Mittwoch29. Oktober 2025

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Keine InterventionNATO schlägt trotz Angriffs auf Atomkraftwerk Bitte der Ukraine aus

Keine Intervention / NATO schlägt trotz Angriffs auf Atomkraftwerk Bitte der Ukraine aus
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg will eine Eskalation des Krieges über die Ukraine hinaus verhindern Foto: AFP/Pool/Yves Herman

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Mit dem Beschuss des größten Atomkraftwerkes in der Ukraine hat Russland die Angst vor weitreichenden Folgen des Krieges weltweit wachsen lassen. NATO- und EU-Außenminister kamen zu Krisentreffen in Brüssel zusammen und forderten einen sofortigen Waffenstillstand.

Obwohl Russland in der Nacht das größte Kernkraftwerk Europas im ukrainischen Saporischschja von mehreren Seiten unter Beschuss nahm und damit einen Brand und weltweite Furcht vor einer Atomkatastrophe auslöste, hat die NATO die Bitte der Ukraine um eine Intervention abgelehnt. „Das zeigt, wie gefährlich der Krieg ist“, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach einem Sondertreffen der 30 NATO-Verteidigungsminister in Brüssel zu dem Angriff auf die Atomanlage. Das Bündnis bleibe jedoch dabei, eine Eskalation des Krieges über die Ukraine hinaus zu verhindern. „Das wäre noch gefährlicher, noch verheerender und würde noch mehr Leid verursachen“, warnte Stoltenberg. Allerdings sagte er auch voraus, dass der Krieg Russlands in den nächsten Tagen „noch schlimmer“ werden würde. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz telefonierte mit Russlands Präsident Wladimir Putin und forderte ihn zu einem sofortigen Waffenstillstand auf. Die NATO verlangte von Putin zudem einen bedingungslosen und vollständigen Rückzug aus der Ukraine.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte in der Nacht mehrere westliche Regierungschefs angerufen und ihnen die dramatische Lage nach dem Angriff russischer Streitkräfte auf das Atomkraftwerk im Süden seines Landes geschildert. „Wenn es explodiert, wird das zehnmal schlimmer als Tschernobyl“, warnte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba in der Nacht auf Twitter. Zu diesem Zeitpunkt war auf dem Kraftwerksgelände ein Feuer ausgebrochen. US-Präsident Joe Biden schaltete sich ein und forderte Russland auf, die militärischen Aktionen in Saporischschja einzustellen und die Feuerwehr auf das Gelände zu lassen, das inzwischen von russischen Soldaten eingenommen worden war.

Wenn es explodiert, wird das zehnmal schlimmer als Tschernobyl

Dmytro Kuleba, Ukraines Außenminister

Im Laufe des Tages wurde klar, dass der Brand in einem neben dem Reaktorblock gelegenen Schulungsgebäude entstanden war, die Reaktoren sicher heruntergefahren werden konnten und auch keine Radioaktivität ausgetreten war. In Saporischschja wird rund ein Viertel des ukrainischen Stromes produziert. Selenskyj hatte zuvor an die NATO appelliert, die weitere Bombardierung seiner Städte durch die Einrichtung und Durchsetzung einer Flugverbotszone zu verhindern. „Wenn Ihr den Himmel jetzt nicht schließen wollt, dann nennt eine Frist. Sagt mir, wie viele Menschen sollen in die Luft fliegen, wie viele Arme, Beine, Köpfe braucht ihr, damit das zu Euch durchdringt“, appellierte er bei einer Pressekonferenz.

Er könne die Verzweiflung verstehen, sagte Stoltenberg in Brüssel. Doch würde die Durchsetzung einer Flugverbotszone darauf hinauslaufen, dass die NATO russische Jets abschießen müsste. „Wir suchen keinen Konflikt mit Russland“, betonte der NATO-Generalsekretär. Weder zu Land, noch in der Luft würden NATO-Streitkräfte an dem Krieg teilnehmen. Allerdings beschäftigten sich die Außenminister mit einer massiven und dauerhaften Verstärkung der NATO-Ostflanke. Sie kamen überein, sich für Entscheidungen bis zum nächsten regulären Treffen Mitte März Zeit lassen zu können, da eine erste Runde von Truppenverstärkungen bereits erfolgt sei.

Schweden und Finnland bei NATO-Sitzung

Zugleich verständigten sich die NATO-Mitglieder darauf, ab sofort auch Schweden und Finnland, die nicht dem Bündnis angehören, an allen Besprechungen zur Ukraine zu beteiligen. Am Freitag nahmen bereits die Vertreter der beiden skandinavischen Länder an der Sondersitzung in Brüssel teil. Die Stimmung in ihren Ländern ist unter dem Eindruck des Krieges Russlands gegen die Ukraine umgeschlagen. Nun will sowohl in Schweden als auch in Finnland eine deutliche Mehrheit einen Beitritt zur nordatlantischen Allianz. Finnland hat eine 1.340 Kilometer lange Grenze zu Russland.

„Es ist bedauerlich, wenn man in dieser Situation gegenüber dem Gegner eine Option ausdrücklich vom Tisch nimmt“, sagte der EU-Sicherheitsexperte Michael Gahler dem Tageblatt. Es sei aber nachvollziehbar, dass sich die NATO angesichts der Unberechenbarkeit Putins vorsichtig verhalte. Allerdings werde sein Vorgehen die Frage eines möglichen späteren Eingreifens mitbestimmen. Er plädierte für einen bedingungslosen Waffenstillstand und Verhandlungen unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen.

In Brüssel machten die Verantwortlichen an diesem Freitag klar, dass der Westen unter der Aggression Russlands gegen die Ukraine zusammenrückt. EU-Vertreter nahmen am Mittag an der Sondersitzung der NATO teil, anschließend fuhr Stoltenberg zu einer Sondersitzung der EU-Außenminister. Schon zuvor hatten EU-Vertreter mit Beratungen über eine weitere Verschärfung der Sanktionen begonnen. Dabei ging es auch um die Frage, ob noch mehr russische Banken vom Zahlungssystem Swift abgekoppelt werden sollen.