„Nicht mehr auf die EU verlassen“Österreichs Kanzler Kurz macht Israel zum neuen Impf-Partner

„Nicht mehr auf die EU verlassen“ / Österreichs Kanzler Kurz macht Israel zum neuen Impf-Partner
Die Umfragen sind schlecht, also muss wieder einmal Brüssel als Sündenbock herhalten: Sebastian Kurz greift die Europäische Arzneimittelbehörde an  Foto: dpa/Ronald Zak

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Die Infektionszahlen steigen, die nationale Impfkampagne stottert – doch schuld sind andere: Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz übt Kritik an der EU-Impfstrategie und will künftig mehr mit Israel kooperieren.

Österreich ist immer spitze. Zumindest erweckt der ÖVP-Kanzler diesen Eindruck. Vor einem Jahr hatte Österreich mit einem schnellen und konsequenten Lockdown die erste Corona-Welle tatsächlich gut bewältigt, was Kurz entsprechend ausschlachtete. Mit Israel, Tschechien, Australien, Neuseeland, Dänemark, Griechenland und Norwegen schuf er die Gruppe der „smart First-Mover-Countries“, die besser als andere durch die Pandemie gekommen waren.

Nicht nur Tschechien hat den Vorbildstatus mittlerweile verspielt, seit dem Herbst wirkt auch die Pandemiestrategie der türkis-grünen Regierung in Wien alles andere als „smart“. Um sich greifende Disziplin- und Sorglosigkeit gepaart mit zögerlichen Lockdowns und voreiligen Lockerungen machten Österreich zu einem Corona-Hotspot. Am Dienstag wurden 1.920 Neuinfektionen gezählt, Tendenz steigend. Die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner betrug mit 162 mehr als das Dreifache des Wertes, der vor einigen Wochen noch als Voraussetzung für Lockerungen galt.

Ignorierte Virologen, Vorwürfe an EMA

Trotzdem verkündete die Regierung gegen den ausdrücklichen Rat der meisten Virologen für Mitte März die Öffnung der Gastronomie im Freien und stellte weitere Lockerungen in Aussicht. Die Zahlen werden wohl weiter steigen. Aber Österreich ist spitze: dieses Mal beim Testen. Nirgendwo auf der Welt werde so viel getestet wie in Österreich, verkündete der Kanzler stolz. Indirekt wird damit suggeriert, die steigende Zahl an entdeckten Infektionen sei in erster Linie eine Folge der vielen Tests, was die Epidemiologen nicht ganz so sehen.

Weil die Österreicher trotz Test-Weltmeistertitel vom Krisenmanagement nicht mehr ganz so begeistert und folglich ÖVP wie Grünen in den Umfragen weniger zugeneigt sind, muss wieder einmal Brüssel als Sündenbock herhalten.

Kanzler Kurz wirft der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) vor, bei der Zulassung von Impfstoffen zu langsam zu sein. Ob mehr Impfstoff in Österreich mehr Impfungen bedeuten würde, ist allerdings fraglich. Denn schon jetzt wird weniger geimpft als möglich wäre. Von den 825.315 ausgelieferten Dosen der drei zugelassenen Hersteller Biontech/Pfizer, AstraZeneca und Moderna wurden in Österreich bisher nur knapp vier Fünftel gespritzt, wie die EU-Gesundheitsbehörde ECDC gestern mitteilte.

Kritische Selbstreflexion ist freilich nicht Kurz’ Spezialität. Selbstbewusst formiert er eine neue Impf-Koalition. Am Donnerstag wird er gemeinsam mit der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen nach Israel fliegen, um dort mit Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, dem derart internationale Anerkennung im Wahlkampf sicher gefällt, über eine Zusammenarbeit bei der Impfstoffproduktion zu sprechen.

Nebelgranate im eigenen Impfchaos

Die „First-Mover-Gruppe“ werde sich, wie der Kanzler vollmundig betonte, „in Zukunft nicht mehr auf die EU verlassen und gemeinsam mit Israel in den kommenden Jahren Impfdosen der zweiten Generation für weitere Mutationen des Coronavirus produzieren sowie gemeinsam an Behandlungsmöglichkeiten forschen“. Gestern Abend lud Kurz Vertreter der Pharmaindustrie ins Kanzleramt, um mit diesen seine hochfliegenden Pläne zu beraten. Die Präsidentin des österreichischen Impfstoffherstellerverbandes, Renee Gallo-Daniel, stellte allerdings schon vor dem Treffen klar, dass es schnelle Lösungen nicht geben könne. Fünf bis zehn Jahre dauere die Errichtung einer Produktionsstätte. Sinnvoll hält sie Kurz‘ Pläne aber im Hinblick auf künftige Pandemien.

Die Opposition sieht in der Impfallianz mit Israel in erster Linie eine PR-Aktion. Dass Österreich bei der Impfquote hinterherhinkt, führt SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner, eine gelernte Epidemiologin, nicht nur auf Lieferengpässe, sondern vor allem auf die mangelnde Vorbereitung der Bundesregierung auf die Impfaktion zurück. Der SPÖ-Europaabgeordnete Andreas Schieder betrachtet die Israel-Reise als „billiges Ablenkungsmanöver vom heimischen Impfversagen“. Auch die liberalen Neos sehen nur eine „weitere Nebelgranate, um vom Impfchaos abzulenken“.

Klawir
3. März 2021 - 20.37

Bravo, zumindest einer hat’s kapiert ?