Sonntag26. Oktober 2025

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InterviewMarkus Söder zur Impfpflicht in Deutschland und sein Verhältnis zu CDU-Chef Merz

Interview / Markus Söder zur Impfpflicht in Deutschland und sein Verhältnis zu CDU-Chef Merz
Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder vor einigen Tagen während einer Kabinettssitzung im Videoraum der bayerischen Staatskanzlei Foto: dpa/Matthias Balk

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Am Montag hatte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder angekündigt, die in Deutschland beschlossene sogenannte „einrichtungsbezogene Impfpflicht“ – hauptsächlich für Pflege und Klinikpersonal – in Bayern nicht umzusetzen. Der CSU-Chef verlangte Nachbesserungen durch den Bund, damit die Impfpflicht umgesetzt werden könne. Dabei hatten sowohl die bayerische Landesregierung im Bundesrat als auch die CSU-Abgeordneten im Bundestag der Impfpflicht im Gesundheits- und Pflegesektor zugestimmt. Seitdem ist Markus Söder in Deutschland scharfer Kritik ausgesetzt. Unsere Berliner Korrespondentinnen sprachen in München mit dem bayerischen Ministerpräsidenten über die Impfpflicht in Deutschland, Lockerungsmaßnahmen und sein Verhältnis zum neuen CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz.

Tageblatt: Herr Söder, wären Sie zur Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht bereit, wenn der Bund noch rechtzeitig nachsteuert?

Markus Söder: Klar. Wir wollen das und wir halten uns auch an Bundesrecht. Aber es muss vernünftig und praktikabel umsetzbar sein. Sonst kommt es schnell zu einem Pflegeproblem und das Vertrauen in den Staat erodiert. In den letzten Wochen ist durch die Ampel viel Vertrauen verspielt worden durch intransparente Entscheidungen: Über Nacht wurde der Genesenenstatus verkürzt, obwohl der Bund in Brüssel für einen längeren Zeitraum eintritt. Gleichzeitig entsteht Unsicherheit bei einzelnen Impfstoffen wie Johnson & Johnson, ob und wann eine Boosterung akzeptiert wird. Und jetzt aktuell das Vor und Zurück bei den PCR-Tests. Es scheint eine verlässliche und planbare Strategie im Umgang mit der Omikron-Variante zu fehlen.

Worauf spielen Sie an?

Offensichtlich sind einige im Denken immer noch bei der Delta-Variante verankert, anstatt auf Omikron zu reagieren. Wissenschaftler sagen, dass diese Variante bis zu 90 Prozent weniger aggressiv ist. In Bayern haben wir zwar hohe Inzidenzen, auch weil wir mehr testen als andere, aber nur ein Drittel der Krankenhausauslastung im Vergleich zur Delta-Situation im Dezember. Daher ist die Inzidenz nicht mehr aussagekräftig und wir können mit Augenmaß den Einstieg in den Ausstieg planen.

Herr Lauterbach setzt nach wie vor auf Vorsicht. Sollte er umschwenken?

Ich schätze Herrn Lauterbach als Wissenschaftler und als Publizist. Aber die Arbeit des Bundesgesundheitsministeriums führt zu vielen Fragen. Das kritisieren auch die Gesundheitsminister der Länder. Jeden Tag kommt ein anderes Signal. Das Wichtigste, was Herr Lauterbach jetzt tun könnte, ist rasch einen guten Vorschlag für die Umsetzung der Impfpflicht vorzulegen. Der Bundeskanzler und er sind für die Impfpflicht, aber sie erklären sich neutral und tun nichts dafür. Das ist bei einer so zentralen Frage einfach zu wenig.

Setzen Sie mit Ihrem Impfpflicht-Vorstoß nicht einen Dominoeffekt in Gang, der zuletzt auch die allgemeine Impfpflicht zum Kippen bringen könnte?

Das Gegenteil ist der Fall. Im Moment zeichnet sich bei verschiedenen Gruppenanträgen genau das gleiche Problem ab, das wir jetzt schon bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht sehen: Es gibt keinen administrativen und praktikablen Unterbau. Es ist ein zentraler Fehler der Bundesregierung, sich bei der Impfpflicht komplett herauszuhalten. Die Kernfrage ist doch, wie wir die Pflicht so umsetzen können, dass sie auch vor Ort funktioniert. Stattdessen wird die Impfpflicht zerredet, weil das Parlament eine Grundsatzentscheidung treffen soll, ohne die administrativen Grundlagen zu kennen.

Nicht alle Unions-Ministerpräsidenten ziehen bei Ihrem Impfpflicht-Vorstoß mit. War er im Vorfeld abgestimmt?

Friedrich Merz und ich haben eine gemeinsame Haltung in der Frage. Viel mehr Abstimmung kann es gar nicht geben. Die Diskussion fördert aber doch nur zutage, dass sich die Ampel angesichts des Einbruchs der Umfragen in einem Zustand wachsender Nervosität befindet.

