StandpunktDas Profit-Virus stoppen – Warum wir Utopien für eine bessere Welt brauchen

Standpunkt / Das Profit-Virus stoppen – Warum wir Utopien für eine bessere Welt brauchen
Der Schriftzug „Brot, Frieden und Freiheit“ über der Bühne des „Casino syndical“ in Luxemburg-Bonneweg  Foto: Julien Garroy/Editpress-Archiv

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Die aktuelle sanitäre Krise, bedingt durch das Coronavirus, hat eine wirtschaftliche Krise ausgelöst, die aller Wahrscheinlichkeit nach in eine schlimme soziale Krise münden wird. Es ist durchaus verständlich und nachvollziehbar, dass die politisch Verantwortlichen in erster Linie bestrebt sind, die Ausbreitung des Virus einzudämmen, um unser Gesundheitssystem nicht zu überlasten.

Allerdings muss man sich bewusst sein, dass es sich bei den Maßnahmen, die bei uns und in anderen Ländern getroffen werden, um die Pandemie einzudämmen, um Symptombekämpfung handelt. Dabei wäre eine Ursachenforschung über das Entstehen dieser Pandemie notwendig, um diese Seuche definitiv auszurotten und um in Zukunft das Entstehen von ähnlichen Pandemien zu verhindern. Als mögliche Ursachen des Ausbreitens von Covid-19 werden in diversen Publikationen die zunehmende Umweltzerstörung, der Biodiversitätsverlust und das Zurückdrängen der Tierwelt aus ihren natürlichen Lebensräumen angeführt.

Notwendige Visionen und Utopien

Bei allem Verständnis dafür, dass, wie weiter oben bemerkt, die Gesundheitsvorsorge vor allen anderen Erwägungen Vorrang haben muss, mutet es dennoch sonderbar an, dass bei den rezenten Pressekonferenzen der Parlamentsfraktionen die ökologischen und sozialen Herausforderungen auf später verschoben worden sind. Dabei wurde in jüngster Vergangenheit in verschiedenen Sonntagsreden von denselben Politikern angemahnt, die derzeitige Krise müsse genutzt werden, um die sich aufdrängenden gesellschaftlichen, sozialen und ökologischen Transformationen in unserer Gesellschaft einzuleiten.

Mir ist durchaus bewusst, dass notwendige Veränderungen nicht immer einfach durchsetzbar sind, da sie oft die vorherrschende Meinung nicht respektieren und gegen die kurzfristigen Profitinteressen von manchen verstoßen. Dabei müssen wir uns der Tatsache bewusst sein, dass die vorherrschende Meinung die Meinung der herrschenden Klasse ist, wie sie auch immer wieder in verschiedenen Medien verbreitet wird. Wer in dieser Situation eine alternative Meinung äußert bzw. radikalere Forderungen stellt, läuft Gefahr, als Realitätsfremder und Utopist abgestempelt zu werden.

Wenn wir in der Sozial- und Gewerkschaftsgeschichte zurückblättern, stellen wir fest, dass auch unsere Vorgänger oft Forderungen stellten, wie den Acht-Stunden-Tag, die zu dem Zeitpunkt als realitätsfremde Utopien betrachtet wurden. Ohne diese Utopien hätte es den sozialen Fortschritt, auf den wir berechtigterweise stolz sind, nicht gegeben. Auch heute benötigen wir Visionen und Utopien für eine bessere Welt. Zu diesen Utopien zählt auch die Verwirklichung von „Brot, Frieden und Freiheit“, wie noch immer über der Bühne im „Casino syndical“ in Bonneweg zu lesen steht. Auch in dieser Hinsicht sollten wir uns nicht von negativen Entscheidungen entmutigen lassen, wie sie kürzlich in unserem Parlament getroffen wurden.

Wenn unseren Parlamentariern auch bis jetzt die Zeit fehlte, um positive Zukunftsszenarien zu entwickeln, so haben die Majoritätsparteien es fertiggebracht, im Interesse der Großkonzerne während der sanitären Krise das Freihandelsabkommen CETA mit Kanada zu ratifizieren. Kürzlich haben diese Parteien, einschließlich der CSV, entschieden, militärisch aufzurüsten, indem sie einen teuren und überflüssigen Militärsatelliten und ein ebenso überflüssiges und teures Transportflugzeug in Auftrag gegeben haben.

Feigenblatt Corona-Krise

Die Corona-Krise hat bereits verschiedene Änderungen in unserer Lebens- und Arbeitswelt hervorgerufen. Von vielen wird das verstärkte Einführen der Heim- oder Telearbeit als positiv empfunden. Allerdings müssen hier Regelungen dafür sorgen, dass eine Trennung zwischen Arbeit und Privatleben gewahrt bleibt und neue Ausbeutungsmethoden der menschlichen Arbeitskraft verhindert werden. Gleiches gilt für die zunehmende Digitalisierung, die sich unsere Regierung auf ihre Fahne geschrieben hat.

