BalkanMancher Regent schätzt den Notzustand offenbar als ideales Regierungsumfeld

Balkan / Mancher Regent schätzt den Notzustand offenbar als ideales Regierungsumfeld
Viktor Orban (Archivfoto) Foto: AP

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Notfälle erfordern einen starken Staat. Doch manche Regenten in Südosteuropa scheinen den ausgerufenen Notzustand als ideale Regierungsform zu empfinden. Kritiker warnen davor, den Ausnahmezustand zur Regel zu machen.

Befreundete Staatenlenker lassen sich in der Virusnot auch vom selbst verkündeten Gebot der sozialen Distanz nicht schrecken. Zum zweiten Mal innerhalb von sieben Tagen trafen sich Serbiens Präsident Aleksandar Vucic und Ungarns Premier Viktor Orban am Sonntag in Budapest. „Vorbereitungen für den Tag nach dem Sieg über das Coronavirus“, übertitelte Serbiens allgewaltiger Landesvater hernach die Instagram-Fotos von dem Gedankenaustausch mit seinem nationalpopulistischen Gesinnungsfreund. Wie sollen Europas Staaten nach der Pandemie wieder auf die Beine kommen? Notfälle erfordern entschlossene Maßnahmen starker Staaten. Doch in Südosteuropa scheinen eher autoritär gestrickte Regenten den Ausnahmezustand insgeheim oder offen als ideale Regierungsform zu empfinden.

Ein in dieser Woche von Budapest eingebrachter Gesetzentwurf sieht vor, dass Ungarns Regierung den Notzustand auch ohne die Zustimmung des Parlaments unbegrenzt verlängern, die Anwendung bestimmter Gesetze per Dekret aussetzen und eine „parlamentarische Pause“ erzwingen kann. Ungewöhnliche Zeiten würden eben außergewöhnliche Maßnahmen erfordern, so die regierungsnahe Zeitung Magyar Nemzet, die den Kritikern vorwirft, die Krise für das Schüren von „Panik“ nutzen zu wollen. In Serbien stoßen weniger die Verfügungen des Krisenstabs an sich auf Kritik als die Mobilisierung der Armee und die Art, wie Präsident Vucic den Notzustand allabendlich in stundenlangen TV-Monologen zu zelebrieren pflegt.

„Entrattung“

Der Präsident „genieße“ seine Rolle als „allmächtiger Kommandant“ und wolle den Leuten „die Angst in die Knochen jagen“, so der Publizist Veselin Simonovic in der Zeitung Blic: Nicht einer seiner „melodramatischen“ Auftritte würde ohne Drohungen über die Bühne gehen. Schimpftiraden von Politikern würden die Bürger eher irritieren als beruhigen, warnt der Psychologie-Professor Dragan Popadic und empfiehlt Vucic, den Medizinern die Mikrofone zu überlassen: „Die Leute erwarten, dass ihnen Fachleute besonnen und konstruktiv die Lage erklären.“ Einen präsidialen Probeballon wittern Kritiker in der Forderung regierungsnaher Publizisten, den Notzustand zu „Entrattung“ und „Desinfizierung“ der sozialen Netzwerken zu nutzen.

Vor einem Missbrauch des Notzustands zur Abschaltung der sozialen Netzwerke warnt besorgt die Zeitschrift NIN. Wo verläuft die Grenze zwischen der in der Viruskrise notwendigen Einschränkung von Bürgerrechten und der Gefahr von deren Missbrauch? Mit dem Verweis auf die Bedrohung der „letzten Reste der Meinungsfreiheit“ hat Bulgariens Präsident Rumen Radew gegen Teile des von der rechtsnationalen Regierung verabschiedeten Notstandsgesetzes sein Veto eingelegt. Restriktionen drohten nach Ende des Ausnahmezustands in Kraft zu bleiben, so Radew. Gleichzeitig warnt er vor sozialen Spannungen bei einer „totalen Blockade“ der Wirtschaft. Diese könnten zu einer Situation führen, „in der der Hunger die Angst überwindet“ – mit „destruktiven“ Konsequenzen. „Keine Schlacht wurde je mit Furcht gewonnen: Die Bulgaren benötigen keine Drohungen, sondern Unterstützung.“