Madrid-WahlTriumph der Lockdown-Skeptiker: Corona-Müdigkeit beschert Konservativen den Sieg

Madrid-Wahl / Triumph der Lockdown-Skeptiker: Corona-Müdigkeit beschert Konservativen den Sieg
Feiern nach der Wahl: Die breite Mehrheit machte mit ihrer Stimme klar, dass sie Ayusos kompromissloses Öffnungsmodell bevorzugt Foto: AFP/Pierre-Philippe Marcou

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Die Wahl in Madrid wurde zum politischen Erdbeben. Die Konservativen triumphieren, brauchen aber die Rechtsradikale Vox-Partei. Gewinnerin Ayuso schielt schon auf den Premierposten – und Podemos schneidet so schlecht ab, dass ihr Chef zurücktritt. 

Nicht wenige europäische Lockdown-Skeptiker verfolgen sehr aufmerksam jenes politische Erdbeben, das sich gerade im Großraum der spanischen Hauptstadt Madrid abspielt. Dort feierte die konservative Landesfürstin Isabel Diaz Ayuso einen triumphalen Sieg, den sie vor allem einem Umstand zu verdanken hat: ihrer hartnäckigen Ablehnung jeglicher Shutdown-Schritte. Wegen Ayusos Lockdown-Verweigerung sind in Madrid trotz hoher Infektionszahlen seit Monaten Gastronomie, Geschäfte, Fitnessstudios und Kultureinrichtungen geöffnet.

„Wir wollen keine Notstandsregeln und keine Ausgangsbeschränkungen“, lautet die Marschroute der eigenwilligen Landeschefin, die ihre lockere Corona-Politik mit dem Ruf nach „Freiheit“ begleitet. „In dieser Wahl geht es um das Modell, das wir in Madrid wollen“, rief Ayuso kurz vor der Abstimmung den 6,8 Millionen Bürgern der Region zu. Die breite Mehrheit machte mit ihrer Stimme klar, dass sie Ayusos kompromissloses Öffnungsmodell bevorzugt. Und dass sie in dieser Nonstop-Pandemie die Nase von allen Einschränkungen voll hat.

Konservativer Triumph mit rechtsextremem Rückhalt

Nahezu 45 Prozent votierten für Ayusos konservative Volkspartei, die ihren Stimmanteil gegenüber der vergangenen Wahl in 2019 verdoppeln konnte. Das reicht zwar nicht für eine absolute Mehrheit. Aber dank Unterstützung der Rechtsaußenpartei Vox, die Corona-Beschränkungen ebenfalls als „totalitär“ ablehnt, ist Ayusos Wiederwahl gesichert – Vox blieb mit annähernd neun Prozent der Stimmen gleich stark. Zusammen holten die beiden Parteien der Lockdown-Skeptiker, deren Position an jene der Corona-Demonstranten in anderen europäischen Ländern erinnert, üppige 54 Prozent.

In Madrid hat die Freiheit gesiegt, draußen ein Bier trinken gehen zu können

Ignacio Escolar, Chefredakteur der Onlinezeitung „El Diario“

„Ayuso hat besser als alle anderen verstanden, dass viele Bürger pandemiemüde sind“, erklärt Ignacio Escolar, Chefredakteur der Onlinezeitung El Diario den überraschenden Triumph der konservativen Landeschefin Madrids. Zum Erfolg habe ihr vor allem verholfen, dass sie die Gastronomie entgegen der Empfehlung der Virologen nicht lahmgelegt habe. „In Madrid hat die Freiheit gesiegt, draußen ein Bier trinken gehen zu können“, sagt Escolar. Die Sehnsucht der Bürger, endlich wieder ausgehen zu können, ist offenbar so groß, dass sich damit inzwischen sogar Wahlen gewinnen lassen.

Im Zuge ihrer Wahlkampagne legte sich Ayuso immer wieder mit Spaniens sozialistischem Regierungschef Pedro Sanchez an. Und schob ihm und seiner Koalition aus Sozialisten und der Linkspartei Podemos die Schuld dafür zu, dass die Infektionszahlen in Madrid sehr viel höher sind als in den meisten anderen spanischen Regionen. Dabei ließ Ayuso geflissentlich unter den Tisch fallen, dass ihre Regionalregierung und nicht Sanchez’ Kabinett für die Corona-Politik zuständig ist. Und dass ihr lockerer Corona-Kurs sogar in ihrer eigenen konservativen Volkspartei höchst umstritten ist.

Doch Ayusos harte Konfrontationsstrategie ging auf: Sanchez sozialdemokratisch orientierte Sozialisten mussten in der Regionalwahl eine historische Niederlage hinnehmen. Sie stürzten von bisher 27 Prozent auf 16,8 Prozent der Stimmen. „Eine Katastrophe“, schrieb Spaniens größte Tageszeitung El Pais. Auch Sánchez’ Koalitionspartner Podemos enttäuschte mit nur sieben Prozent. Spaniens Podemos-Chef Pablo Iglesias, der sich in Madrid als Spitzenkandidat präsentiert hatte, trat deswegen noch in der Wahlnacht von allen Ämtern zurück.

Grünsozialisten werden zweitstärkste Kraft

Die bürgerlich-liberale Partei Ciudadanos, die in den letzten Jahren steil aufgestiegen war, versank ebenfalls im Tal der Tränen. Die Rechtsliberalen, welche seit 2019 mit Ayuso regierten und sich dann mit ihr über die Corona-Politik zerstritten, scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde.

Nur die grünsozialistische Partei Mas Madrid, eine Podemos-Abspaltung, hatte noch Grund zu feiern. Sie wurde mit 17 Prozent zweitstärkste Partei. Ihre Chefin, die Ärztin Monica Garcia, hatte Ayuso vorgeworfen, einen zynischen Wahlkampf zu betreiben und völlig zu ignorieren, dass Madrid die höchste Zahl an Corona-Infektionen und Pandemie-Toten in der ganzen Nation zu beklagen habe.

Spaniens Premier Sanchez gratulierte versöhnlich Madrids konservativer Wahlsiegerin Ayuso. Während diese ihren Triumph umgehend für eine neue Kampfansage nutzte: Die Tage von Spaniens „radikaler Linksregierung“, wie sie das Sanchez-Kabinett nennt, seien gezählt. Nach dem Ausbau ihrer regionalen Macht in Madrid gehe es nun darum, auch die nationale Regierung zu erobern, die in 2023 neu gewählt wird. Und Ayuso ließ wenig Zweifel daran, dass sie dann höchstpersönlich in den spanischen Regierungspalast einziehen will.