MusikJana Bahrich von Francis of Delirium über Frauen im Alternative-Rock und toxische Maskulinität

Musik / Jana Bahrich von Francis of Delirium über Frauen im Alternative-Rock und toxische Maskulinität
Sängerin und Gitarristin Jana Bahrich hofft, dass sich Frauen mit ihrem Song identifizieren können und selbstsicherer werden Foto: Lynn Theisen

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Im Rahmen des hundertjährigen Frauenwahlrechts hat der Screaming Fields Contest junge Musiker*innen gefragt, einen Song über das Thema Gleichberechtigung und Demokratie zu schreiben. Gewonnen hat die luxemburgisch-nordamerikanische Band Francis of Delirium mit ihrem „Equality Song“ – einem inhaltlich wütenden, musikalisch klassischen Indie-Track. Das Tageblatt hat sich mit der jungen Sängerin und Gitarristin Jana Bahrich unterhalten.

„Sometimes it feels like a fact of life / You’re born, get your period and / You’ll get raped sometime / Even young you learn / That some of us have this / Predatory vice / You’ll get followed home at night.“ Mit stürmischen akustischen Gitarren, einer mitreißenden Gesangsmelodie und expliziten, anprangernden Zeilen vermittelt der „Equality Song“ von Francis of Delirium, die mit diesem äußerst direkten Track den Screaming Fields Song Contest gewonnen haben, eine unbehagliche, dringliche Botschaft: Toxische Maskulinität ist nach wie vor ein allgegenwärtiges Problem – und Gleichberechtigung aufgrund der Allmacht eines systemischen, tief verankerten Patriarchats immer noch eine Illusion.

„Die Lyrics beziehen sich natürlich auf die #MeToo-Bewegung, die dafür gesorgt hat, dass sich Frauen weltweit endlich trauen, über sexuelle Belästigung zu reden“, erklärt Sängerin und Gitarristin Jana Bahrich. „Auch in Luxemburg reden immer mehr Frauen über das, was ihnen widerfahren ist. Jedes einzelne Mädchen, das ich kenne, kann von mindestens einem Fall von sexueller Belästigung von einem Mann berichten. Da es auch heute oftmals noch schwierig ist, die Polizei einzuschalten, empfinde ich es als wesentlich, dass Musikerinnen sexuelle Belästigung in ihren Songs thematisieren. In drei Minuten Musik kann man die Welt nicht ändern. Aber man kann Frauen dazu ermutigen, sich aufzulehnen, und es ist eines von vielen Mitteln, mithilfe von Kunst die Diskussion in der Öffentlichkeit auszutragen.“

Drei Minuten mutige Sensibilisierung

Ein dreiminütiger Song, um unsere Art, mit Sexualität umzugehen, grundlegend zu verändern und um zur öffentlichen Sensibilisierung beizutragen: Das ist nicht nur mutig, sondern besonders heute wichtiger denn je. Denn wie es Céline Sciamma, Regisseurin des feministischen Historiendramas „Portrait de la jeune fille en feu“, in einem Gespräch bemerkte: Es gilt hartnäckig zu bleiben – weil eine oberflächliche Sensibilisierung nicht ausreicht, um eine grundlegende Ungerechtigkeit abzuschaffen und das Patriarchat nur darauf lauert, dass die empörten Diskussionen wieder abebben.

Um es mit den Worten von Bahrich zu sagen: „Because when you see it every day / It all just gets ingrained.“ Für Bahrich hat die #MeToo-Bewegung dafür gesorgt, dass es Frauen weltweit leichter fällt, sexuelle Belästigung in der Öffentlichkeit zu thematisieren. „Ich war etwas nervös, einen Song zu singen, der so direkt ist. Aber ich hoffe, er kann dazu beitragen, dass andere, denen Ähnliches widerfahren ist, sich damit identifizieren, selbstsicherer werden und das Schweigen brechen.“

Entstanden ist der Song, weil die Band, die aus der 18-jährigen Jana Bahrich und dem 48-jährigen Schlagzeuger und Produzenten Chris Hewett besteht, am Screaming Fields Song Contest teilnahm. Der vom Rocklab mit der Unterstützung des „Ministère de l’Egalité entre les femmes et les hommes“ organisierte Wettbewerb verlangte von jungen Musiker*innen, sich mit dem Thema Gleichberechtigung in einem demokratischen System auseinanderzusetzen – um u.a. daran zu erinnern, dass Frauen hierzulande erst seit 100 Jahren wählen dürfen.

