Gelingt Naomi Long der lang erhoffte Durchbruch? Bei der Regionalwahl in Nordirland richtet sich das Augenmerk vieler Beobachter auf die überkonfessionelle Allianzpartei der Belfaster Justizministerin. Den Umfragen zufolge könnte die Allianz an diesem Donnerstag ihren bisherigen Stimmenanteil verdoppeln und damit den dritten Platz im heftig umstrittenen britischen Nordosten der Grünen Insel belegen. Die 50-jährige Ingenieurin gibt sich zurückhaltend: „Ich will die Partei darauf vorbereiten, dass wir nach der Wahl stärker sind und den Leuten Besseres bieten können.“
Seit dem Karfreitagsabkommen von 1998, mit dem drei Jahrzehnte Bürgerkrieg beendet wurden, haben die Nordiren bei Wahlen immer wieder die Extreme gestärkt und damit die Stagnation in ihrer Provinz mit rund 1,8 Millionen Einwohnern gefördert. Beim jüngsten Urnengang 2017 trennten die Partei der königstreuen Protestanten (DUP) und die republikanisch gesinnten Katholiken (Sinn Féin) nur noch 0,2 Prozent der Wählerstimmen und ein Mandat. Diesmal sagen die Demoskopen den beiden Großen Verluste voraus. Davon würde in erster Linie die Allianz profitieren.
Verkrustete Politik
Zu deren wichtigsten Programmpunkten zählt eine Modernisierung der politischen Institutionen in Belfast. Weil das Karfreitagsabkommen von 1998 eine Konkordanz nach Schweizer Vorbild vorschreibt, konnten DUP und Sinn Féin das Fortkommen der Regierung immer wieder jahrelang behindern oder Parlament und Administration sogar ganz lahmlegen. Seit dem EU-Austrittsvotum liegt zudem der Brexit-Schatten dunkel über Nordirland.
All das Zeug über Protestanten oder Katholiken, das kümmert die kein bisschen
Zuletzt trat der Erste Minister Paul Givan (DUP) im Februar aus Protest gegen das sogenannte Nordirland-Protokoll zurück, wodurch gemäß den Statuten der Allparteien-Regierung automatisch auch die SF-Vizeregierungschefin Michelle O’Neill ihr Amt verlor. Das Protokoll gehört zum britischen EU-Austrittsvertrag. Es soll die Landgrenze zur Republik im Süden offenhalten, aber gleichzeitig die Integrität des Binnenmarktes gewährleisten. Deshalb wurden zwischen Nordirland und der britischen Hauptinsel Zoll- und Einfuhrkontrollen fällig, was die Unionisten verärgert. Premier Boris Johnsons Regierung behauptet gegen alle Fakten, man habe die Vereinbarung in einem Moment der Schwäche getroffen. Hingegen pocht Brüssel auf die Einhaltung geltenden Völkerrechts.

Wie wichtig die Frage der Bevölkerung wirklich ist? Bei einem Treffen junger Leute in Derry, organisiert von Youth Action Northern Ireland, spielten weder das Protokoll noch die von den Republikanern angestrebte Wiedervereinigung der Grünen Insel eine wichtige Rolle. Stattdessen nannten die 40 Teilnehmer Themen wie Wohnungsbau, Armutsbekämpfung und Bildung, dazu die psychischen Probleme, mit denen viele Menschen seit der Covid-Pandemie kämpfen. „All das Zeug über Protestanten oder Katholiken, das kümmert die kein bisschen“, berichtete Jugendarbeiterin Róisín McLaughlin der Irish Times.
Nicht umsonst schnitt bei einer Probeabstimmung die Allianz-Vertreterin hervorragend ab. Die liberale Partei der Mitte ging vor einem halben Jahrhundert aus der unionistisch-protestantischen Mittelschicht hervor. Sie stützte sich zunächst vor allem auf jene Bürger, denen schon damals Themen wie Jobschaffung, Gesundheit und Schulen wichtiger waren als die historischen Gegensätze zwischen den nach London orientierten Protestanten und den Katholiken, die eine Wiedervereinigung mit der Republik im Süden anstrebten. Damit fristete sie lange Jahrzehnte ein Dasein als Mauerblümchen, irgendwie auch dazugehörig, aber nie wirklich von Bedeutung.
Veränderte Gesellschaft
Inzwischen hat sich die nordirische Gesellschaft stark verändert. Erstmals 2019 mochte sich eine knappe Mehrheit weder der unionistischen noch der nationalistischen Strömung zuordnen. Gefragt ist lösungsorientierter Pragmatismus. Das kommt der Allianz entgegen. Schon 2019 schnitt die Partei bei Wahlen hervorragend ab: Als das Königreich sich widerwillig bei der Europawahl beteiligen musste, holte Long sensationell eines der drei Nordirland zustehenden Straßburger Mandate. Bei der Unterhauswahl verpasste sie nur ganz knapp den erneuten Einzug ins Parlament, wo sie von 2010 bis 2015 schon einmal den Osten Belfasts vertreten hatte. Longs Vize Stephen Farry vertritt als einziger Allianz-Vertreter die wohlhabenden Vorstädte der nordirischen Hauptstadt im Unterhaus.
Zwei Dinge wollen Long und Farry am Donnerstag erreichen: Erstmals will die Partei auch im katholisch dominierten Westen der Provinz ein Mandat erobern. Und der Zugewinn soll groß genug ausfallen, um die zweitgrößte Unionistenpartei UUP zu überholen. Eine Revolution sieht anders aus. Aber in Nordirland käme schon dieser Erfolg einer kleinen Umwälzung gleich.
De Maart
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