SerieHistorisches und architektonisches Esch (68): Die Synagoge 

Serie / Historisches und architektonisches Esch (68): Die Synagoge 
Die Synagoge heute Foto: Christof Weber, 2015

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Die jüdische Präsenz in Esch geht auf die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Die ersten Escher Juden entstammten bis auf wenige Ausnahmen dem rheinischen Judentum. In dem noch landwirtschaftlich orientierten Esch nahmen sie als Viehhändler und Metzger eine wichtige Stellung ein. 

Mit der Industrialisierung und Urbanisierung erweitert sich die Palette der von Juden in Esch ausgeübten Berufe. Man zählt Geschäftsleute, Anwälte, Ärzte, Ingenieure … In der Zwischenkriegszeit gesellen sich jüdische Einwanderer aus Zentral- und Osteuropa zu der bereits bestehenden Gemeinde. Die Neuankömmlinge sind Kaufleute, Handwerker oder auch Arbeiter. Sie etablieren sich vielfach im Brillviertel, wo sie in der Textil- oder Lederbranche tätig sind.

Eine erste Synagoge war 1899 nach Plänen des Staatsarchitekten Charles Arendt an der Kreuzung der Wasser- und Vinzenzstraße entstanden. Die nationalsozialistische Besatzungsmacht ließ sie 1941 Stein um Stein abtragen. Seit dem 8. Mai 2004, dem 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges, erinnert ein kleines Mahnmal an die Geschichte des Ortes, der seit 1985 place de la Synagogue heißt. Es handelt sich um eine späte Einsicht. Aus heutiger Sicht ist es kaum vorstellbar, dass sich die Gemeindeverantwortlichen 1950 freuten, hier „einen Tummelplatz für Kinder“ angelegt zu haben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg zählte die jüdische Gemeinde von Esch noch knapp 40 Gläubige. Viele ihrer Mitglieder waren der Shoah zum Opfer gefallen. Nur 3 von 115 durch die Nationalsozialisten verschleppten Escher Juden haben die Konzentrationslager überlebt. Andere waren vor der Besatzungsmacht geflohen und verblieben nach dem Krieg in den Ländern, die ihnen in allerhöchster Not Asyl gewährt hatten. Da die wenigen Rückkehrer über keine Synagoge mehr verfügten, nahmen sie für ihre Gottesdienste Zuflucht in einem behelfsmäßigen Gebetsraum, der in einer früheren Konditorei in der Großgasse untergebracht war. (Heute befindet sich an gleicher Stelle die Zweigniederlassung der Gesundheitskasse.)

1953 konnten die parallel mit staatlichen Dienststellen (Behörde für Kriegsschäden) und der Escher Gemeindeverwaltung geführten Verhandlungen zu einem guten Ende gebracht werden. Die Munizipalität erwarb von den Konsorten Herrmann und Toni Wolf ein an der Ecke von Dicks- und Kanalstraße gelegenes Bauterrain zum Zwecke, hier eine neue Synagoge zu errichten. Mit den Plänen wurde der Architekt Christian Scholl beauftragt. Die Bauarbeiten wurden an den Unternehmer Nic Moes vergeben. Bereits am 17. Oktober 1954 fand die Einweihung des in einer resolut zeitgenössischen Ästhetik gehaltenen Gebäudes statt.

Entdeckt man die neue Synagoge über die Kanalstraße von „Al Esch“ herkommend, überrascht seine Architektur. So scheint die schlanke Konstruktion gen Himmel zu streben. Eine halbkreisförmige, von fünf schmalen Fenstern durchbrochene Apsis wird beidseitig durch einen zweifachen Vorsprung erweitert. Diese eckigen Ausbuchtungen der Seitenfassaden weisen auf die Einteilung des Innenraumes hin. In der Apsis ist der liturgische Bereich untergebracht. Dieser geht in den breiteren, rechteckigen Gebetsraum über. Über die Fassade der Apsis läuft in hebräischen Lettern der biblische Vers „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst, Leviticus 19:18“.

Die Synagoge wird durch einen Garten gerahmt, dessen niedriges Gitter in regelmäßigen Abständen von einem abstrakten Motiv durchbrochen wird, das sich an dem Davidstern, einem Symbol des Judentums, inspiriert. Das gleiche Muster ziert die doppelte schmiedeeiserne Eingangstür der Synagoge. Letztere ist in der Kanalstraße an die benachbarte Häuserfront angebaut, in der Dicksstraße aber freistehend. Die Eingangstür ziert ein Rahmen aus Werksteinen, ein Dekor, das auf der Fassade weiter nach oben verläuft, um einen mit dem Davidstern verzierten Türsturz zu integrieren. Über dem leicht vorspringenden Eingangsbereich wird nach jüdischer (5713 nach der Erschaffung der Welt) und nach gregorianischer Zeitrechnung (1953) an die Grundsteinlegung erinnert.

Der Flur führt links in den Gebetsraum. Dieser ist in schlichtem Weiß gehalten und wird durch die prächtigen von dem Düdelinger Künstler Frantz Kinnen (1905-1979) entworfenen Glasfenster in ein farbiges Licht getaucht. Die, mit Ausnahme der Abbildung des Davidssterns, mit abstrakten Motiven versehenen, schmalen Kompositionen – je vier an den beiden Längswänden des Raumes – wurden in der Werkstatt Linster in Mondorf gefertigt.

Ein zentraler Gang teilt den mit Klappbänken bestückten Gebetssaal in zwei Bereiche. Ein schmaler goldbrauner, schwarzgerandeter Teppich leitet über drei Stufen zu dem nach Jerusalem ausgerichteten, leicht erhöhten liturgischen Bereich. Dieser wird durch einen Rundbogen von dem Gebetsraum getrennt. Geprägt wird er durch den Schrein, in dem die Torarollen aufbewahrt werden. Dieser ist eindrucksvoll in einen Block kostbaren grünen Marmors eingelassen. Aus dem gleichen Material gefertigt sind die mosaischen Gesetzestafeln, die den Schrein krönen. Der reich bestickte dunkle Samtvorhang des Toraschreins greift ebenfalls das Thema der Gesetzestafeln auf.

Über dem Gebetssaal schwebt eine Empore. Im konservativ geprägten Judentum war diese den Frauen zugedacht. Sie waren während des Gottesdienstes von den Männern getrennt, so wie es bis zum Konzil Vatikan II (1962-1965) auch in den katholischen Gotteshäusern eine Männer- und eine Frauenseite gab. Seit sich die jüdische Gemeinde von Esch zu dem Reformjudentum bekennt (2008), das für die Gleichberechtigung der Geschlechter eintritt, hat sie die Praxis der Geschlechtertrennung aufgegeben. So ist die Escher Synagoge durch ihre liberale Ausrichtung über die Grenzen Luxemburgs hinaus zum Anziehungspunkt für viele Juden geworden, die sich jenseits der konservativen Angebote zu ihrem Glauben bekennen möchten.