In der Pandemie waren Sie lange der Anführer von „Team Vorsicht“. Auf dem Höhepunkt der Omikron-Welle schwenken Sie um. Warum jetzt?

Wir bleiben Team Vorsicht, aber auch Team Hoffnung. Unser Ziel im Team Vorsicht war immer, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern und damit Leben zu retten. Das ist und bleibt der oberste Maßstab. Die Wissenschaft sagt uns: Omikron ist 90 Prozent weniger aggressiv. Und die Krankenhauszahlen bleiben stabil. Es wäre unangemessen, dies zu ignorieren. Wenn man in Kultureinrichtungen 2G+ und Maskenpflicht einhält, kann man statt 50 Prozent auch auf 75 Prozent Auslastung hochfahren. Wenn man im Handel zur FFP2-Maske verpflichtet, ist das ein äquivalenter Schutz zur 2G-Regel. Wir müssen nicht nur die virologische, sondern auch die psychologische und sozialökonomische Dimension der Pandemie sehen: Team Vorsicht ja, aber nicht Team Stur.

Was erwarten Sie konkret von der Ministerpräsidentenkonferenz am kommenden Mittwoch?

Erstens: 2G im Handel macht keinen Sinn mehr. Da ist die FFP2-Maske sinnvoller. Zweitens: 2G in der Gastronomie reicht aus, es braucht kein 2G+. Drittens: Bei Fußballspielen sind unter Omikron-Bedingungen wieder mehr Zuschauer möglich, Geisterspiele müssen nicht mehr sein. Mein Vorschlag sind 50 Prozent Auslastung mit einer Höchstbegrenzung in den Fußballstadien und 75 Prozent für die Kultur. Viertens: Präsenzunterricht in Schulen sollte bleiben. Lieber Testen und Maske in der Schule als Distanzunterricht oder gar Aufhebung der Präsenzpflicht. Generell sollte die Maske als Letztes aufgehoben werden – sie ist und bleibt der beste Schutz.

Sollten erste Öffnungsschritte schon jetzt kommen?

Wir werden in den nächsten Wochen den Höhepunkt der Inzidenzen erreichen. Aber die Inzidenz ist nicht mehr aussagekräftig. Selbst das RKI schätzt die Inzidenzen nur noch. Daraus kann man nicht mehr seriös tiefgreifende Grundrechtseinschränkungen ableiten. Wenn die virologisch-medizinische Gefahr reduziert ist, dann muss man die wirtschaftlichen, sozialen und psychologischen Folgen stärker gewichten.

Die Idee „Freedom Day“ funktioniert allerdings nicht. Denn Corona hält sich an kein Datum.

Wenn nicht an den Inzidenzen, an welchen Kriterien sollten sich die Öffnungsschritte stattdessen orientieren?

Mit einer starren Fixierung werden wir uns jetzt schwerer tun. Nicht nur, weil die Inzidenz ihre Aussagekraft verliert, sondern auch, weil der Hospitalisierungsindex schwierig ist. Deswegen müssen wir uns Stück für Stück an der Intensivbelegung und Krankenhaussituation orientieren. Es macht deshalb wenig Sinn, alles auf einen Schlag zu öffnen. Die Idee „Freedom Day“ funktioniert allerdings nicht. Denn Corona hält sich an kein Datum. Aber ein schrittweises Vorgehen ist der richtige und seriöse Weg. Auch, um die Gräben in unserer Gesellschaft wieder zu überwinden.

Gelingt das mit dem Lockern der Corona-Maßnahmen?

Wir haben keine Spaltung in der Gesellschaft, aber eine Teilung. Ein kleinerer Teil der Gesellschaft geht bei den sogenannten Spaziergängen mit. Darunter sind welche, die wir nicht erreichen können, weil sie böse Gedanken mit Hass und Hetze verfolgen oder in Verschwörungstheorien gefangen sind. Es gibt aber auch einen bürgerlichen Teil, der sich von den Hunderten Verordnungen inzwischen überfordert fühlt und den Vollzug nur noch bedingt nachvollziehen kann. Viele fühlen sich in ihrem bürgerlichen Freiheitsempfinden zunehmend beschwert und eingeengt. Daher braucht es weniger und klarere Regeln. Wir haben uns in Deutschland im Dickicht von Verordnungen verirrt. Es braucht einfach mehr Luft zum Atmen, ohne unvorsichtig zu werden.

Wie wichtig ist ein bundesweit einheitliches Vorgehen beim Öffnen?

