InterviewDie neunte „Nuit de la culture“ wird unter besonderen Auflagen stattfinden

Interview / Die neunte „Nuit de la culture“ wird unter besonderen Auflagen stattfinden
Dahlia Scholl, Präsidentin der „Nuit de la culture“, und Loïc Clairet, der in diesem Jahr den Posten des Generalkoordinators übernommen hat, vor der „Maison Mousset“ in Esch Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Die Escher „Nuit de la culture“ hat sich zu einem wichtigen Termin der nationalen Kulturszene entwickelt. Nachdem die diesjährige Auflage aufgrund der Corona-Pandemie verlegt werden musste, ist es am kommenden Samstag endlich so weit. Warum das Motto „Prendre l’air“ nur aus Zufall zur Situation passt, wie sehr die Krise die Planung über Bord geworfen hat und wieso die Reise von Esch nach Esch geht, erzählen Generalkoordinator Loïc Clairet und Präsidentin Dahlia Scholl im Interview.

Tageblatt: Loïc Clairet, haben den Posten des Generalkoordinators in diesem Jahr zum ersten Mal übernommen. Wie kam es dazu?

Loïc Clairet: Ich habe den Posten im Oktober übernommen, hatte allerdings schon bei den beiden vorherigen Auflagen mitgeholfen. Ursprünglich bin ich nach Esch gekommen, um unter anderem am Festival „Francofolies“ mitzuarbeiten. 2015 habe ich in Belgien an der Kulturhauptstadt in Mons mitgearbeitet und von da aus kam ich nach Luxemburg, um hier Kultur zu machen. Ich folge gerne den Kulturhauptstädten und bin unter anderem über die „Francofolies“ hier gelandet.

In diesem Jahr ist das Motto der Kulturnacht „Prendre l’air“. Was steckt dahinter?

Dahlia Scholl: Das ist eine logische Folge. 2018 war unser Thema das Feuer, im letzten Jahr war es das Wasser und in diesem ist es die Luft. Ich glaube, man kann schon ein wenig voraussehen, was es im nächsten Jahr sein wird.

Frische Luft schnappen passt zudem gut in den aktuellen Kontext.

L.C.: Das Thema wurde nicht auf diesem Grund ausgesucht, sondern eigentlich schon vor einem Jahr festgelegt. Es war eher das Viertel, in dem die Kulturnacht in diesem Jahr stattfindet, das zu diesem Thema geführt hat. Wir sind nämlich im Universitätsviertel Belval, wo es viele Luftströme gibt. Zudem bewegt die Höhe der Gebäude die Menschen dazu, den Blick zu heben und in die Luft zu schauen. Es stimmt allerdings, dass das Thema mit der aktuellen Situation rund um das Virus gut zusammenpasst. Genauso wie das Fahrrad, das ebenfalls in das Programm mit aufgenommen wurde, bevor das Fortbewegungsmittel aufgrund der Pandemie einen Hype erlebt hat.

Das Fahrrad wird am kommenden Samstag also eine besondere Rolle spielen?

D.S.: Das Fahrrad garantiert die Mobilität zwischen der place de la Résistance, Villerupt und Belval, wo am Ende alle zusammenkommen. Wir haben auch Workshops für Kinder geplant, bei denen sie einen Drachen bauen können, den sie dann auf dem Weg nach Belval mit dem Rad nach sich ziehen. Beim Start und bei der Ankunft herrscht Maskenpflicht, unterwegs, wenn sie die nötige Distanz zwischen sich haben, können sie die natürlich ausziehen.
L.C.: Das Fahrrad ermöglicht es uns, das Zentrum mit Belval zu verbinden. Die meisten sehen Belval als eine andere Stadt. Wir wollen zeigen, dass die beiden Orte zusammengehören und eine Verbindung besteht. Und wir wollen den Fahrradweg, mit dem man in fünf Minuten nach Belval kommt – was übrigens sehr gut funktioniert – bekannter machen. Denn die wenigsten kennen diesen Weg.

Der Zug verbindet die beiden Viertel ebenfalls. Spielt er auch eine Rolle?

