Montag27. Oktober 2025

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SicherheitskonferenzKrisendiplomatie im „Bayerischen Hof“ in München

Sicherheitskonferenz / Krisendiplomatie im „Bayerischen Hof“ in München
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warb bei der Münchner Sicherheitskonferenz um Unterstützung für sein Land Foto: dpa/Tobias Hase

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In den drei Tagen der Krisendiplomatie auf und neben der Bühne der Münchner Sicherheitskonferenz betonen der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und US-Vizepräsidentin Kamala Harris die Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung.

Ob er gerne gekommen ist? Jedenfalls ist er da. Vormittags hin, abends zurück. Kiew-München-Kiew. Wolodymyr Selenskyj will jede Chance für Frieden nutzen. Vielleicht liegt sie in München. Die Stimmung im Saal ist angespannt. Oben auf der Bühne, ebenso unten in den Zuhörerreihen. Alle kennen die Nachrichten aus der Ostukraine, wo die Kämpfe wieder an Massivität zugenommen haben. Alle kennen die Einschätzung aus Washington, wo US-Präsident Joe Biden zur Kriegsgefahr in der Ukraine gesagt hat, Russlands Präsident Wladimir Putin plane einen Angriff in den kommenden Tagen, womöglich mit einem Vormarsch bis in die ukrainische Hauptstadt Kiew. Die Münchner Sicherheitskonferenz hat für drei Tage letztlich nur ein Thema: ein drohender Krieg in Europa. Die Krisendiplomatie im „Bayerischen Hof“ läuft auf Hochtouren.

Vorne in Reihe eins sitzt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie hat tags zuvor gesagt: „Viele Ukrainer sehen sich gezwungen, eingezogen zu werden, um einen Krieg zu kämpfen, den sie nicht kämpfen wollen, den ihnen Russland aber aufzwingt“, so die EU-Kommissionspräsidentin über eine ukrainische Generation der verlorenen Chancen. 44 Millionen Ukrainer sollten nicht mehr frei entscheiden dürfen? Niemals. Der Westen unterstütze die Ukraine.

Selenskyj hat jedenfalls an uneingeschränkter Unterstützung seine Zweifel. Der ukrainische Präsident wird eigentlich Zuhause in Kiew gebraucht. Dringend. Es kann jeden Tag losgehen. Aber er hat sich dann doch ins Flugzeug gesetzt. Der Ukrainer sitzt allein auf der Bühne. Die Russen kommen? Wenn sie nur nach München gekommen wären. Dann könnte Selenskyi mit ihnen reden. Doch der Kreml hat keinen autorisierten Vertreter geschickt. Die Teilnehmer im Saal erheben sich für Selenskyj zum Applaus. „Ich denke, das gilt jetzt nicht mir. Es gilt der Ukraine und unseren Soldatinnen und Soldaten.“ Er wählt für seine Rede nicht das Konferenz-Englisch, sondern ganz bewusst seine Muttersprache: Ukrainisch.

Viele Ukrainer sehen sich gezwungen, eingezogen zu werden, um einen Krieg zu kämpfen, den sie nicht kämpfen wollen, den ihnen Russland aber aufzwingt

Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin

Der 44-Jährige spricht sofort einen Widerspruch an. „Die Ukraine sehnt sich nach Frieden, Europa sehnt sich nach Frieden.“ Russland wiederum beteuere, es wolle nicht angreifen. Also: „Irgendjemand lügt hier.“ Selenskyj will nicht betteln, er will kein Bittsteller sein. 5.000 Militärhelme aus Deutschland, ja, okay, „aber es ist Ihr Beitrag für die europäische und für die internationale Sicherheit“. Er sagt ganz klar: „Wir werden unser Land schützen – mit und ohne die Hilfe unserer Partner.“ Der Flughafen sei in Donezk zerstört, nicht der Airport in Frankfurt am Main. „Es ist ihr Gewissen, ihr Karma, mit dem sie leben müssen“, sagt Selenskyj an jene Zuhörer im Saal, die der Ukraine zwar ihre Unterstützung zusagten, aber sie letztlich doch ihrem Schicksal überlasse.

Wie den Krieg abwenden?

