Tageblatt: Robert Goebbels hat in einem offenen Brief an Sie geschrieben, dem Vernehmen nach gebe es im OGBL mehr Rentner als Aktive. Überspitzt gefragt: Ist der OGBL nur noch für Rentner da?
Nora Back: Nein, das ist nicht der Fall. Ich habe entschieden, nicht offiziell auf den Brief zu antworten. Ich finde es nicht richtig, als OGBL-Mitglied die Entscheidung des obersten Gremiums der eigenen Gewerkschaft anzugreifen. Wir sind natürlich nicht die Gewerkschaft der Rentner. Wir vertreten auch die Rentner, aber hauptsächlich vertreten wir die arbeitenden Leute in allen Wirtschaftsbereichen – egal ob privat oder öffentlich. Wir sind in allen Wirtschaftssektoren aktiv, verfügen über 16 Berufssyndikate und haben über 2.000 gewählte Personalvertreter in den Betrieben.
Würden Sie dennoch der Grundthese zustimmen, dass Gewerkschaftsarbeit an Sexappeal verloren hat? Das Alter der engagierten Mitglieder zeigt doch eher nach oben als nach unten?
Nein, das stimmt nicht. Die Mitgliederzahlen bei den jungen Menschen zwischen 18 und 35 Jahren steigen viel mehr als bei den älteren. Ich muss aber zugeben, dass das eine rezente Entwicklung ist. Wir hatten lange Zeit Schwierigkeiten, junge Leute für die Gewerkschaftsbewegung zu begeistern und zu motivieren. In den letzten Jahren ist uns die Wende aber gelungen. Es ist wieder sexy, einer Gewerkschaft beizutreten. Wer den OBGL kennt, weiß, dass wir eine Generationenlücke hatten. Viele unserer hauptamtlichen Mitarbeiter – sehr gute Gewerkschaftler – waren im gleichen Alter und sind gleichzeitig in Rente gegangen. Heute haben wir aber eine junge Garde sehr engagierter und politisierter Mitarbeiter, die ganz unterschiedliche Fächer studiert haben und die sehr gut sind in dem, was sie tun. Diese Mitarbeiter, die bei den Leuten unterwegs sind, haben eine andere Sprache und ein anderes Erscheinungsbild – sie sind eben näher bei den Menschen.
Robert Goebbels glaubt offenbar, dass die Tripartite unter John Castegnaro anders verlaufen wäre.
Ich glaube, unter John Castegnaro wäre sie genau gleich verlaufen. Es wurde unterstellt, der OGBL radikalisiere sich. Das ist einfach nicht wahr. Der OGBL hat eine rote Linie und die gilt, egal wer Präsident ist. Die Position zum Index war in der Vergangenheit immer die gleiche. Wir machen lediglich das, was wir schon immer gemacht haben und was das einzig Richtige ist. Es ist unsere Pflicht, Opposition zur Politik zu machen, wenn sie eine falsche Politik macht.

Wurde der OGBL bei der Vermittlung der Tripartite-Resultate von Patronat und Regierung übertrumpft?
Ich glaube schon. Als wir nicht unterschrieben haben, wussten wir, dass es Gegenwind geben würde. Sie müssen den Menschen ja verkaufen, dass dieses Abkommen eine gute Sache ist. Und Regierung und Patronat müssen die Leute überzeugen, dass das, was beschlossen wurde, eine gute Sache ist. Sie müssen die Position des OGBL also als falsch darstellen. Die Regierung hat eine gute Pressearbeit gemacht, sofort eine Pressekonferenz einberufen und die Presse kommt nicht umhin, darüber zu berichten, was dann als gutes Abkommen dargestellt wird. Wir kommunizieren weniger nach außen, sondern sprechen mit den Menschen vor Ort und erklären ihnen, dass sie betrogen worden sind. Wurden wir über den Tisch gezogen? Sie wollten einen Informationskrieg führen und wir gehen gerne darauf ein. Ihre Version der Geschichte fängt an zu bröckeln.
Apropos bröckeln: CGFP-Präsident Romain Wolff hat sich ein paar Tage nach der Tripartite zu den Gewinnen der Banken geäußert und forderte vor ein paar Tagen die Anpassung der Steuertabelle an die Inflation. Das ist auch eine Forderung des OGBL. Wie kommentieren Sie diese Äußerungen nach der Tripartite?
