KulturhauptstadtTemeswar in Rumänien: Ein Neu-Aufbruch mit Hindernissen

Kulturhauptstadt / Temeswar in Rumänien: Ein Neu-Aufbruch mit Hindernissen
Blick auf ein Verwaltungsgebäude der serbisch-orthodoxen Kirche am Unionsplatz in Temeswar Foto: Silviu Nastase/Kulturhaupt Temes

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Mit zweijähriger Verzögerung, aber hoffnungsfrohem Elan schlüpft das rumänische Temeswar in seine neue Rolle als Europas Kulturhauptstadt. Die ebenso kreative wie erfolgreiche Vielvölkerstadt will das Kulturjahr zur Stadterneuerung nutzen, doch stößt im fernen Bukarest auch auf Hindernisse.

Draußen vor der frisch renovierten Fassade des Nationaltheaters im rumänischen Temeswar (Timisoara) montieren emsige Arbeiter die Lichterketten der Weihnachtsbeleuchtung ab. Drinnen gestaltet sich der Aufstieg in dem altehrwürdigen Gemäuer am Piata Victoriei als stufenreiche Schnellexpedition in die Sprachwelten der Vielvölker-Metropole.

Auf Rumänisch parliert im Erdgeschoss die Dame an der Theaterkasse. Ungarisch schnattern die Schulkinder, die im ersten Stock ungeduldig auf den Beginn einer Vorstellung warten. Auf Englisch und Deutsch weisen freundliche Helfer in dem verschachtelten Treppenhauslabyrinth den Weg. Endlich eröffnet im Obergeschoss eine unauffällige Glastür den Zugang zum Deutschen Staatstheater in der Banat-Metropole.

Temeswar sei eine „interessante und multikulturelle Stadt“, preist der aus dem siebenbürgischen Kronstadt (Brasov) stammende Rudolf Herbert seine Wahlheimat. „Die Leute haben hier schon immer in Richtung Wien und nach Westen geblickt – und leben weiter eher mit dem Rücken zur Hauptstadt Bukarest“, sagt der Künstlerische Leiter des Theaters.

Weil die Bewohner der Grenzstadt zu sozialistischen Zeiten das ungarische und jugoslawische Fernsehen schauten, seien sie „besser informiert“ gewesen, so Herbert: Auch darum habe der Volksaufstand zum Sturz des Diktators Nicolae Ceausescu 1989 in Timisoara begonnen. Die 320.000 Einwohner zählende Stadt habe die Aufmerksamkeit, die ihr als Europas Kulturhauptstadt zufalle, „verdient“: „Die Temeswarer sind bis heute offener als in anderen Städten.“

Unablässig gurren die Tauben auf den neu gedeckten Dächern der renovierten Barockbauten am Piata Unirii. Ob prächtige Jugendstilpaläste, barocke Kirchenhäuser, Fabrikhallen oder Villen aus der Gründerzeit: Wegen ihrer über 14.000, oft vom Verfall bedrohten Baudenkmäler wird Rumäniens drittgrößte Stadt, die ihre erste große Blütezeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte, gerne mit Wien oder Budapest verglichen. „Shine your light! – Lass Dein Licht leuchten!“ lautet der Slogan des Kulturjahrs, mit dem „Klein-Wien“ nicht nur sein internationales Image neu aufpolieren, sondern auch sein Potenzial und architektonisches Kulturerbe besser erschließen will.

Stolz schreitet Teodora Borghoff vom Kuratorenteam des Kulturjahrs durch die frisch getünchte Halle der überholten Straßenbahndeponie, die nun für Ausstellungen und Konzerte genutzt werden soll. „Es geht nicht darum, das größte Orchester nach Timisoara zu bringen“, stellt sie klar: „Wir wollen beispielsweise auch Kammermusiker in alten Fabriken spielen lassen, um auf unsere zahlreichen Industriedenkmäler aufmerksam zu machen.“

„Es war eine gute Energie“

Auch wegen der Folgen der Pandemie gestaltete sich die Vorbereitung auf das Kulturjahr in Temeswar als ein ungewöhnlich langes Rennen. Veteranin Borghoff war bereits 2011 dabei, als der damalige Bürgermeister Gheorghe Ciuhandu 150 Kulturschaffende, Städteplaner sowie Vertreter der Wirtschaft an einen Runden Tisch bat. „Es war eine gute Energie“, blickt sie auf die damals beschlossene Bewerbung um die kulturellen Hauptstadtwürden zurück: „Doch dann kamen 2012 die Kommunalwahlen – und alles veränderte sich.“

Die folgenden acht Jahre hatte mit Bürgermeister Nicolae Robu (PNL) ein Mann in der Stadt das Sagen, der laut Borghoff „keinerlei Ahnung von Europa und dem Kulturjahr hatte“. Zwar setzte sich Temeswar beim Bewerbungsrennen knapp gegen Cluj (Klausenburg) durch. Doch die Begeisterung für das Kulturjahr ging bald verloren. „Wir hatten den Titel geholt. Aber die Motivation war weg, die Stimmung mies und das Kulturjahr kein Thema mehr“, umschreibt Borghoff die triste Lage zu Ende der 10er Jahre.