L.C.: Ja. Das Motto eines unserer Künstler ist die Reise von Esch nach Esch. Er ist vor zwei Wochen hergekommen und hat ein Gedicht geschrieben, das auf unserer Internetseite und an verschiedenen Infoständen nachzulesen sein wird. Wir sind gerade dabei, zu klären, ob wir das Gedicht aufnehmen und durch die Lautsprecher auf dem Bahnhof ausspielen können. Das stellt sich aufgrund der Durchsagen allerdings als etwas kompliziert heraus, sodass wir noch nicht genau wissen, ob es klappen wird.

Loïc Clairet, Sie koordinieren die Kulturnacht in diesem Jahr zum ersten Mal. Gibt es einen Teil, der Ihre Handschrift besonders trägt?

L.C: Ich liebe große Urban-Art-Shows, die auch bei dieser Auflage wiederzufinden sind. Zum Beispiel die Aufführung „Exit“ von der Truppe „Inextremiste“, bei der ein Heißluftballon eine Rolle spielt. Ansonsten haben wir die gleiche Methodik angewandt wie in den vergangenen Jahren. Mein Vorgänger Emmanuel Vinchon, mit dem ich eng zusammengearbeitet habe, hat die gleiche Art zu arbeiten. Dabei steht das Einbinden von Bürgern und lokalen Vereinen eine wichtige Rolle. Darauf haben wir in diesem Jahr verstärkt geachtet – und das mit Erfolg. 70 Prozent der teilnehmenden Künstler und Vereine stammen aus Luxemburg, im vergangenen Jahr waren es 58 Prozent.

Wie genau werden Künstler und Publikum in die Gestaltung der Kulturnacht eingebunden?

D.S.: Vor und während der Kulturnacht treffen wir uns mit den Teilnehmern – Künstlern und Bürgern –, um das Event zu planen und dann gemeinsam Revue passieren zu lassen. Das ermöglicht es uns, uns jedes Jahr zu verbessern, und zeigt uns auch zum Teil unsere Grenzen auf.

Welche Grenzen zum Beispiel?

L.C.: Wir hatten vor, ein Projekt mit einem Kran einzubeziehen, aber in Luxemburg ist es verboten, Menschen mit einem Kran hochzuziehen. Die größten Urban-Art-Auftritte funktionieren heutzutage allerdings mit einem Kran. Diese Gruppe darf also auf der ganzen Welt auftreten, nur nicht in Luxemburg. Da gibt es also Verbesserungspotenzial auf nationaler Ebene.

Wie hat das Virus die Kulturnacht beeinflusst?

L.C.: Zuerst mussten wir das festgelegte Datum absagen. Das haben wir mit dem Verwaltungsrat entschieden, nachdem die Regierung die dementsprechenden Informationen herausgegeben hatte, und sofort nach einem neuen Datum gesucht. September war damals noch weit entfernt und zu dem Zeitpunkt konnte niemand vorhersehen, ob das Virus dann noch da sein würde. Wir haben alle unsere Partner kontaktiert, alle Künstler, die wir gefragt haben, ob sie auch im September verfügbar sein werden. Die meisten haben sofort Ja gesagt. Die einzigen Programmpunkte, die nicht mehr mit dabei sind, mussten aufgrund der Hygienemaßnahmen abgesagt werden.

Gibt es noch weitere besondere Maßnahmen?

L.C.: Ansonsten haben wir plastische Installationen bevorzugt, damit die Menschen sich im Raum verteilen. In den einzigen geschlossenen Räumen werden Kontrollen am Eingang gemacht und es dürfen sich nie mehr als zehn Personen gleichzeitig drinnen aufhalten. An öffentlichen Orten wie dem Belval Plaza vertrauen wir darauf, dass die Menschen inzwischen wissen, wie sie sich dort verhalten müssen. Wir haben zudem Escher Künstler gefragt, ob sie Masken für uns entwerfen wollen. Insgesamt haben wir 7.000 wasch- und wiederverwendbare Masken anfertigen lassen. Es gibt drei verschiedene Modelle von drei Künstlern und jedem Besucher der Kulturnacht wird eine zur Verfügung gestellt. Für unser Team haben wir auch Kits mit Masken und Desinfektionsgel zusammengestellt.

Wir haben elf verschiedene Versionen der Kulturnacht geplant, um letztendlich bei dieser anzukommen

Loïc Clairet, Generalkoordinator der „Nuit de la culture“

Die Anweisungen der Regierung haben von März an immer wieder geändert. Wie oft musste das Event angepasst werden?