Ich habe immer gesagt, dass der OGBL jetzt nicht auf CGFP und LCGB einschlägt. Sie hatten ein Mandat und wenn dies ihre Vision von Gewerkschaftsarbeit ist, dann muss ich das akzeptieren. Ich habe eine andere Vision. Wir sind zu dritt mit einem Forderungskatalog hineingegangen und waren bis zum Schluss der Verhandlungen einer Meinung. Die anderen haben ebenfalls gesagt, dass der Index eine rote Linie ist. Bis vor Mitternacht waren wir eine Gewerkschaftsfront – bis CGFP und LCGB umgefallen sind. Als größte Gewerkschaft war der OGBL Wortführer. Ich habe in der Tripartite darauf bestanden, dass wir die Zahlen der einzelnen Wirtschaftssektoren von der Arbeitgeberseite brauchen, um wirklich einschätzen zu können, wie es ihnen geht und um einschätzen zu können, welche Unternehmen Hilfe benötigen.
Als ich erklärt habe, wie es den Leuten geht, sind wir von der Regierung ausgelacht worden
Guy Hoffmann von der ABBL sagte, dass es den Banken schlecht ginge. Dem habe ich widersprochen. Wir befinden uns nicht in einer Rezession und wir haben einen starken Finanzplatz in Luxemburg. Bei der letzten Tripartite zu Covid-Zeiten ist die UEL mit zwei Leuten gekommen – als ob es sie nicht interessiert hätte. Bei dieser Tripartite, die auf Druck der Arbeitgeber einberufen wurde, kamen sie zu acht und machten eine Show daraus. Sie hielten eine zweistündige PowerPoint-Präsentation und beklagten sich darüber, wie schlecht es ihnen gehe. Doch es geht auch der Industrie nicht schlecht. ArcelorMittal hat Rekordgewinne in Milliardenhöhe gemacht. In der Industrie machen die Lohnkosten 20 Prozent aus. Wenn ein Industriebetrieb mit Lohnkosten von 20 Prozent an einer Indextranche kaputtgeht, dann hat er ein anderes Problem. Als ich erklärt habe, wie es den Leuten geht, sind wir von der Regierung ausgelacht worden. Wir wurden nicht ernst genommen. Verschiedene Minister sind mir ins Wort gefallen und haben gefragt, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe und meine Forderungen seien übertrieben. Als ich die Anpassung der Steuertabelle an die Inflation ansprach – eine wichtige und alte Forderung von uns – hat François Bausch so getan, als ob er noch nie davon gehört hätte. Der Premier hat seine Kollegen aufgerufen, mich ausreden zu lassen. Der Premier hat sich quasi nie zum Index geäußert und sich clever zurückgehalten. Als das Resultat auf dem Tisch lag – von dem man wusste, dass wir es nicht mittragen können –, hat er in einem bedauernden Tonfall gesagt, jetzt müsse man am Index rütteln. Das ist schlauer als die anderen beiden Parteien, die gesagt haben, der Index sei ein Problem.
Nach der Tripartite sagte Vize-Premierministerin Paulette Lenert, dass der Vorschlag der 160.000 Euro der drei Gewerkschaften „ein Vorschlag gewesen ist, der auf dem Tisch lag“ – wohl wissend, dass es nicht der Vorschlag war, an dem die Tripartite-Verhandlungen gescheitert sind. Wie qualifizieren Sie die Aussage der LSAP-Ministerin?
Wenn ein politischer Vertreter Aussagen gegen den OGBL trifft, ist es letztendlich egal, welcher politischen Couleur dieser angehört. Wir sind wütend über Inhalt und Form dieses Abkommens. Besonders wütend aber macht uns die Desinformation des Patronats und der Regierung. Wir wurden mit den 160.000 Euro in eine Ecke gedrängt. Dabei war es erstens eine gemeinsame Forderung der Gewerkschaften. Zweitens war es nicht der letzte Vorschlag von Gewerkschaftsseite und drittens wäre es auch nicht daran gescheitert. Viertens stimmt es einfach nicht, dass wir mit einem Jahresgehalt von 160.000 Euro noch eine volle Kompensation gefordert haben. Und fünftens: Ja, wir vertreten auch Angestellte aus dem Bildungs- und Gesundheitssektor sowie dem Bankenbereich. Diese kriegen nun keine Entschädigungen, obwohl denen ja eigentlich eine Indextranche zusteht. Zudem wurde dieser Vorschlag komplett aus dem Kontext gerissen: Die Gewerkschaften haben diesen Vorschlag unterbreitet, nachdem sich die Regierung für eine einmalige Prämie und die UEL für ein Aussetzen des Indexes bis 2026 ausgesprochen hat. Welcher Vorschlag ist denn nun der krasseste? Dass Paulette Lenert das dann auf der anschließenden Pressekonferenz sagt, ist einfach nicht in Ordnung.

Am 1. Mai veranstaltet der OGBL erstmals nach der Tripartite eine Demonstration. Was ist das Ziel davon?
