ForumKampf ums Erdöl und kein Ende in Sicht

Forum / Kampf ums Erdöl und kein Ende in Sicht
Erdöl wird gefördert. Foto: AFP

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Während die Pandemie die globale Wirtschaft in die Knie zwingt, erreicht die Krise gleichzeitig den wichtigsten Rohstoff der letzten 150 Jahre: Erdöl.

Mit den Ölbohrungen des Colonel Drake 1848 in Pennsylvania begann das Zeitalter des Erdöls. Bis dahin war die Kohle der Motor der industriellen Revolution. Erdöl und später Erdgas befeuerten den weltweiten Siegeszug der Konsumgesellschaft.

Zum Besitz oder zur Kontrolle der Erdöl-Vorkommen wurden Kriege geführt, Umstürze und Revolutionen angezettelt. Riesige Vermögen entstanden. Verlumpte Beduinen in Saudi-Arabien und am Golf verwandelten sich zu hofierten Exzellenzen.

Die wichtigsten Erdöl-Produzenten verbanden sich zu einem Kartell, Schreckgespenst der orthodoxen Ökonomie. Die OPEC diktierte die Preise, führte empfindliche Wirtschaftskrisen herbei. Kurz: Im langen 20. Jahrhundert drehte sich die Weltpolitik vor allem um das „schwarze Gold“. Doch die Vormachtstellung der OPEC-Produzenten geriet ins Wanken. Interne Rivalitäten, etwa zwischen den Saudis und den Iranern, führten zu Spannungen. Vor allem wurden in immer mehr Staaten rund um den Globus Öl und Gas gefunden. Wodurch es für die OPEC schwieriger wurde, hohe Erzeuger-Preise zu verteidigen.

Zumal eine technologische Entwicklung das Mutterland der Erdöl-Produktion, die USA, binnen weniger Jahre wieder zum weltweit größten Produzenten machte. Nach dem ursprünglichen Boom Ende des 19. Jahrhunderts waren die Amerikaner wegen ihres enormen Konsums zum größten ÖI-Importeur avanciert. Was viele geopolitische Konflikte erklärt.

Mit dem neu entwickelten „Fracking“ wurde es gegen Ende des 20. Jahrhunderts möglich, sogenanntes Schiefergas aus bis dahin unzugänglichen Winkeln der Erdkruste zu gewinnen. Die neuen Bohrmethoden erlaubten sogar, bereits stillgelegte Erdöl-Quellen zum Ausputzen der Restbestände zu reaktivieren. Es folgte eine geopolitische Erschütterung. Binnen weniger Jahre verwandelten über 9.000 große und kleine Öl- und Gas-Produzenten die USA von einem Importeur zu einem Exporteur von Erdöl-Produkten.

Die Europäer haben wenig Öl, verfügen jedoch über Vorkommen an Schiefergas und Teersand. Selbst in Luxemburgs Süden gibt es ölhaltige Schiefer. Doch die Abgeordneten verfügten schon vor Jahren einstimmig ein Denkverbot über deren eventuelle Nutzung. Dabei zeigt die Entwicklung in den USA, dass die Nutzung von „Shale“-Gas zur Elektrizitätsgewinnung die Kohle verdrängte. Was zu einer Minderung des amerikanischen CO2-Ausstoßes führte.

Machtpolitik

Mit ihren Gasüberschüssen drängten die USA auf die internationalen Märkte. Konkurrenten wurden ausgeschaltet. Iran und Venezuela wurden mit Sanktionen belegt. Washington machte Druck auf die Europäer, neue russische Gasleitungen zu verhindern. Kommissionspräsident Juncker wehrte Strafzölle gegen die EU ab, indem er Trump zusicherte, die Europäer würden verstärkt verflüssigtes „Shale“-Gas einkaufen.

Im Land der Freiheitsstatue zählt nur noch der „deal“: Händel über Handel. 2018 übertraf die amerikanische Erdöl-Produktion diejenige der Saudis und der Russen. Besonders die Russen wurden immer ungehaltener über den Druck der Amerikaner gegen die Fertigstellung der Gasleitung „Nord Stream 2“. Durch das Torpedieren dieser von Russland durch das Baltische Meer bis nach Deutschland führenden Pipeline wollen die USA den Europäern amerikanisches LNG verkaufen.

Die Russen nabelten sich Anfang des Jahres von den OPEC-Preisabsprachen ab. Sie begannen einen Preiskampf, der die Öl- und Gasproduzenten der USA visierte. „Fracking“ lohnt sich nur, wenn die internationalen Preise für Gas und Öl nicht unter 40 Dollar pro Barrel fallen.

Der verstärkte Ausstoß der russischen Ölprodukte drückte die Preise. Die Saudis antworteten mit einem zusätzlichen Output an Öl. Was die Abwärtsspirale der fossilen Energie-Preise verstärkte. Da Russen wie Saudis den größten Teil ihrer Staatsausgaben über den Verkauf von Erdöl finanzieren, gerieten beide in die Bredouille. Die kostengünstigsten Förderpreise, unterhalb von 4 Dollar pro Barrel, haben zwar die Saudis. Doch müssen diese einen sehr aufwendigen Staat finanzieren. Laut The Economist benötigen die Saudis einen Preis von 84 Dollar pro Barrel, um den Staatshaushalt auszugleichen. In Russland genügt ein Barrel-Preis von 42 Dollar, um den Putin-Staat zu finanzieren.

Die Machtprobe zwischen Russen und Saudis ließ einen Faktor unberücksichtigt: Covid-19. Die blitzartige Ausdehnung der Pandemie legte urplötzlich die Weltwirtschaft lahm. Die internationale Logistik brach ein. Flugzeuge blieben am Boden, Schiffe in den Häfen. Die Produktion stockte überall. Der globale Energieverbrauch brach um gut ein Viertel ein. Die Energie-Preise stürzten ins Bodenlose!

