Er wird es natürlich energisch bestreiten, aber Nehammers die meisten EU-Regierungen wie auch den grünen Koalitionspartner überraschender Montagsausflug hatte auch eine innenpolitische Dimension. Der große Befreiungsschlag nach dem unrühmlichen Abgang von Sebastian Kurz ist seinem Nachfolger an der ÖVP- und Regierungsspitze bisher nicht gelungen. Im Parlament fördert ein Untersuchungsausschuss konsequent geleugnete Korruptionsprobleme der in Umfragen wieder hinter die SPÖ zurückgefallenen Kanzlerpartei zutage. Seit Anfang April sorgt zudem ein von betrunkenen Leibwächtern verursachter Verkehrsunfall für böses Blut. Der zunächst als rein außerdienstliche Verfehlung dargestellte Zwischenfall hatte eine pikante Ursache: Vor dem Unfall hatten die Bodyguards in der Wohnung des Kanzlers mit dessen Gattin Katharina feuchtfröhlich gefeiert.
Gerade, als sich die Journalie auch auf diesem Nebenschauplatz in den Türkisen zu verbeißen begann, lieferte Nehammer vorigen Samstag mit seinem Besuch beim ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj die ultimative Ablenkung. Und dieses außenpolitische Highlight toppt er sogar noch mit der überraschenden Ankündigung, nach der Rückkehr aus Kiew sofort nach Moskau aufzubrechen.
Es war auch ein Signal an jene Kritiker nicht nur in der FPÖ, die die Neutralität nicht nur militärisch, sondern neutralistisch interpretieren und den Solidaritätsbesuch bei Selenskyj als Anschlag auf diese heilige Kuh der österreichischen Sicherheitspolitik verurteilten. Trotz oder gerade wegen des Ukraine-Krieges gibt es eine spürbare Sehnsucht vieler Österreicher nach einer äquidistanten, auf der alten Insel-der-Seligen-Illusion basierenden Außenpolitik.
Mit leeren Händen zurück
Der Bundeskanzler flog freilich ohne Illusionen nach Moskau – und kehrte auch ohne solche zurück. Dass er beim Parteitag im Mai, auf dem er sich erstmals der Kür zum ÖVP-Chef stellen wird, einen Triumph als Friedensvermittler feiern werde können, glaubte Nehammer natürlich selbst nicht.
Erwartungsgemäß verkündete der Kremlchef keinen Abzug aus der Ukraine und machte auch kein kleineres Zugeständnis, das Hoffnung auf ein baldiges Ende oder zumindest eine Linderung des Grauens hätte machen können. Erwartungsgemäß konnte Nehammer Putin auch nicht überzeugen, dass die Gräueltaten in Butscha und anderen Orten keinesfalls Ukrainer selbst verübt hatten, um sie den Russen in die Schuhe zu schieben.
Er habe „generell keine positiven Eindrücke“ gewonnen, musste der Kanzler hinterher einräumen, worauf die SPÖ umgehend twitterte: „Was war jetzt konkret das Ergebnis des Gespräches zwischen #Nehammer und #Putin?“. Die Grüne Außenpolitik-Sprecherin Ewa Ernst-Dziedzic – auch angesäuert, weil nicht vorab informiert – war von vornherein der Meinung, dass der Trip „mit Diplomatie nichts zu tun“ habe. Auch FPÖ-Chef Herbert Kickl fand ein Haar in der Suppe, obwohl der Blitzbesuch eigentlich eine Forderung der Blauen erfüllte. Trotzdem ortet der Rechtspopulist nun eine „Bankrotterklärung des neutralen Österreich“, weil der Kanzler in Moskau gesagt hatte, er wäre nicht zu Putin geflogen, hätte Selenskyj etwas dagegen gehabt.
Der Russland-Experte Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck sieht sich mangels greifbarer Ergebnisse darin bestätigt, dass der Besuch „keine kluge Entscheidung“ gewesen sei.
Eine Lehre für Putin
Allerdings hat Nehammer auch seinem Gastgeber eine Illusion genommen. In den vergangenen Jahren musste der russische Präsident Österreich als potenziell unsicheren Kantonisten des Westens wahrnehmen. Die gerade gegenüber ihm bis zur Peinlichkeit ausgelebte Neigung zur servilen, nicht einmal durch den Überfall auf die Krim nachhaltig gestörten Gemütlichkeit, musste Moskau zu Missverständnissen verleitet haben. Etwa, dass Wien vielleicht doch nicht so heiß isst, wie in Brüssel gekocht wird. Noch dazu, wo der Austro-Gasjunkie wie kaum ein anderes Land abhängig ist von Gazprom. Nehammer aber hat in Moskau kein Propagandafoto mit dem Gastgeber zugelassen, Klartext gesprochen und die Dinge beim Namen genannt: Krieg und Kriegsverbrechen. Und er hat jeden Zweifel ausgeräumt, dass Österreich die Sanktionen voll mitträgt, solange das Gemetzel in der Ukraine andauert. Putins Hoffnung auf einen alpenrepublikanischen Keil in der EU ist zerstört. Das allein könnte die umstrittene Reise wert gewesen sein.
De Maart
Hier wird wieder viel hinein hineininterpretiert, eine Rechtfertigung für sich selbst.