Niemand ist so naiv zu glauben, dass Regierung und Patronat auf einmal zugeben, dass das Tripartite-Abkommen keine gute Idee war. Die Unternehmen veröffentlichen gerade ihre Jahresbilanzen und die Leute werden bemerken, dass sie betrogen wurden. Es wird lediglich etwas Zeit brauchen. Die Politik hat sich zu weit aus dem Fenster gelehnt. Die drei Regierungsparteien können jetzt nicht einfach zurückrudern. Spannend bleibt, was in der parlamentarischen Kommission passiert, in der die gesetzliche Umsetzung diskutiert wird. Die Oppositionsparteien merken jetzt, dass das Abkommen nicht durchdacht ist. Die Ausarbeitung des Kompensationsmechanismus wird kompliziert. Wir haben in den Tripartite-Verhandlungen schon gewarnt: Die Berechnungen des Statec beruhen auf Zahlen von 2019. Das ist aber nicht möglich, weil sich die Umstände wegen Covid und Krieg vollkommen verändert haben. Die Rechnung ergibt keinen Sinn. Wir appellieren an die Abgeordneten. Jeder hat noch die Chance, sich nach bestem Wissen und Gewissen für das Richtige zu entscheiden. Alle Parteien müssen ins nächste Wahlprogramm schreiben, dass so etwas nie wieder vorkommen darf …
… das steht jedoch auch im aktuellen Koalitionsabkommen.
Dessen bin ich mir wohl bewusst. Aber wenn wir keinem Politiker mehr trauen können, wird es schwierig. Wir müssen sie dazu bewegen, sich wieder für den Index zu engagieren. Wir werden auf jeden Fall weitermachen, bis der Index wieder „normal“ funktioniert. Je früher, desto besser.
Ist der 1. Mai damit wieder von einem Volksfest zu einem Kampftag geworden?
Wir feiern den 1. Mai seit 16 Jahren in der Abtei Neumünster. Es war immer ein Volksfest für Familien. Es ist ein Fest mit Konzerten, Kabarett und Caipirinha. In der Gewerkschaftsbewegung wird Kultur großgeschrieben, denn in der Kultur können sich die arbeitenden Leute ausdrücken. Es ist nicht abwegig zu sagen, dass Gewerkschaften und Kultur Hand in Hand gehen. Letztes Jahr haben wir beschlossen, mit einem „Cortège“ in Esch zurück auf die Straße zu gehen. Am Ende waren tausend Leute dort und es war ein Riesenerfolg. Das ist aber nicht vergleichbar mit dem, was wir am Sonntag vorhaben. Sonntag ist eine richtige Demo – eine politische Konfliktdemo. Der 1. Mai ist nun mal der Tag der Arbeit, an dem wir feiern, dass in den Generationen vor uns Männer und Frauen aufgestanden sind, um für unsere Rechte zu kämpfen. Das passt.
Wird es bei der einen Aktion bleiben?
Wir haben einen sehr langen Atem und einen weiten Weg vor uns. Wir haben die Nase gestrichen voll, die Menschen sind motiviert. Es werden also noch zahlreiche Aktionen in den kommenden Wochen und Monaten bis zu den Chamber-Wahlen folgen.
Apropos Demos: Dem OGBL wurde im Zusammenhang mit den Friedensmärschen teilweise Naivität vorgeworfen.
Dieser Vorwurf ist absurd. In Kriegszeiten ist es schwieriger, sich für den Frieden einzusetzen als in Friedenszeiten. Anstatt mit Plattitüden um uns zu werfen, positionieren wir uns klar gegen den Krieg – und das zusammen mit der Friedensplattform bereits seit Jahren. Wir haben am 5. März die Demo gegen den Ukraine-Krieg auf der place Clairefontaine mitorganisiert. Wir haben sofort mobilisiert und die dort gehaltenen Reden waren doch auch eindeutig. Wir werden da wieder in eine Ecke gedrängt, in die wir nicht hingehören. Uns wurde ja auch von Patronatsseite vorgeworfen, wir wüssten nicht, dass Krieg herrsche. Dabei waren wir die Ersten, die mit den Ukrainern und solidarischen Russen hierzulande mobilisiert haben. Ich habe auf keiner dieser Demos einen Patronatsvertreter gesehen, niemanden, der jahrelang dicke Geschäfte mit den Russen gemacht hat.
