Beamten zusammengekleisterte Rede möglichst „staatsmännisch“ vorzutragen. Das Resultat war vorhersehbar. Die DP-Abgeordneten feiern ihren Chef. Sozialisten wie Grüne versuchen, sich die ihnen passenden „Perlen“ aus dem staatsministerlichen Wortschwall anzueignen. Die Opposition vermisst „Ambitionen und Visionen“, sieht nur „leere Versprechen“ in einer ansonsten saftlosen „Sonntagsrede“. Eigentlich schade. Denn die Zeitumstände erforderten schon eine schonungslose Bestandaufnahme der Chancen und Risiken unseres Landes in einer sich rapide veränderten Welt.

Unfromme Lügen

Einige Beispiele. Die vom Premier in den Vordergrund gestellte „Klimakrise“. Es versteht sich von selbst, dass auch die Luxemburger einen Beitrag leisten sollen, um klimaschädliche Gase zu reduzieren. Doch werden wir von Luxemburg aus den „Planeten nicht retten“. Der ohnehin die menschliche Zivilisation überleben wird.

Wir müssten mehr zur „Dekarbonisierung“ tun, so heißt es allenthalben. Weg mit dem Tanktourismus. Bloß, dass damit die Staatseinnahmen fallen würden, ohne dass es zu einer nennenswerten Reduktion der Treibstoff-bedingten Emissionen käme. Sondern zu einer Verlagerung der Tankvorgänge in der Großregion. Kein Lkw würde stillgelegt, würde in Luxemburg der Diesel-Preis übermäßig angehoben. Der unverzichtbare Stellenwert der Transport-Logistik wird gerade in Großbritannien demonstriert. Wo riesige Schlangen an den Tankstellen und leere Regale in den Einkaufsläden von der auch Brexit-bedingten Störung der Versorgungswege zeugen. Erst der Ersatz der weltweit 1,5 Milliarden mit Brennstoff betriebenen Fahrzeuge durch Elektro- oder besser noch durch mit Wasserstoff betriebenen Motoren würde zu einer merkbaren Reduktion der Transport-bedingten Abgase führen. Was durch einseitige luxemburgische Verzichte nicht zu beeinflussen ist.

Die Regierung bezuschusst die Protzmobile von Tesla. Sie täte besser daran, eine Abwrackprämie anzubieten für die 80.000 über zehn Jahren alte Fahrzeuge, welche ohne adäquate Filtervorrichtungen unsere Straßen belasten. Der Rückgang an Schadstoffen wäre sofort merkbar. Mit zunehmender Elektromobilität – dazu gehören auch elektrische Fahrräder oder Roller – steigt auch der Strombedarf. Der, so die grüne Gebetsmühle, durch „Erneuerbare“ gestillt werden soll. Doch wo können auf unseren 2.586 Quadratkilometern noch nennenswerte Wasserkraftwerke eingerichtet werden? Wo ist genügend Raum für auch von Anrainern akzeptierten Windkraftanlagen?

Eine Reihe Industrien haben damit begonnen, die Dächer ihrer Hallen mit Fotovoltaik-Anlagen zu bepflastern. Wunderbar. So soll Luxlait 10 Prozent seines Strombedarfs mittels Eigenproduktion abdecken. Gut. Aber woher kommen die anderen 90 Prozent? Kronospan und Kühne + Nagel können angeblich den durchschnittlichen, aber mit 4 Megawatt knapp bemessenen Strombedarf von 1.140 respektive 1.500 Haushalten abdecken. Was leider eine unfromme Lüge ist. In dem nicht gerade sonnenverwöhnten Luxemburg liegt der Lastfaktor von Solaranlagen um die 8 Prozent (nach Angaben von Irena, der International Renewable Energy Agency).

Laut Energieminister Claude Turmes gibt es rund 8.400 Solarstrom-Anlagen im Land. Die 2020 keine 3 Prozent des nationalen Elektrizitäts-Bedarfs lieferten. Da bleibt noch ein weiter Weg zu „Net Zero“. Von 8.760 Stunden im Jahr scheint die Sonne hierzulande kaum 2.000 Stunden. Auch der Wind bläst nicht nach Erwartung. Das Land bleibt abhängig von Importen. Unser weitaus bedeutendster Zulieferant ist die Bundesrepublik. Damit importierten wir dieses Jahr mehr schmutzigen Strom aus Kohlekraftwerken. Laut offiziellen Angaben fiel im ersten Halbjahr wegen „häufiger Windflauten“ die Produktion der deutschen Windenergie auf 57 Milliarden Kilowattstunden. Während gleichzeitig mit über 70 Milliarden Kilowattstunden die Kohle wieder zum wichtigsten Energieträger der Deutschen und damit auch der Luxemburger avancierte.

