EditorialKlimaschutz und Demokratie bedingen einander

Editorial / Klimaschutz und Demokratie bedingen einander
Armut in der „Heißzeit“? Eher der soziale Alltag in São Paulo. Brasilien hat nicht nur mit einer hohen Armutsrate, sondern auch mit extremen sozialen Ungleichheit zu kämpfen.  Foto: AFP/Nelson Almeida

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Der Wintereinbruch mit Eisglätte und Schneefall lenkte vor einer Woche für kurz von den politischen Themen unserer Zeit ab. Dagegen scheint vor allem eines, das auf der Prioritätenliste eigentlich ganz oben stehen müsste, in den Hintergrund gerückt zu sein: der Klimawandel. Seine Folgen setzten den verschiedenen Regionen der Erde im vergangenen Jahr erneut zu: mit Hitzewellen, Überflutungen, Dürren, Bränden und Stürmen. Der Copernicus Climate Change Service der Europäischen Union erklärte 2023 zum heißesten Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. 2024 könnte die globale Durchschnittstemperatur nach Meinung vieler Wissenschaftler weiter steigen. Wenn der weltweite Ausstoß an Kohlendioxid nicht schleunigst gesenkt wird, gerät das Ziel des Pariser Klimaabkommens von 2015, die menschengemachte Erderwärmung durch den Treibhauseffekt auf 1,5 Grad, gerechnet vom Beginn der Industrialisierung bis zum Jahr 2100, zu begrenzen, gänzlich außer Reichweite.

Während angesichts dieser „Heißzeit“ für die einen der Klimaschutz nur langsam vorangeht, räsonieren andere über eine Ökodiktatur, wiederum andere spielen Armut und soziale Benachteiligung nach dem Motto, ökologische Politik könnten sich nur Besserverdienende leisten, gegen den Umweltschutz aus. Premierminister Luc Frieden sagte im Neujahrsinterview mit RTL, man solle das Thema „etwas weniger verkrampft“ sehen und einen Umweltschutz betreiben, „der nicht nervt“. Damit sprach er vielen Bürgern in populistischer Manier aus dem Herzen. Zu viele Auflagen für Unternehmen schadeten der Wirtschaft, glaubt Frieden zu wissen. Der Kampf gegen den Klimawandel müsse als mittel- und langfristiges Unterfangen betrachtet werden, was zwar nicht heißt, nichts zu tun, aber außer Acht lässt, dass uns in der Klimapolitik die Zeit davonläuft. Und wenn Umweltminister Serge Wilmes darauf hinweist, dass „nicht zu viel von oben aufgezwungen und keine Untergangsstimmung verbreitet werden“ dürfe, dann entsteht leicht der Eindruck, Klimaschutz und Demokratie würden sich widersprechen. Dass dies aber nicht so ist und beide untrennbar zusammengehören, weiß er nur zu gut.

Die Demokratie ließe sich nur bewahren, wenn wir das Klima schützen, und das Klima werde sich nur mit demokratischen Mitteln schützen lassen, schreibt der Spiegel-Journalist Jonas Schaible in seinem Buch „Demokratie im Feuer. Warum wir die Freiheit nur bewahren, wenn wir das Klima retten – und umgekehrt“. Nach Schaibles Worten wird Freiheit durch den Klimawandel zu etwas, das man „nicht mehr nur ausleben, sondern auch aufbrauchen kann“. Schaible fordert ein Vetorecht für den Klimaschutz. Wenn dieser scheitere – und mit ihm die Demokratie – drohe erst recht eine Ökodiktatur.

Wilmes weiß auch, dass Klimaschutz sozial gerecht sein muss – im Zusammenspiel mehrerer Ministerien. Neue Wohnformen und Mobilitätskonzepte, Kreislaufwirtschaft und erneuerbare Energien haben Auswirkungen auf die Lebensführung der Menschen. Die ökologische Transformation werde häufig als ein Projekt der Wohlhabenden gegen den bescheidenen Wohlstand der vielen dargestellt und habe nur wenig mit den Interessen etwa von Industriearbeiterschaft und prekär Beschäftigten zu tun, konstatiert der deutsche Journalist Steffen Vogel. Bisher sei es versäumt worden, „Klima-, Energie- und Umweltfragen zu sozialen Fragen zu machen“. Dabei muss es nach Vogels Worten heißen: „Klimapolitik geht nur sozial!“

liah1elin2
25. Januar 2024 - 21.33

Danke Her Kunzmann für den treffenden Kommentar und danke @dmp für Ihre ebenso treffenden Anmerkungen. Es ist ein Trauerspiel wie gleichgültig die Regierung und ein Grossteil unserer bequemen Gesellschaft mit dem Thema Klimaschutz umgehen.

dmp
24. Januar 2024 - 12.24

Luxemburg mit der neuen Regierung auf klimapolitischen Abwegen … “Premierminister Luc Frieden sagte im Neujahrsinterview mit RTL, man solle das Thema „etwas weniger verkrampft“ sehen und einen Umweltschutz betreiben, „der nicht nervt“.” Eigentlich hätte sich der Premier mit einem solchen Statement für jegliche verantwortungsvolle Politik disqualifiziert. Eigentlich. Uneigentlich jedoch stimmen zu viele Bürger ihm in dieser Sichtweise zu. Das ist fatal. Wo bei Frieden offensichtlich eine hauptsächlich wirtschaftsbezogene Politik Vater des klimaverharmlosenden Gedankens ist, scheint bei der Mehrheit der ihm zustimmenden Landsleute Unwissenheit gepaart mit Ignoranz vorzuherrschen. Was den Premier betrifft, so muss man ihm wirtschaftspolitische Inkompetenz bescheinigen. Wer derlei sträflich die Chancen des Klimaschutzes für Green Jobs und grüne Technologien vernachlässigt, damit eine neue industrielle Revolution verhindert, die für Luxemburg ebenfalls staatsfinanziell substantiell werden könnte, kann kein Wirtschaftsexperte sein. Die Beweggründe für Friedens haarsträubende Bemerkung seine Klimapolitik betreffend lässt einen anderen Schluss zu: Er betreibt Klientelpolitik für Unternehmen und Wirtschaftszweige, die weiterhin mit klimaschädlichem Verhalten den großen Reibach machen wollen und eine Einstellung „nach mir die Sintflut“ hegen. Was nun die Bürger betrifft, die mit Friedens Äußerung konform gehen: Hier darf man Ausläufer einer Bildungsmisere beobachten. Es wurde den Menschen nicht vermittelt, sich für relevante und existentielle Themen zu interessieren und sich eingehend darüber zu informieren. Viele watscheln unbekümmert durchs Leben, sich über diejenigen lustig machend, die die Klimakrise ernst nehmen. Dabei tragen diese Zeitgenossen eine auf völliger Unwissenheit basierende Arroganz wie einen Popanz vor sich … und sind sich dessen nicht mal bewusst, weshalb sie auf andere, wohlinformierte Bürger, wie nackte Kaiser wirken. Die ökologische Transformation ist ein Projekt zur Bewahrung der Demokratie. Wird diesbezüglich versagt, wird es das Ende der Demokratie bedeuten. So betrachtet betätigt sich Frieden als Totengräber der Demokratie in Luxemburg.