Wie steht es um die Beziehungen zwischen der LSAP und dem OGBL? Traditionell haben die beiden Vereinigungen ja immer „koaliert“ …
Nein, das würde ich so nicht sagen. Es gab historisch gesehen immer wieder Politiker und Gewerkschaftsvertreter, die sich nahestanden. Es hat ja auch einige Wechsel zwischen Gewerkschaft und Partei gegeben. Trotzdem bleiben wir politisch unabhängig und dafür steht ja auch das „O“ in OGBL. Wir beziehen Stellung, egal welche Partei die politische Richtung vorgibt. Wir sind politisch nicht neutral, haben eine Meinung und unsere Daseinsberechtigung besteht ja auch darin, diese zu äußern. Wenn eine LSAP eine Politik betreibt, die gegen die Interessen der arbeitenden Bevölkerung geht, benennt der OGBL dies in aller Deutlichkeit. Zuletzt haben wir das ja auch getan, als während der Pandemie die maximale Anzahl an Arbeitsstunden am Tag hochgeschraubt wurde. Ein weiteres Beispiel bietet sich gerade im Gesundheitswesen: Wenn die LSAP einer Privatisierung des Gesundheitswesens die Tür öffnet, haben wir ein Problem – auch mit der LSAP.
Wie sieht die Situation nun nach der Tripartite aus?
Es ist einfach enttäuschend vonseiten der LSAP, wenngleich die drei Koalitionsparteien gleichermaßen die Verantwortung tragen. Die LSAP hat sich den Index und die Interessen des Salariats aber am meisten auf die Fahne geschrieben. Das Vertrauen ist zumindest angeknackst – gleichermaßen bei „déi gréng“ und DP. Wobei wir bei der DP ja wissen, dass sie patronatsnahe Positionen einnimmt. Derzeit ist der Dialog eingefroren, wenngleich die LSAP nach einem Treffen gefragt hat, um über die zukünftigen Herausforderungen zu reden. Das wird voraussichtlich nach dem 1. Mai passieren. Für den Index kommt dieses Gespräch aber eindeutig zu spät.

Der OGBL hat deutlich gemacht, dass nicht am Index gerüttelt werden soll. Soll der Index demnach auch weiterhin ein Werkzeug zum Inflationsausgleich bleiben oder müssen Diskussionen geführt werden, um aus dem Index ein Mittel zur Umverteilung zu machen?
Der Index ist ein Mechanismus, um den Kaufkraftverlust auszugleichen. Dieser Mechanismus ist eine soziale Errungenschaft. Ich glaube nicht, dass sich der Index dazu eignet, Sozialpolitik zu betreiben und die Frage der Umverteilung zu klären. Der Index ist einer der drei Grundpfeiler des Luxemburger Lohngebildes, zu dem auch der Mindestlohn und der Kollektivvertrag gehören. Wenn man am Index rüttelt, rüttelt man am Fundament der Luxemburger Wirtschaft. 50 Prozent der Luxemburger Unternehmen haben keinen Kollektivvertrag. Auch hier wurde im Regierungsprogramm eine Reform des entsprechenden Gesetzes festgehalten und dann nicht in Angriff genommen. Es fehlt der politische Mut der LSAP-Arbeitsminister, etwas zu bewegen. Zahlreiche Leistungen, die in den Kollektivverträgen festgehalten werden, sind indexiert. Deswegen ist die Frage, ob der Index nun sozial gerecht ist oder nicht, sehr gefährlich. Dieser Gedanke wird ja von Politik und Patronat verbreitet. Dass diese Regierung die soziale Gerechtigkeit des Index infrage stellt, ist ein Hohn. Sie ist mittlerweile neun Jahre im Amt und es ist nichts passiert, um die soziale Ungerechtigkeit im Land zu bekämpfen. Auch von Patronatsseite her ist es ein fadenscheiniges Argument. Sie könnten ja für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen, indem sie bessere Löhne zahlen.
Die Regierung wird sagen, dass sie mit ihrem Pacte logement 2.0 und Gesetzesprojekten für mehr Sozialwohnungen sehr wohl etwas gemacht hat …
Stimmt, die Immobilienpreise haben sie ja gut in den Griff bekommen … 21 Prozent Preissteigerungen beim Wohnungsbau, aber eine weitere Indextranche von 2,5 Prozent wäre tödlich für die Wirtschaft. Sorry, aber mein Fazit lautet: Sie haben einfach nichts gemacht.
Ganz gutt geäntwert. D’LSAP kann den SA getrouscht aus hierem Num streichen a mat der DP fusionneieren. Dann wier d’Behuelen vun denen Damen an Herren, dei naischt Besseres ze dinn hunn wei ze laachen wann den OGBL d’Problemer vum Bierger uschwetzt, manner hypokritesch. Esou realiteitsfern ons Regierung, dat erennert mech irgendwei un eng Madame dei sot: Virwat iessen se dann kee Kuch wa se keen Brout mei hunn…