Derweil argumentierten diejenigen, die meinten, sie wäre langfristiger Art – angeführt von Lawrence H. Summers von der Universität Harvard, Mohamed A. El-Erian vom Queens’ College der Universität Cambridge und weiteren Ökonomen –, dass die Inflation hoch bleiben würde, weil die Konjunktur aufgrund einer exzessiven Gesamtnachfrage dabei sei, zu überhitzen. Diese Nachfrage würde von drei Faktoren angetrieben: einer anhaltend lockeren Geldpolitik, übertriebenen Konjunkturimpulsen durch die Fiskalpolitik und einer raschen Anhäufung von Ersparnissen aufseiten der privaten Haushalte während der Pandemie, die nach der neuerlichen wirtschaftlichen Öffnung zu einem Nachfrageschub führte.
Auch ich gehörte jener zweiten Gruppe an. Aber ich argumentierte, dass zusätzlich zu der überhöhten Gesamtnachfrage mehrere negative Gesamtnachfrageschocks zu der steigenden Inflation – und tatsächlich zu einer Stagflation (verringertem Wachstum bei gleichzeitig erhöhter Inflation) – beitrügen. Die ursprüngliche Reaktion auf Covid-19 hatte zu Lockdowns geführt, die deutliche Verwerfungen in den globalen Lieferketten verursachten und das Angebot an Arbeitskräften verringerten (was in den USA einen sehr angespannten Arbeitsmarkt zur Folge hatte). Dann kamen in diesem Jahr zwei zusätzliche Angebotsschocks dazu: Russlands brutale Invasion in der Ukraine, die die Rohstoffpreise (für Energie, Industriemetalle, Nahrungsmittel und Dünger) in die Höhe trieb, und Chinas „Null-Covid-Reaktion“ auf die Omikron-Variante, die zu einer weiteren Runde von Engpässen in den Lieferketten führte.
Keine Rezession auslösen
Wir wissen jetzt, dass jene zweite Gruppe die Inflationsdebatte des Jahres 2021 gewonnen hat. Angesichts einer steil auf beinahe zweistellige Werte gestiegenen Inflation haben die US Federal Reserve und andere Notenbanken eingestanden, dass das Problem nicht vorübergehender Art ist und man ihm dringend durch Straffung der Geldpolitik begegnen muss.
Dies hat eine weitere große Debatte ausgelöst: ob die Wirtschaftspolitik eine „weiche Landung“ für die Weltwirtschaft herbeiführen kann. Die Fed und andere Notenbanken behaupten, dass es ihnen gelingen wird, ihre Leitzinsen gerade stark genug anzuheben, um die Inflationsrate auf ihren Zielwert von 2 Prozent hinunterzuziehen, ohne dabei eine Rezession zu verursachen. Aber ich und viele andere Ökonomen bezweifeln, dass dieses Goldlöckchen-Szenario – eine Konjunktur, die weder zu stark erhitzt noch zu sehr abkühlt – erreichbar ist. Das erforderliche Maß an geldpolitischer Straffung wird unweigerlich eine harte Landung in Gestalt einer Rezession und höherer Arbeitslosigkeit hervorrufen.
Weil stagflationäre Schocks sowohl das Wachstum verringern als auch die Inflation in die Höhe treiben, stellen sie die Notenbanken vor ein Dilemma. Wenn ihre höchste Priorität darin besteht, die Inflation zu bekämpfen und eine gefährliche Entankerung der Inflationserwartungen (d.h. eine Lohn-Preis-Spirale) zu verhindern, müssen sie ihre unkonventionelle expansionistische Geldpolitik auslaufen lassen und die Leitzinsen in einem Tempo erhöhen, das vermutlich eine harte Landung nach sich ziehen wird. Doch wenn ihre Spitzenpriorität darin besteht, Wachstum und Beschäftigung aufrechtzuerhalten, müssen sie ihre Politik langsamer normalisieren und das Risiko einer Entankerung der Inflationserwartungen eingehen, und so den Boden für eine über dem Zielwert liegende Inflation bereiten.
Ein neuer Kurssturz?
Das Szenario einer weichen Landung nimmt sich daher wie Wunschdenken aus. Inzwischen hat sich der Anstieg der Inflation derart verstetigt, dass nur eine starke Straffung der Geldpolitik sie wieder in den Zielkorridor zurückbringen kann. Unter Rückgriff auf frühere Episoden hoher Inflation gehe ich davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit einer harten Landung innerhalb von zwei Jahren bei über 60 Prozent liegt.
Doch gibt es noch ein drittes mögliches Szenario. Die Geldpolitiker äußern sich derzeit, was die Inflationsbekämpfung angeht, gern aggressiv, um zu verhindern, dass diese außer Kontrolle gerät. Aber das heißt nicht, dass sie nicht letztlich klein beigeben und einen Anstieg der Inflationsrate über den Zielwert zulassen werden. Da ein Erreichen dieses Zielwerts eine harte Landung erfordern dürfte, könnten sie letztlich die Zinsen erhöhen und dann kalte Füße bekommen, sobald dieses Szenario wahrscheinlicher wird. Zudem könnten Zinserhöhungen, weil derart viele private und öffentliche Schulden im System stecken (global 348 Prozent vom BIP), einen neuerlichen Kurssturz an den Renten-, Aktien- und Kreditmärkten auslösen, was den Notenbanken einen weiteren Grund für einen Rückzieher verschafft.
Vereinfacht gesagt: Die Bemühungen zur Inflationsbekämpfung könnten ohne Weiteres zu einem Absturz der Konjunktur, der Märkte oder beider führen. Schon jetzt hat die bescheidene Straffung der Geldpolitik durch die Notenbanken die Finanzmärkte erschüttert und wichtige Aktienindizes nähern sich Bärenterritorium (einem Rückgang von 20 Prozent gegenüber den jüngsten Höchstständen), und die Anleiherenditen und die Risikoaufschläge für Kredite steigen. Doch wenn die Notenbanken jetzt einen Rückzieher machen, wird das Ergebnis den stagflationären 1970er Jahren ähneln, als eine Rezession mit hoher Inflation und einer Entankerung der Inflationserwartungen einherging.
Welches Szenario ist am wahrscheinlichsten? Das hängt völlig von einer Kombination unsicherer Faktoren ab, darunter der Hartnäckigkeit der Lohn-Preis-Spirale, dem Grad, zu dem die Leitzinsen zur Zügelung der Inflation (durch Schaffung eines Überangebots auf den Waren- und Arbeitsmärkten) steigen müssen, und der Bereitschaft der Notenbanken, schmerzhafte Entscheidungen zu treffen, um ihre Inflationsziele zu erreichen. Darüber hinaus bleibt abzuwarten, welchen Verlauf der Krieg in der Ukraine nehmen und was für Auswirkungen er auf die Rohstoffpreise haben wird. Gleiches gilt für Chinas Null-Covid-Politik mit ihren Auswirkungen auf die Lieferketten und für die aktuelle Korrektur an den Finanzmärkten.
Die Geschichte zeigt, dass eine weiche Landung höchst unwahrscheinlich ist. Damit bleiben die Möglichkeiten einer harten Landung mit einer Rückkehr zu niedrigerer Inflation oder ein Stagflationsszenario. So oder so ist eine Rezession in den nächsten zwei Jahren wahrscheinlich.
*Nouriel Roubini ist Professor emeritus für Volkswirtschaft an der Stern School of Business der New York University und Chefökonom des Atlas Capital Team.
Aus dem Englischen von Jan Doolan
Copyright: Project Syndicate, 2022
www.project-syndicate.org
De Maart
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können