Fakten sind hart. Wie die derzeitige Situation auf dem Energiemarkt zeigt. Die Preise für Erdölprodukte sowie für Erdgas ziehen stark an. Die Konsumenten müssen sich auf einen teuren Winter einstellen. Die herbeigewünschte Dekarbonisierung schafft neue Engpässe. Sie bringt Energie-Armut. Birgt vor allem Risiken von totalen Blackouts. Bricht die allgemeine Stromversorgung zusammen, funktionieren auch Solarpanels nicht mehr. Dann werden die Einspeise-Schnittstellen der Panels zum allgemeinen Stromnetz nicht mehr alimentiert. Also keinen Solarstrom mehr. Es sei denn, die Solar-Farmen halten dieselbefeuerte Notstromaggregate bereit. Wenig bekannt, aber vorgesehen ist gleichwohl, dass bei einem Blackout die Stromversorger sofort die Ladestationen für E-Mobile vom Netz nehmen. Die Tücken der solaren Welt.

Billiger Wohnraum für alle?

Eine weitere Lebenslüge der nationalen Politik bleiben die horrenden Immobilienpreise. Übrigens ein internationales Problem. Wobei wir in Luxemburg wie so oft in einer besonderen Lage sind. Immerhin leben 75 Prozent der Einheimischen in den eigenen vier Wänden. Bei den Luxemburgern, alle Wähler, sind es gar 85 Prozent. Viele haben Schulden, aber alle haben die Perspektive, ihr Eigenheim einmal ihren Kindern zu vererben. Was erklärt, dass die generösen Ideen über Vermögens- und Erbschaftssteuern bei vielen Mitmenschen keine Begeisterungsstürme auslösen.

Bettel will nunmehr das Horten von Bauland und Wohnraum mit einer Reform der Grundsteuer bekämpfen. Warum nicht? Solange nichts Konkretes vorliegt, ist schwierig, abzuschätzen, ob dies wirklich zu einer Verbilligung des Baulandangebotes führt. Eine wirkliche Verbilligung von Bauland kann nur über eine schnelle Ausweitung der kommunalen Bauperimeter erfolgen. Wobei die öffentliche Hand die einzubeziehenden Flächen vorher zu vernünftigen Preisen aufkaufen oder notfalls vergemeinschaften sollte.

Zudem müssen unsere Prozeduren überdacht werden. Das jahrelange Verschleppen von Amenagierungsplänen durch alle möglichen Instanzen ist nicht kostenneutral. Zumal am Ende die Umwelt-Verwaltung alles wegen einer Fledermaus-Kolonie blockieren kann. Dazu kommt, dass immer mehr Umweltauflagen das Bauen verteuern. Niedrigenergiehäuser mögen zwar weniger Emissionen bewirken, werden mit Sicherheit aber teure Quellen für Moder, Moose und Algen.

Vor allem bleiben wir auf den weiteren Import von ausländischen Arbeitnehmern angewiesen. Wie viele Menschen mit Luxemburger Nationalität arbeiten noch im Bau, im Bauhandwerk? Ohne die vielen Grenzgänger, ohne die Bau- und Handwerksbetriebe aus der Großregion, ohne die Zehntausenden Facharbeiter, die zeitweilig nach Luxemburg detachiert werden (2020 waren es 140.000), würde doch im Großherzogtum nichts mehr laufen.

Die Pandemie mit ihrem Lockdown brachte uns negatives Wachstum. Wurden wir dadurch glücklicher? Waren unsere Probleme im Lockdown leichter lösbar? Die Verfechter von weniger Wachstum verstummten während der Pandemie. Jetzt, wo es wieder bergauf geht, hört man erneut die Sirenengesänge der Apologeten der „Selbstversorgung“ und des „einfachen Lebens“. Wer autark leben will, soll das getrost tun. Aber die meisten Luxemburger wollen und werden nicht auf ein komfortables Leben verzichten.

Merke: David Thoreau, der wieder in Mode gekommene Autor von „Walden“, dem Hochgesang auf das „naturverbundene Leben“, hielt es in seiner selbstgebauten Hütte ganze zwei Jahre, zwei Monate und vier Tage aus. Aber nur weil sein Freund, der Schriftsteller Ralph Waldo Emerson, ihn periodisch mit allem Notwendigen versorgte.