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der den diesjährigen Kleist-Preis im Gedenken an Konferenzgründer Ewald von Kleist erhält, malt ein Lagebild in düsteren Farben: „Wir wissen noch nicht, was passieren wird, aber die Gefahr eines Krieges ist sehr real“, so Stoltenberg, der Russland erneut aufruft, seine Truppen zurückzurufen. „Es ist (für Russland) nicht zu spät, vom Abgrund zurückzutreten.“

In den Fluren des Hotels „Bayerischer Hof“ sprechen an diesen drei Tagen der Konferenz viele mit vielen. Wie nur kann man Putin noch von einem Angriff auf die Ukraine abhalten? Annalena Baerbock trommelt am Rande der Konferenz die Außenminister der G7 zusammen. US-Vizepräsidentin Kamala Harris macht sich im Gespräch mit Selenskyj ein Bild von der Lage, ebenso Bundeskanzler Olaf Scholz, der sich gleichfalls mit dem Gast aus Kiew trifft. Wie nur einen Angriff noch abwenden? CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sagt am Rande: „Sehr viel spricht dafür, dass Putin seine Entscheidung getroffen hat. Welche, wann und wie er vorgeht, weiß keiner.“ Röttgen plädiert vorerst weiter dafür, am bisherigen deutschen Kurs, der Ukraine keine Waffen zu liefern, festzuhalten, „bis es zu einer Veränderung der Lage kommt“. Auch der britische Premierminister Boris Johnson gesteht: „Wenn wir ehrlich sind, kennen wir die Absichten von Präsident Putin nicht, aber es sieht nicht gut aus.“

Dann tritt Scholz auf die Bühne. Er spricht aus, was viele befürchten: „In Europa droht wieder ein Krieg. Und das Risiko ist alles andere als gebannt.“ Eine vermeintliche NATO-Mitgliedschaft der Ukraine zum „Casus Belli“, zum Grund für einen Krieg zu machen, sei geradezu „absurd“. Denn: Eine solche Mitgliedschaft der Ukraine stehe überhaupt nicht an. Scholz sagt später: „Wir dürfen nicht naiv sein, das ist ganz entscheidend.“ Die Ukraine sei gewissermaßen von russischen Truppen umstellt. „Es liegen alle Fähigkeiten für eine militärische Aggression gegen die Ukraine vor.“

NATO werde Truppen an Ostflanke verstärken

Bei seinem Besuch bei Putin in dieser Woche habe er dem Präsidenten klar gesagt: Ein russischer Einmarsch in der Ukraine werde für Moskau hohe Kosten haben: politisch, wirtschaftlich, geostrategisch. Schnelle Erfolge seien nicht zu erwarten. Aber: „Es geht schließlich um nichts Geringeres als um den Frieden in Europa.“ Die vergangenen Monate hätten gezeigt, dass die transatlantische Bündnisfähigkeit unverändert wichtig sein und jedes Mitglied seinen Beitrag leisten müsse. „Und ja, das gilt auch für Deutschland.“ Deswegen brauche die Bundeswehr „Flugzeuge, die fliegen, und Schiffe, die in See stechen können“.

US-Vizepräsidentin Kamala Harris glaubt ähnlich wie Biden, dass Putin nur noch nach einem „falschen Vorwand“ suchen werde, bevor er den Befehl für den Einmarsch geben werde. Aber Russland müsse auch wissen, dass es für diese Aggression einen bis dato „nie dagewesenen Preis“ zahlen werde. Und: Wer Russland beistehe, werde ebenfalls zahlen müssen, spielt sie auf Weißrusslands Machthaber Alexander Lukaschenko an. Die NATO werde ihre Truppen an ihrer Ostflanke verstärken. Natürlich würden Truppen der Allianz nicht in der Ukraine eingreifen, „aber sie werden jeden Zentimeter NATO verteidigen“.

Bevor Selenskyi später dann den Saal verlässt, wird er noch gefragt, ob er Angst habe? Antwort: „Nein“. Er wisse sein Land in guten Händen, auch wenn er für wenige Stunden in München sei. Er habe sein Frühstück in der Ukraine eingenommen. Und er werde sein Abendessen in der Ukraine einnehmen. Dann geht er. In eine vollkommen offene Situation.