Eine unabhängige Jury, die aus Mitgliedern der Presse (Eldoradio), aus lokalen Musikern (Irina, Rome, Bartleby Delicate und Ptolomea), Vertretern der Rockhal und des „Ministère de l’Egalité entre les femmes et les hommes“ bestand, ließ sich vom „Equality Song“ begeistern. Das Rocklab begleitete die Band anschließend im Aufnahme- und Videodrehprozess. Alle Einnahmen, die der auf Bandcamp veröffentlichte Song einbringt, gehen an „Femmes en détresse“. „Das ist echt eine grandiose Initiative – wir haben uns mit ‚Femmes en détresse’ unterhalten und uns über ihre Arbeit informiert – längst nicht jeder weiß, dass der gemeinnützige Verein eine anonyme Hotline hat, die man täglich im Falle von häuslicher Gewalt anrufen kann.“ Auch sonst findet Jana Bahrich die Arbeit des Ministeriums mustergültig – sie erinnert an das „Rock the Rack“-Festival, das im vergangenen Oktober in der Rockhal stattfand und junge Menschen ermutigte, sich mithilfe von Musik für Gleichberechtigung einzusetzen. Auch hier waren Francis of Delirium aufgetreten.

„Nul n’est prophète en son pays“

Ganz nach dem französischen Sprichwort sind die erfolgreichsten luxemburgischen Bands (siehe Mutiny on the Bounty) im Ausland teilweise erfolgreicher als hierzulande. Dasselbe gilt für Francis of Delirium, „eine nordamerikanische Band mit Sitz in Luxemburg“, wie es in der deutschsprachigen Musikzeitschrift Visions vor kurzem zu lesen war, als einer ihrer Musikredakteure „All Change“, die erste EP der Band, in einer Besprechung empfahl. Stören tut dies Jana Bahrich, das junge Mastermind der Band, nicht wirklich: „Luxemburg ist unsere Homebase, unser Headquarter, klar. Ich habe uns aber stets als internationale Band definiert. Ich wurde in Belgien geboren, habe in Luxemburg und Kanada gelebt. Davon abgesehen ist es unvermeidlich – und auch gut –, dass man mehr über uns im Ausland berichtet. Luxemburg ist klein, der luxemburgische Markt ebenso. Es gibt folglich eine geringe Leserschaft für Berichterstattung über Indie-Musik, weswegen es auch nur wenige Nischen- oder Genre-Zeitungen geben kann.“

Nach Nische klingen Francis of Delirium nicht wirklich: Wie Lindsey Jordan von Snail Mail kombiniert Jana Bahrich den DIY-Esprit des Dream-Pop mit grungigen Alternative-Klängen. Das Resultat gibt einem eine kleine Idee, wie die Musiklandschaft in den 90ern hätte klingen können, wenn Frauen bereits damals mehr in der testosterongeladenen Musikindustrie zu sagen gehabt hätten. Ob Bands wie Snail Mail oder ihre eigene ein Alternative-Revival mit feministischem Schwerpunkt einläuten könnten?

„Schon möglich“, meint Jana Bahrich. „Musik entwickelt sich stets weiter. Es gab lange Zeit hauptsächlich Bands, die von weißen Frontmännern angeleitet wurden. Frauen in den Vordergrund zu setzen, ist eine schöne und gerechte Art, ermüdete Genres zu erneuern, ihnen neue Energie einzuflößen. Die Menschen haben Bock, Geschichten von Frauen zu hören. Klar, in der Vergangenheit gab es einflussreiche Musikerinnen wie Kim Gordon (die ehemalige Bassistin und Sängerin von Sonic Youth, Anm. d. Red.), aber das waren dann doch eher Ausnahmeerscheinungen. Frauen ins Rampenlicht zu stellen, ermöglicht es, neue Geschichten innerhalb eines familiären Klangbildes zu erzählen.“

Neben Kim Gordon erwähnt Jana Bahrich Bands wie Hole oder Musikerinnen wie Fiona Apple: „Frauen zu sehen, die Leadsängerinnen in einer Band sind, ist sehr inspirierend. Ich höre hauptsächlich Musik von Frauen. Das ist nicht einmal eine bewusste Entscheidung – ich finde nur, dass Frauen heute die spannendere Musik machen.“ Ob das Narrativ des weißen, depressiven Typen, der Musik macht, um seinen Liebeskummer zu überkommen, auserzählt ist, weiß Jana Bahrich nicht. „Manchmal fühlt es sich so an, klar. Auch wenn ich immer noch Indie-Musik, die von Männern komponiert und gespielt wird, höre. Aber der Schwerpunkt meiner Musikhörgewohnheiten liegt woanders.“