Der „Trump-artige“ Amtsstil von Robu habe für „Konflikte und Verwerfungen“ gesorgt, erzählt im Rathaus der stellvertretende Bürgermeister Ruben Latcau von der Antikorruptionspartei USR. Obwohl Timisoara bis heute als das wichtigste Wirtschaftszentrum des Landes nach der Hauptstadt Bukarest gilt, begann das aufstrebende Cluj, dem mit sich selbst ringenden Temeswar nicht nur beim Buhlen um Investoren, sondern auch in der internationalen Wahrnehmung den Rang abzulaufen. „Wir haben in den letzten zehn Jahren die PR-Schlacht mit anderen Städten in Rumänien verloren“, räumt Latcau offen ein.

Zum Wendepunkt für Temeswar sollte ausgerechnet das Corona-Jahr 2020 werden. Erst erhielt die Stadt wegen der Pandemie noch einmal einen zweijährigen Aufschub für das ursprünglich für 2021 geplante Kulturjahr. Dann gewann mit dem Schwarzwälder Dominic Fritz im Herbst 2020 überraschend ein ambitionierter Stadt-Erneuerer aus Deutschland die Bürgermeisterkür – und hauchte den stockenden Vorbereitungen neues Leben ein. „Wir brennen hier kein einjähriges Feuerwerk ab, sondern wollen Dinge tun, die nachhaltig sind und langfristige Auswirkungen auf die Stadt haben“, so das Credo von Fritz.

In der Kulturszene der Stadt werden dennoch auch kritische Töne laut. Nur auf dem Papier sehe das Konzept des Kulturjahrs gut aus, doch herausgekommen sei ein „Eintopf mit allem“, wetterte der Dokumentarfilmer Florin Iepan kürzlich in einem Interview. Nur die „Immobilienbarone“ und der „Wanderzirkus von Beratern der Kulturhauptstädte“ würden davon profitieren, orakelte er düster: Den Armen am Stadtrand bleibe „nur etwas Gemüse vom Boden des Kessels“.

Doch zumindest bei den Organisatoren hat die neue Rathausverwaltung neuen Elan geweckt. „Die Wahlen und Corona haben das Kulturjahr gerettet“, sagt Borghoff. Die Pandemie sei wegen der verlorenen Leben auch in Rumänien eine Tragödie gewesen, stellt Latcau klar: „Aber für uns waren die zwei Jahre Pause die große Gelegenheit, den Rückstand in der Vorbereitung aufzuholen.“

Weder Berlin noch Brüssel

Ob erneuerte Industriemonumente, Wassertürme, Nachbarschaftskinos oder restaurierte Jugendstilfassaden: Das Kulturjahr hat nicht nur die Kommune, sondern auch viele Privateigentümer zur Überholung verfallender Baumonumente animiert. Klar wäre es wünschenswert, wenn noch mehr Gebäude restauriert würden, räumt Theatermacher Herbert ein: „Aber wir sind hier in Rumänien, nicht in Avignon, Berlin oder Brüssel. Die Mittel sind begrenzt. Doch Temeswar hat das Glück, dass die Stadt sehr gut dasteht, dass es hier vorwärtsgeht – im Unterschied zu anderen Regionen.“

Tatsächlich beträgt die Arbeitslosenrate in der Stadt gerade einmal 0,6 Prozent. Doch auch wenn Latcau beteuert, dass Temeswar sich keineswegs mit anderen rumänischen Städten vergleiche, ist es der ewige Zweikampf mit Cluj um die zweite Position hinter Bukarest in der Banat-Metropole immer präsent. Es gehe bei der Ausrichtung des Kulturjahres „weniger um den Tourismus“, sagt Borghoff: „Es geht um den Kampf um die besten Investoren und Studenten – und der Konkurrenz gegenüber Cluj.“

Doch seit die USR von Oberbürgermeister Fritz im September 2021 aus der Regierungskoalition des Landes purzelte, verspürt Rumäniens neue Kulturhauptstadt in Bukarest unerwarteten Gegenwind. Erst schanzte Bukarest fast ein Drittel der ursprünglich für die Stadt vorgesehenen Zuschüsse des Kulturministeriums im Sommer plötzlich der von den Regierungsparteien kontrollierten Kreisverwaltung zu. Dann trudelten die Gelder aus Bukarest erst im letzten Moment im Dezember bei der Kommune ein.

Sibiu habe als erste Kulturhauptstadt des Landes 2007 am Vorabend von Rumäniens EU-Beitritts noch die volle Unterstützung der damaligen Regierung genossen, sagt Latcau: „Das ist bei uns absolut nicht der Fall.“

Noch immer verhüllen Plastikplanen im Zentrum viele Fassaden. Nicht alle Vorhaben seien fertig geworden, räumt Latcau ein. Doch trotz des „zynischen Spiels“ von Bukarest sei es Timisoara gelungen, „mit dem Kopf nach oben“ und den Komplimenten Brüssels in das Kulturjahr zu ziehen: „Jetzt, wo es klar ist, dass wir uns nicht zum Gespött machen werden, haben auch die Politiker in Bukarest keine andere Wahl mehr, als an Bord zu springen und uns zu unterstützen. Denn das Kulturjahr wird ein Erfolg – trotz aller Hindernisse.“