Spanien„Die Geduld hat ein Ende“: Regierung verhängt Corona-Ausnahmezustand über Madrid

Spanien / „Die Geduld hat ein Ende“: Regierung verhängt Corona-Ausnahmezustand über Madrid
Keine Bewegung ohne Erklärung: Polizisten an einem Kontrollpunkt in Madrid Foto: dpa/Diego Radames

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Mit einem Donnerschlag beendete die spanische Regierung am Freitagnachmittag das immer größere Corona-Chaos in Madrid: Das von Premier Pedro Sánchez einberufene Krisenkabinett verhängte mit sofortiger Wirkung den Ausnahmezustand in der Hauptstadt, um den heftigen Virusausbruch in der Millionenstadt endlich unter Kontrolle zu bekommen.

Die hohen Infektionszahlen in der Metropole seien außerordentlich besorgniserregend, sagte der Sozialist Sánchez. Die Mitte-links-Regierung fürchtet, dass der Hotspot in Madrid, dem Verkehrs- und Wirtschaftszentrum der Nation, sich weiter ausbreiten und auch andere Regionen mitreißen könnte. Im Großraum Madrid werden momentan die höchsten Ansteckungswerte in ganz Europa registriert.

Mit dem Ausnahmezustand setzt die Regierung die Absperrung Madrids und neun weiterer Vorstädte wieder in Kraft, nachdem am Vortag das Oberste Gericht der Hauptstadtregion die Abriegelung aus formalen Gründen für unrechtmäßig erklärt hatte. Vorübergehend konnten somit nach dem Richterspruch die Madrid-Bewohner ihre Stadt wieder verlassen, was zu chaotischen Szenen führte. Am Freitagmittag, kurz vor Verkündung des Ausnahmezustandes, bildeten sich lange Staus auf den Ausfallstraßen, die zur Küste und ins Landesinnere führen.

Zehntausende Familien versuchten, vor der erneuten Absperrung der Metropole die Stadt zu verlassen. Am Montag, 12. Oktober, wird Spaniens Nationalfeiertag begangen, sodass ein langes Wochenende ansteht. Der Aufruf der Behörden, verantwortungsvoll zu handeln und zu Hause zu bleiben, fand nicht das gewünschte Gehör.

Unmittelbar nach Verhängung des Notstandsrechtes in Madrid, das am Freitagnachmittag um 15 Uhr in Kraft trat, richtete die Polizei an den Ausfallstraßen mit einem Großaufgebot Kontrollpunkte ein. Auch der internationale Flughafen und die großen Bahnhöfe wurden überwacht. „Was ist das Motiv Ihrer Reise?“, fragten die Beamten bei ihren Kontrollen. Wer keine triftigen Gründe angeben konnte, wurde wieder zurückgeschickt. Nur wer „unvermeidliche Motive“ anführen kann, darf das Madrider Corona-Sperrgebiet, in dem insgesamt knapp fünf Millionen Menschen leben, verlassen. Erlaubt ist zum Beispiel die Fahrt zum Arbeitsplatz oder zum Arzt. Aber nicht der Besuch von Familienangehörigen, Freunden oder die Fahrt ins Wochenendhäuschen.

Regionalpräsidentin macht einen auf Trump

Mit dem Notstandsrecht übernimmt die spanische Staatsregierung zugleich das Kommando im Anti-Corona-Kampf in der Region Madrid. Deren erzkonservative Ministerpräsidentin Isabel Diaz Ayuso hatte sich in den letzten Wochen hartnäckig geweigert, die von Epidemiologen und der nationalen Regierung geforderten Mobilitätsbeschränkungen umzusetzen.

Der eigenwillige Kurs der Regionalpräsidentin Ayuso in dieser Pandemie erinnert zunehmend an die leichtfertige Corona-Politik von US-Präsident Donald Trump oder des brasilianischen Staatspräsidenten Jair Bolsonaro. „Man kann nicht 100 Prozent der Bürger einsperren, um das eine Prozent der Menschen, die sich infizieren, zu schützen“, meint Ayuso. Die Abriegelung der Hauptstadtregion treibe die Wirtschaft in den Ruin.

Ayusos Crash-Kurs sorgte sogar in ihrer eigenen Regionalregierung für Krach. In der Region regieren Ayusos konservative Volkspartei und die bürgerlich-liberale Bewegung Ciudadanos. Ayusos Vize, der regionale Ciudadanos-Chef Ignacio Aguado, hatte seine Chefin vergeblich aufgefordert, die Gesundheit der Menschen in den Vordergrund zu stellen und im Kräftemessen mit der spanischen Regierung nachzugeben.

„Die Regionalpräsidentin hat entschieden, nichts gegen Corona zu unternehmen“, begründete Spaniens Gesundheitsminister Salvador Illa am Freitagnachmittag die Ausrufung des Ausnahmezustandes in der Region Madrid. „Die Geduld hat ein Ende.“

Die Sieben-Tage-Inzidenz im Großraum Madrid betrug nach den letzten verfügbaren Angaben 230 Infektionen pro 100.000 Einwohner. In einigen lokalen Brennpunktvierteln werden sogar mehr als 500 Fälle pro 100.000 Bewohner registriert. Die Krankenhäuser und lokalen Gesundheitszentren der Stadt sind bereits derart mit Corona-Fällen überlastet, dass viele Patienten, die an anderen Krankheiten leiden, nicht behandelt oder operiert werden können.