L.C.: Tatsächlich haben wir das Programm immer und immer wieder angepasst. Wir haben elf verschiedene Versionen geplant, um letztendlich bei dieser anzukommen. Die endgültige Version stand am 15. August, der Deadline, die wir uns selbst gesetzt haben. Wir hoffen seitdem, dass bis Samstag keine neuen Auflagen entschieden werden.

Die Aufführungen werden in diesem Jahr zudem live übertragen.

L.C.: Wir wollten für alle Fälle gewappnet sein und Kultur machen, koste es, was es wolle – ob mit oder ohne Live-Publikum. Wir haben also ein Unternehmen angeschrieben, das mit Live-Übertragungen Erfahrung hat. Die Spektakel können auf www.nuitdelaculture.lu gestreamt werden. Weil wir die Zuschauerzahl aufgrund der Auflagen begrenzen mussten, haben diejenigen, die keinen Platz mehr bekommen konnten, zumindest die Möglichkeit, sich die Übertragung anzusehen.

Die Kulturnacht funktioniert also erstmals per Reservierung?

L.C.: Uns bleibt nichts anderes übrig. Ein Spektakel wie das von „Inextremiste“ können sich normalerweise problemlos 10.000 Menschen ansehen, in diesem Jahr sind wir auf 1.500 beschränkt. Wir arbeiten mit Tischen, die wir draußen aufstellen. Die Besucher reservieren pro Aufführung einen Tisch für zwei bis acht Personen. Dabei haben wir uns an Restaurants inspiriert, die derzeit ein gutes System haben, das funktioniert.

Wie haben sich die Umplanungen auf das Budget der Kulturnacht ausgewirkt?

L.C.: Wir mussten uns neu erfinden und das war teuer. Vor allem, weil es nicht vorgesehen war. Alleine das Virus hat uns zwischen 20.000 und 25.000 Euro mehr gekostet. Neben Masken und Desinfektion mussten wir in Barrieren, Schilder und vieles mehr investieren. Die Flyer mussten wir zudem neu gestalten.
D.S.: Im vergangenen Jahr mussten wir die Kulturnacht ja schon wegen des Todes des Großherzogs verlegen. Das war schon ein Abenteuer. Jetzt ist es ein doppeltes Abenteuer.

Programm und Reservierungen

Alle Informationen zum Programm, den Reservierungen und zum Livestream sind auf der Internetseite www.nuitdelaculture.lu zu finden. 


Alle verschieden und doch gleich

Anlässlich der Kulturnacht hat sich der „Escher Büchermarkt“ in der rue de l’Alzette, gleich neben dem Theater, etwas Besonderes einfallen lassen. Mit den Buchstaben des Logos von „Esch2022“ hat die interkonfessionelle Organisation ein überdimensionales Bücherregal anfertigen lassen. Dieses Regal soll  am 19. September mit Leben gefüllt werden: Jeder kann hingehen, an Ort und Stelle ein Buch erlangen oder eines von zu Hause mitbringen. In dieses Buch können ganz persönliche Gedanken, eine Widmung oder auch nur der eigene Name eingetragen werden. Anschließend werden die Bücher miteinander verleimt, sodass sie nicht mehr entnommen werden können. Später kommt das Werk dann als Dauerleihgabe in die Grenzer Kirche, wo die Installation jederzeit besichtigt werden kann. Das Werk wird die Projekte von der Vereinigung das ganze Kulturjahr über begleiten. Gefertigt wurde das Bücherregal in der Werkstatt des CIGL Esch. Es besteht aus drei Teilen und hat eine Länge von 3,70 Metern. (Simone Mathias)

Felix Da Silva, „Chef de service“ in der Werkstatt des CIGL, neben dem Bücherregal 
Felix Da Silva, „Chef de service“ in der Werkstatt des CIGL, neben dem Bücherregal  Foto: Simone Mathias

Realist
17. September 2020 - 9.41

Es ist wie mit den bunten Blättern, die den Herbst verkünden: Sobald die Vorgärten von Eschs letzten Villen und Maisons de Mâitre mit bunt angepinseltem Gerümpel voll stehen, weiss der Eingeweihte, dass wieder "Kultur"-Zeit ist...