Tageblatt: Die Opposition scheint gegen die übermächtige Regierungspartei Fidesz in einer schwierigen Ausgangslage. Worauf fußt Ihre Hoffnung auf einen Erfolg?
Peter Marki-Zay: Ich bin erst seit vier Jahren in der Politik aktiv und erst bei drei Wahlen angetreten. Ich war immer der Underdog in diesen Wahlkämpfen, meine Chancen lagen stets bei null Prozent (lacht). Und dennoch habe ich immer gewonnen. Ich hoffe, dass sich erneut ein Mirakel ereignet – und wir siegen werden.
Wie läuft der Wahlkampf bisher?
Es ist ein sehr schmutziger Wahlkampf, den Fidesz führt. Interessant ist, dass Fidesz nicht auf die bisher üblichen Vorwürfe zurückgreift, dass ich Migranten ins Land bringe, von Soros finanziert werde oder Homosexualität propagiere. Anscheinend hatte das nicht gewirkt. Stattdessen attackieren sie nun mich verstärkt persönlich.
Wie funktioniert das?
Sie nutzen wenige, aus dem Zusammenhang gerissene Sekunden meiner Reden für falsche Vorwürfe, beispielsweise dass ich auf die Menschen herabschaue, die Landbewohner hasse, die Älteren hasse und die Frauen hasse – eigentlich alle hasse. Fidesz macht das sehr raffiniert. Ich hatte beispielsweise an einem Wahlstand einen Disput mit betrunkenen Leuten. Nun wird das so dargestellt, ich würde behaupten, dass auf dem Land alle Alkoholiker seien. Ich bin überrascht, dass diese Masche zieht. Aber viele Leute glauben das leider – selbst Oppositionswähler.
Wie ist Ihr Zugang zu den Medien?
Schon die Vorwahlen der Opposition, an denen 1,3 Millionen Stimmen abgegeben wurden, ignorierten die Staatsmedien im letzten Jahr vollkommen. Als gewählter Spitzenkandidat der Opposition wurde ich vom Staatsfernsehen noch kein einziges Mal eingeladen. So gut wie alle UKW-Radiosender sind unter Kontrolle von Fidesz. Alle Regionalzeitungen sind Fidesz-Zeitungen: Sie erhalten zentrale Anweisungen, was sie zu berichten haben – und verbreiten Tag für Tag dieselben Schlagzeilen – und Lügen.
Aber warum sind so wenig Wahlplakate der Opposition zu sehen?
Die Billboard-Reklame und Plakate von Fidesz sind überall. Wir hätten auch gerne mehr Werbefläche gemietet. Aber die Werbeagenturen verweigern Aufträge von uns, weil sie von Fidesz eingeschüchtert und bedroht werden.
Die Werbeagenturen verweigern Aufträge von uns, weil sie von Fidesz eingeschüchtert und bedroht werden
Wie versuchen Sie, die Medienblockade zu durchbrechen?
Wir setzen auf eine sehr direkte und zielgerichtete Kommunikation mit dem Wähler, auch wenn wir deren Effizienz noch verbessern müssen. Wir nutzen natürlich die sozialen Medien. Aber Fidesz investiert auch dort ein Vielfaches an Mitteln, um Schmier- und Hasskampagnen gegen uns zu lancieren.
Was sind die Themen, die die Wähler im Wahlkampf am meisten beschäftigen?
Die Leute sind vor allem über die hohe Inflation, die große Korruption, den schlechten Zustand des Gesundheits- und des Erziehungssystems besorgt.

Sind Orbans enge Kontakte zu Putin, seine Attacken gegen die EU oder die Ukraine ein Wahlkampfthema?
Nein, die meisten Ungarn sind an außenpolitischen Fragen nicht sonderlich interessiert, auch wenn ihnen die Mitgliedschaft in der EU wichtig ist. Oppositionsanhänger fürchten, dass Orban das Land aus der EU führen könnte. Aber Fidesz-Wähler nehmen das nicht ernst. Sie glauben nicht, dass das Risiko tatsächlich besteht.
Sie werden von einer sehr breiten Koalition unterstützt, die von den Sozialisten bis hin zu der rechtsnationalen Jobbik reicht. Wie funktioniert das bisher?
Nach den Vorwahlen (der Kandidaten der Opposition, TR) hatten wir viele Probleme. Manche fühlten sich als Verlierer, andere als Gewinner. Es gab Rivalitäten und Reibereien. Doch es ist uns geglückt, die meisten Meinungsunterschiede beizulegen. Die Koalition kooperiert nun effizienter als zuvor. Ich bin optimistisch und habe keinerlei Zweifel mehr, dass wir bis zu den Wahlen zueinander stehen – und danach auch.
Meine Hoffnung ist, dass wir in vier Jahren nicht nur die Pressefreiheit und den Rechtsstaat, sondern auch das frühere pluralistische Wahlsystem wiederherstellen können
In einer Normalsituation wären die sehr unterschiedlichen Parteien Ihrer Koalition eher Konkurrenten als Partner. Glauben Sie, dass Ihr Bündnis in vier Jahren noch nötig sein wird?
Orban hat das frühere Mehrparteiensystem zugunsten von Fidesz in ein faktisches Zweiparteiensystem geändert. Meine Hoffnung ist, dass wir in vier Jahren nicht nur die Pressefreiheit und den Rechtsstaat, sondern auch das frühere pluralistische Wahlsystem wiederherstellen können. Dann könnten die Parteien bei Wahlen erneut miteinander konkurrieren. Koalitionen würden sie natürlich auch bilden, aber erst nach und nicht vor den Wahlen.
Was erwarten Sie, falls Sie die Wahlen verlieren und Fidesz noch vier Jahre an der Macht bleiben sollte?
Für Ungarn wäre das eine Katastrophe. Wir sind schon jetzt einer der ärmsten Staaten in der EU. 74 Prozent der Ungarn leben unter der Armutsgrenze – der höchste Wert in der EU. Wir hatten 2021 auch die höchste Zahl von Covid-Toten in der EU. Das hat auch mit den fatalen Folgen der Korruption zu tun. So wurden völlig ungeeignete Beatmungsgeräte angeschafft. Nur in Ungarn wurde in der EU der chinesische Impfstoff Sinopharm an über 60-Jährige verabreicht, der sich für ältere Menschen als vollkommen ungeeignet erwies.
Und wie wirkt sich die Vetternwirtschaft auf die Ökonomie aus?
Fidesz hat sich bereits den Banken- und Energiesektor angeeignet. Sie sprachen von Nationalisierung, aber praktisch war es eine Privatisierung zugunsten der eigenen Freunde. Der nächste Sektor ist der Einzelhandel. Sie wollen ausländische Konzerne wie Spar, Lidl oder Tesco loswerden, um den Markt selbst zu übernehmen. Bleibt der Orban-Staat bestehen, wird das so weitergehen.
De Maart
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