Auch hier sollten wir bedenken, dass die neuen Technologien vielfach zur ausschließlichen Profitsteigerung und als Beschleuniger der Ausbeutung der arbeitenden Menschen benutzt wurden und werden. In diesem Zusammenhang müsste eine grundlegende Diskussion über die gesellschaftlich notwendige Arbeit und Arbeitszeit geführt werden, die in Zukunft jeder leisten muss. In dieser Hinsicht ist die Frage der Arbeitszeitverkürzung aktueller denn je. Aufgrund des prognostizierten Arbeitsplatzabbaus sollten wir nicht zögern, eine wesentliche allgemeine Arbeitszeitverkürzung, Richtung 35-Stunden-Woche, zu fordern.

Die aktuelle Krise wird auch benutzt, um Betriebsschließungen und Arbeitsplatzabbau zu legitimieren. Dies ist beim Glashersteller Guardian der Fall, wo aus reinen Profitgründen die Produktion auf andere Standorte mit niedrigeren Löhnen ausgelagert werden soll. Gleiches gilt für den Stahlhersteller ArcelorMittal, der beabsichtigt, Transporte von der Schiene auf die Straße zu verlagern. Dies hat zur Folge, dass bei CFL-Cargo, einer Gesellschaft, wo ArcelorMittal zu 1/3 in der Kapitalstruktur vertreten ist, Arbeitsplätze abgebaut werden.

Der Luxemburger Staat ist seinerseits noch immer im Aktionariat vom Stahlhersteller vertreten. Infolge der Stahlkrise sind viele Steuergelder an die Stahlindustrie geflossen, was auch heute und in den kommenden Jahren noch der Fall sein wird. Aus diesen sowie aus sozialen und ökologischen Gründen müsste unsere Regierung alles daransetzen, damit keine Transportverlagerung von der Schiene auf die Straße erfolgt bzw. diese Verlagerung wieder rückgängig gemacht wird. Dies wäre sicher auch eine lobenswerte Aufgabe für den früheren Wirtschaftsminister, der kürzlich Mitglied im Verwaltungsrat von ArcelorMittal geworden ist.

Obige Beispiele zeigen, dass neben dem Austrocknen des Coronavirus auch das Profit-Virus gestoppt werden muss. Wir müssen eine Gesellschaft anstreben, die nicht auf hohe Profite für eine Minderheit, sondern auf Wohlstand und Wohlergehen für alle ausgerichtet ist. In diese Richtung zielen auch unsere Forderungen nach einer sozial gerechten Steuerreform, einer strukturellen Erhöhung des Mindestlohns sowie der Wiedereinführung der Vorschuss-Indextranche.

* Nico Wennmacher ist Ehrenpräsident des FNCTTFEL-Landesverbandes.

Tarzan
4. August 2020 - 14.26

@J.Scholer Wie es scheint sind wir bis auf das Pappauto (ich meinte damit den DDR-trabant), einmal einer Meinung. Mir kommt immer die Galle hoch, wenn zwischen den Zeilen ein gescheitertes Modell angepriesen wird. Egal, Sie sollten nicht immer über den Weltuntergang nachdenken. Den werden wir beide mit unserem Geschreibsel (zuviel freie zeit?) auch nicht verhindern können. Gehen Sie hinaus in die Natur, frische Luft tanken, ein bisschen Vitamin D, im garten ein Gläschen RosE. Seit kurzem ist mir ein zwergkaninchen zugelaufen, hab ihm natürlich Asyl gewährt. Beneide dieses Tierchen immer dann... wenn mir die Galle hoch kommt. Also, Peace and harmony.

J.Scholer
4. August 2020 - 9.16

@Tarzan:Wer glaubt mit der augenblicklichen Schuldenpolitik, dem Hypothekieren der Zukunft unsere Jugend , ungewissen Wirtschaftslage könnte sich in zehn Jahren noch ein Auto leisten irrt. Da wird der Traum vom Pappauto noch Realität und jene die die Signale nicht gehört haben werden weinen.

Tarzan
2. August 2020 - 13.28

Mit „Völker hört die Signale, auf zum… usw“- parolen werden wir diese Situation jedenfalls nicht meistern, sondern unsere Wirtschaft ganz gegen die wand fahren. der böse westliche Kapitalismus ist eben nicht für dieses Virus verantwortlich, sondern er/es kommt wie so viele oder die meisten Erreger aus China, wo absolut keine Rücksicht auf Umwelt, Tiere, Klima, Bevölkerung oder elementarste Hygienemassnahmen genommen wird. Von Menschenrechten mal gar nicht zu reden. Käme der/das Virus aus den USA könnte man wenigstens auf den Donald dreschen.Aber so, ruhe im politik/medien-Wald und der wahre schuldige wird nicht benannt. Noch ein Wort zu „läuft Gefahr, als Realitätsfremder und Utopist abgestempelt zu werden“. Mein lieber Scholli, wenn man wie Tarzan die heute gängigen Denkschablonen ablehnt, ist man mit „realitätsfremd“ und „irre“ noch gut bedient. N.b. auf ein Wirtschaftsmodell, wo otto normal 10 jahre auf ein Pappauto warten muss, kann ich getrost verzichten.