Was „Deal-Maker“ Donald Trump auf den Plan rief. Um zu Hause seine „Fracking“-Freunde zu schützen, fädelte der Präsident eine vorerst auf zwei Monate befristete Senkung der Fördermengen ein. Saudis, Russen, einige andere Produzenten-Länder, etwa Mexiko, willigten eher halb- als vollherzig in eine Drosselung ihrer Produktion ein. Da der Produktionsverzicht jedoch geringer ist als der Einbruch bei der Nachfrage, haben sich die Preise für fossile Energien nicht beruhigt. In den USA fielen diese gar in den negativen Bereich. Für die Autofahrer mag dies eine gute Nachricht sein. In Luxemburg war das Auftanken schon lange nicht mehr so günstig. Für die Weltwirtschaft häufen sich jedoch die Probleme.

„Peak-Oil“ war einmal

Billiges Öl und Gas verlangsamen die Umstellung auf erneuerbare Energien. Gleichzeitig geraten viele Produzenten-Staaten in verstärkte Finanznöte. Nicht nur die Saudis und die Russen bestreiten den größten Teil ihrer staatlichen Ausgaben mittels Energie-Einnahmen. Für den bevölkerungsreichsten Staat Afrikas, Nigeria, stellt Öl 90% seiner Exporte und zwei Drittel aller staatlichen Einnahmen dar. Der Irak ist in der gleichen Situation. Ebenso Angola, die Golf-Staaten, Libyen, Algerien, Aserbaidschan, Kasachstan, Venezuela, der Iran. Die beiden Letzteren zusätzlich durch US-Sanktionen unter Druck.

Während Jahren geisterte durch die westliche Presse der Begriff „Peak-Oil“. Visiert war die befürchtete Produktionsspitze, der Moment, wo die Erdölreserven angeblich ihr Maximum erreichten. Wegen des progressiven Austrocknens der limitierten Erdölvorkommen müsste es danach mit der Produktion bergab gehen.

Bislang wurde der Angebotsgipfel nie erreicht. Immer mehr Funde in den verschiedensten Erdteilen übersteigen die Nachfrage. Die ohnehin nachgibt, weil alternative Energien auf dem Vormarsch sind und die Energieeffizienz rasant steigt.

Die angestrebte „Dekarbonisierung“ ist nicht für morgen. Ja, nicht einmal für übermorgen. Die Staaten, die Öl-, Gas- und selbst Kohlevorkommen haben, werden diese valorisieren. Besonders, wenn sie über wenig andere Ressourcen verfügen. Die Türkei und Zypern streiten sich um neu entdeckte Vorkommen im Mittelmeer. Hinter dem Bürgerkrieg in Libyen steckt der Kampf um noch nicht ausgebeutete Vorkommen vor der Küste.

Mit Brasilien und Guyana sind neue Produzenten aufgetreten, die außerhalb der OPEC operieren. Allein das kleine Guyana schafft täglich 800.000 Barrel Öl, 1 Barrel pro Einwohner.

Weder die Briten noch die Norweger werden ihre Ölfelder in der Nordsee aufgeben. Die größten Hypokriten sind die Norweger. Ihre Einnahmen aus der „Offshore“-Gewinnung von Öl und Gas fließen in einen staatlichen Investitionsfonds. Mit Guthaben von über einer Billion Dollar besitzt Norwegen den weltweit bedeutendsten „Sovereign Wealth Fund“. Der sich sehr „ökologisch“ gibt und nur in „grüne“ Projekte investiert.

Was die Norweger nicht daran hinderte, im Zeitalter der Dekarbonisierung letzten Herbst ein neues Ölfeld zu erschließen: Das „Johan-Sverdrup-Feld“ mit geschätzten 2,8 Milliarden Barrel Reserven. Die ursprüngliche Produktion von täglich 440.000 Barrel konnte schon auf 690.000 Barrel gesteigert werden. Doch sei deren Produktion, so beteuert die Regierung, „ökologischer“ als anderswo: Zur Gewinnung der Vorkommen wird nur „erneuerbare“ elektrische Kraft eingesetzt! Die aus den vielen Staudämmen Norwegens stammt. Beim Verbrauch verursachen jedoch norwegisches Öl und Gas die gleichen Klimagase wie die der Konkurrenz.

Während der Ölverbrauch in den USA, in Japan und in Europa fällt, steigt er überall sonst in der Welt. Vor allem in Indien, in China, in den arabischen und afrikanischen Ländern. Laut internationaler Energieagentur dürfte die globale Nachfrage sich bis 2040 noch steigern. Covid-19 bringt nun einen Einbruch. Der jedoch nicht von Dauer sein wird, sondern bloß die wirtschaftlichen Schwierigkeiten vieler Staaten verschärft. Die derzeit fallenden Preise bedeuten automatisch weniger Investitionen. Was neue Engpässe schaffen wird.

Erdöl-Produkte sind und bleiben eine Droge für die Menschheit. Der sie sich mittelfristig nicht entziehen kann.

* Der Autor ist ehemaliger Minister (LSAP) und Europaabgeordneter.

HTK
22. April 2020 - 15.14

" Verlumpte Beduinen in Saudi-Arabien und am Golf verwandelten sich zu hofierten Exzellenzen." Das dürfen sie denen aber heute nicht mehr unter die Nase reiben. Scheichs sind nicht nur reich sondern auch schnell beleidigt. Da wird das Krummschwert gezückt. Das Öl wird wohl solange gefördert bis keins mehr da ist.Oder glaubt jemand bestehende Quellen würden versiegelt und vergessen?