* Der Autor ist früherer LSAP-Minister und ehemaliger Europaabgeordneter

Gaston Parage
24. Oktober 2021 - 15.35

@Kim. Er hat leider Recht mit dem was er sagt. Schade dass die LSAP den ganzen Unfug der Grünen mit macht. Warum muss alles auf elektresch umgestellt werden anstatt dass man auch andere alternativen eine Chance gibt. Er hat Recht wenn er sagt eine Abwrackprämie zu geben, anstatt denen die sich ein Elektroauto leisten können vin unseren Steuergelder noch die Taschen zu füllen und denen die sich kein Elektroauto leisten können im Regen stehen zu lassen. Warum werden elektro Räder gefördert mit Geldern anstatt einfache Räder. Sind die nicht besser für die Umwelt geiegnet. Brauchen wir das? Wenn alle Länder auf dem niveau wären wie wir und die Westeuropäischen Länder, dann wäre schon vill erreicht. Wie geschrieben, wenn der Tanktourismus nicht mehr wäre, dann hätten wir vielleicht unser Ziel erreicht, aber die Welt wäre dadurch nicht gerettet. Ich reise sehr viel um die Welt und sehe dass in den Armen Länder oder Ostblock Länder noch viel mit alten Autos fahren. Nun wollen sie auch noch in der EU verbieten dass wir unsere Diesel 5 u 6 inbegriffen nicht mehr nach Afrika oder sonst wo in Länder verkaufen wo die noch mit viel älteren Autos umher fahren. Diese Leute könnten sich unsere Autos leisten u würden ja dann bessere Diesel fahren. Elekteische Autos können sich die meisten nicht leisten. Also werden sie bis zim geht nicht mehr mit Autos aus den 60, 70 oder 80 fahren die viel Umweltschädlicher sind als sie von mir oben angegeben. Wäre es dann normal denen keine besseren Autos zu verkaufen, anstatt dass sie länger mit den alten Autos fahren. Es genügt nicht nur den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen um dann sagen zu können wir tin was. Warum gibt es noch immer Plastiktüten, nur weil man ein Paar cent dafür bezahlt, wird die Umwelt nicht gerettet. Es ist auch keine alternative von Plastiktüten auf Papiertüten umzusteigen. Wieviel Baüme müssen dann gefällt werden. Warum gibt es noch immer Plastikflaschen wenn sie Umweltschädlich sind. Mann muss nicht immer Geld einsacken wenn man auch anderswo was ändern kann. Warum fahren grosse Schiffe in der Welt rum unter luxemburgischer Flaggen. Wird uns das nicht auch als Umweltbelastung angerechnet. Wie sie sehen, niemand will ein weiter so, aber dann muss man etwas besseres anbieten und nicht nur die Leute abzocken. Warum wird alles teuerer. Alle Benzinkosten werden von den Firmen an den Verbraucher weiter gegeben uns so bezahlen wir doppelt und dreifach. Bis heute habe ich keine Zahlen gesehen wieviel CO2 während der Pandemie im Lickdown auf der ganzen Welt eingespart wurde. Warum nicht? Werden wir nur belogen weil die Zahlen nicht das hergeben was uns immer vorgetragen wird? Warte immer noch auf die Zahlen die keine von allen Parteien in unserer Chamber angefragt hat. Warum nicht? Wäre es nicht mal gut hier eine Antwort zu bekommen. Warum wird nicht auch auf syntetische Stoffe gesetzt. Warum nur auf elektrisch. Das witd auf die Dauer nicht gut gehen und die Atommeiler werden nie abgeschaft, wo wir dann wieder auf andere Probleme kommen mit der Entsorgung der Brennstäbe ohne nur daran zu denken was mit Luxemburg passiert wenn uns Cattenom oder ander Atommeiler an unseren Grenzen um die Ohren fliegen.

Pierre Wollscheid
18. Oktober 2021 - 17.34

Wourecht well jo haut ke mei heiren, well dei det jo esou wei

Kim
18. Oktober 2021 - 13.41

Sie meinen wohl Henry David Thoreau... Und dieses ewige lobbyistische rumjammern über Elektroautos offenbart auch nur, dass der Herr Goebbels mittlerweile nicht mehr auf neuestem Stand ist und vielleicht den politischen Kommentator in die Rente schicken sollte. Ja Herr Goebbels, wo kommt denn unser Strom her und warum sollte man diesen nicht genausogut für Mobilität wie für Industrie nutzen können? Dieses "einfach immer weiter so" klappt nicht mehr und die jungen Wähler wollen es auch nicht mehr hören!

de Prolet
16. Oktober 2021 - 19.17

@Wieder Mann. Hat Herr Goebbels je die Interessen der Arbeiter vertreten? Wo und wann? Ist nicht jeder Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber abhängig und insofern ein Arbeiter ? Auch ohne Blaumann.

Wieder Mann
15. Oktober 2021 - 19.02

@Horst: „ Den klassechen Aarbechter get et haut net méi „ heute sind es jene Arbeitnehmer bis zu einem Gehalt von 5000€ .

Medlar GErmain
15. Oktober 2021 - 16.20

heu huet nees e Lobyist d'Wuert krut

H.Horst
15. Oktober 2021 - 14.15

"...die Interessen „ vum Arbechter „..." Der steht in Luxemburg als bedrohte Art unter strengem Schutz

Grober J-P.
15. Oktober 2021 - 11.56

"würde doch im Großherzogtum nichts mehr laufen." Und die Diäten müssten beträchtlich gekürzt werden! Was verdient ein normaler Arbeiter auf dem Bau oder in der Privatindustrie?

Wieder Mann
15. Oktober 2021 - 10.44

@Goebbels: Sind wir nicht immer einer Meinung, Politik eine Gratwanderung des Konsenses ist, sollten Sie Herr Goebbels Ihre Partei „ an d’Gebiet huelen „ sie längst nicht mehr die Interessen „ vum Arbechter „ vertritt und im Schlepptau von Partnern ultraliberaler oder grüner utopischer Gesinnung den politischen Horizont verloren hat.

de spëtzbouf
15. Oktober 2021 - 10.07

Bettels neue Rolle: Xavier der Märchenonkel!