Montag27. Oktober 2025

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Sexueller MissbrauchMauer des Schweigens fällt nun auch in Spaniens Kirche

Sexueller Missbrauch / Mauer des Schweigens fällt nun auch in Spaniens Kirche
Der Vorsitzende der spanischen Bischofkonferenz, Kardinal Juan José Omella (r.), kündigt auf einer Pressekonferenz in Madrid eine unabhängige Prüfung der Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs in der spanischen katholischen Kirche an Foto: Isabel Infantes/EUROPA PRESS/dpa

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„Ich wurde begrabscht, vergewaltigt und mit Drohungen zum Schweigen gezwungen. Es war für mich die Hölle.“ Viele Jahre traute sich Alejandro Palomas nicht, über diesen Horror zu sprechen, den er als Kind in einer katholischen Schule in der Nähe Barcelonas über sich ergehen lassen musste.

Monatelang wurde er dort durch einen Ordensbruder missbraucht. Nun ging der 54-jährige spanische Schriftsteller an die Öffentlichkeit und löste mit seiner Anklage in ganz Spanien einen Tsunami aus. Seit Alejandro Palomas mit seinem Bekenntnis im Radiosender „Ser“ Schockwellen durch das Land schickte, melden sich immer mehr Opfer, die in den letzten Jahrzehnten im Kindesalter in katholischen Kirchen und Schulen sexuell attackiert wurden. „Ich fürchtete zunächst, ich würde alleine dastehen“, berichtet Palomas. „Aber jetzt sehe ich, dass es viele Betroffene gibt.“

Er sei erleichtert, dass er endlich sein Schweigen gebrochen habe, bekennt er. Denn die seelischen Wunden dieses Albtraums seien bis heute nicht verheilt. Aber er sei auch entsetzt über die vielen Fälle, die nun im katholisch geprägten Spanien, wo das Thema bis vor Kurzem noch ein großes Tabu war, ans Tageslicht kommen. „Das Echo von vielen Stimmen hat ein Erdbeben verursacht“, sagt Palomas.

Vermutlich sei dies alles nur die Spitze des Eisberges. „Aber was kommt unter der Spitze?“, fragt Palomas. Mehr als tausend Missbrauchsfälle in Kircheneinrichtungen hat die Tageszeitung „El País“ bisher dokumentiert. Doch die Betroffenengruppen, die sich zum Beispiel unter dem Namen „Infancia Robada“ (Geraubte Kindheit) formieren, schließen nicht aus, dass es Zehntausende von Opfern in Spanien gibt.

Die Auswirkungen des Skandals erinnern an die Erschütterungen, die amerikanische Schauspielerinnen mit ihren Berichten von sexuellen Übergriffen in der Unterhaltungsbranche auslösten. Die Vorwürfe gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein provozierten in den USA wie auch weltweit eine Welle von Anklagen, die unter dem Schlagwort „Me too“ (Ich auch) auf die Tragweite dieses Problems aufmerksam machten.

Aufarbeitung dürfte nicht einfach werden

Inzwischen kamen die Ausläufer der spanischen Missbrauchsaffäre im Regierungspalast in Madrid an. Der sozialistische Premier Pedro Sánchez traf sich mit Alejandro Palomas und sicherte ihm zu, dass die Regierung für eine Untersuchung der sexuellen Übergriffe sorgen werde. „Die Opfer dürfen nicht länger ignoriert werden“, erklärte Sánchez. Es sei an der Zeit, Aufklärung und Wiedergutmachung zu leisten. Generalstaatsanwältin Dolores Delgado ordnete zugleich landesweite Ermittlungen an.

„Spanien wird nicht länger ein Land des Schattens sein“, kommentiert Palomas die Tatsache, dass nun endlich auch in Spanien, wie zuvor schon in anderen europäischen Ländern, die Mauer des Schweigens bröckelt. Doch die Aufarbeitung dürfte nicht einfach werden. Die Politiker streiten derzeit noch über Art und Zusammensetzung der Untersuchungskommission. Viele Fälle, wie zum Beispiel auch jener von Palomas, liegen Jahrzehnte zurück und sind strafrechtlich verjährt. Die Täter sind oftmals verstorben. Und Spaniens Bischöfe lehnten bisher eine unabhängige und systematische Untersuchung des sexuellen Missbrauchs durch Gottesmänner ab.

Als ich um Hilfe bat, handelten sie nach dem Handbuch der katholischen Vertuschung. Und sie versuchten, mein Schweigen zu erkaufen.

Miguel Ángel Hurtado, Missbrauchsopfer

Doch der öffentliche Druck auf Spaniens Kirche wächst. Durch immer neue Anklagen. Und auch durch Papst Franziskus, der die Hirten zu einer „Null-Toleranz-Haltung“ aufforderte. An diesem Dienstag kündigte die spanische Bischofskonferenz einen Schritt nach vorne an. Sie beauftragte ein angesehenes nationales Anwaltsbüro mit einer „Revision der Berichte über Missbrauchsfälle innerhalb spanischer Kircheneinrichtungen“.

„Ich wurde mit 16 Jahren missbraucht“

Das wichtigste Ziel dieser Revision sei die Dokumentation der Fälle sowie die Hilfe und Wiedergutmachung für die Opfer, erklärte Kardinal Juan José Omella, Vorsitzender der Bischofskonferenz. Der Bericht der Anwaltskanzlei solle die von der spanischen Regierung angekündigte öffentliche Untersuchung ergänzen. Zudem wolle man mit den staatlichen Stellen zusammenarbeiten.

Bei vielen Opfern, die in der Vergangenheit vergeblich von den Bischöfen Aufklärung forderten, ist freiliich das Vertrauen in eine kircheninterne Untersuchung gering. „Ich wurde mit 16 Jahren missbraucht“, berichtet Miguel Ángel Hurtado. Er sei damals in einer katholischen Pfadfindergruppe gewesen. Jetzt fordert er mit einer Unterschriftenkampagne auf der Plattform Change die Einrichtung einer gänzlich unabhängigen Wahrheitskommission.

Der heute 39-Jährige erinnert sich, was damals geschah, als er den Missbrauch den Kirchenoberen mitteilte: „Als ich um Hilfe bat, handelten sie nach dem Handbuch der katholischen Vertuschung.“ Dazu habe gehört, seine Eltern von einer Anzeige abzubringen. Der Täter sei nicht bestraft, sondern in eine andere Einrichtung versetzt worden. „Und sie versuchten, mein Schweigen zu erkaufen.“ Gezahlt worden sei „schwarz“ – also ohne Quittung und mit einem Umschlag voller Geldscheine.