Wir waren anfänglich sehr für ein einheitliches Vorgehen. Wir hatten bei Delta Geisterspiele abgehalten, Weihnachtsmärkte abgesagt, Discos geschlossen und eine FFP2-Maskenpflicht eingeführt. Leider sind die wenigsten mitgegangen. Natürlich sind einheitliche Regeln gut, aber es muss auch einen regionalen Korridor geben. Dabei spielt die Situation der Krankenhäuser vor Ort die zentrale Rolle.

Werden wir ein unbeschwertes Osterfest mit Feiern im größeren Familienkreis erleben?

Im letzten Jahr war die Impfquote sehr gering, jetzt sind sehr viel mehr Menschen geimpft. Viele Krankheitsverläufe sind inzwischen mild, im schlimmeren Fall eher wie eine schwere Grippe. All das zusammengenommen wird es an Ostern bestimmt auch mehr Möglichkeiten geben.

Bei unserem letzten Interview zwei Tage vor der Bundestagswahl sagten Sie, erneuern kann man sich am besten in der Regierung. Es kam anders. Ist die Erneuerung jetzt aufgeschoben?

Es ist immer besser zu regieren. Die Union hat sich nach 16 Jahren jedoch oft nur noch als Kompromissmaschine verstanden. Damit ging viel Bindekraft an die bürgerlichen Wähler verloren und gesellschaftliche Themen wurden vernachlässigt. Jetzt ist die Aufgabe der Union, in den Ländern gut zu regieren und in Berlin die Regierung kritisch-konstruktiv zu begleiten. Wir können unseren Standort als bürgerlich-liberal-konservative Kraft der Mitte mit sozialer und ökologischer Ausprägung klarer definieren.

Im Wahlkampf frotzelten Sie über Friedrich Merz, seine Erfahrung aus den 90ern werde der Union bestimmt helfen. Warum ist er jetzt der Mann für die Erneuerung?

Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit Friedrich Merz. Er wird der Union guttun.

Und zwischen Sie und Friedrich Merz passt kein Blatt Papier?

Das Jahr 2021 war wie eine falsch zugeknöpfte Jacke – es ließ sich im Laufe des letzten Jahres einfach nicht mehr lösen. Jetzt haben wir die Chance für einen Neustart. Ich bin nicht der Oppositionsführer, das wird Friedrich Merz sein. Daher werde ich ihn in der nächsten Woche in der Bundestagsfraktion auch vorschlagen. Wir haben die Zusammenarbeit mit Ralph Brinkhaus sehr geschätzt, aber wir müssen jetzt unsere Kräfte bündeln. Ich werde mich als CSU-Vorsitzender natürlich inhaltlich einbringen, aber vor allem in Bayern als Ministerpräsident wirken. Friedrich Merz und ich haben uns lange ausgesprochen und viele Gemeinsamkeiten festgestellt. Das wird gut werden.

Friedrich Merz wurde mit mehr als 95 Prozent zum CDU-Vorsitzenden gewählt, ein solches Ergebnis haben Sie als Parteivorsitzender nie erreicht. Ein bisschen neidisch?

Nein. Ich bin froh, dass die CDU neu aufgestellt ist. Jetzt haben wir geklärte Verhältnisse. Das Ergebnis zeigt, dass Friedrich Merz einen sehr großen Rückhalt in der Partei hat und die CDU damit auch wieder mit mehr Selbstvertrauen auftreten wird. Auch für Bayern ist es wichtig, dass die Union national wieder zulegt.

Was halten Sie von dem Merz’schen Handyverbot, das auch in der Fraktion dräut?

Ich finde das richtig. Somit hat ein Partei- und Fraktionsvorsitzender zumindest zwei Stunden Vorsprung, bevor der Rest der Welt den Inhalt der vertraulichen Gespräche kennt. (lacht) Es ist leider eine Unart unserer Zeit, dass aus Sitzungen alles herausgegeben wird. Im Übrigen lernen alle wieder einander zuzuhören, anstatt dauernd aufs Handy oder Tablet zu schauen.

Oppositionsführer ist Friedrich Merz. Für mich persönlich ist das Thema abgehakt.

Die Kür des Unions-Kanzlerkandidaten 2021 endete im Dauerzwist. Wie soll das Verfahren beim nächsten Mal aussehen?

Oppositionsführer ist Friedrich Merz. Für mich persönlich ist das Thema abgehakt. Ich konzentriere mich auf Bayern. So eine Möglichkeit ergibt sich nur einmal in einem politischen Leben. Das nächste Mal muss man auf jeden Fall denjenigen auswählen, der die besten Chancen hat.

Ihr Satz „Mein Platz ist in Bayern“ hat sich 2021 als trügerisch herausgestellt, Sie waren doch bereit für Berlin. Warum sollten Ihre Wähler Ihnen beim nächsten Mal glauben?

Im Leben der CSU-Vorsitzenden hat es das Thema Kanzlerkandidatur immer nur einmal gegeben. Nie öfters.

Das macht Ihnen die Ampel mit Blick auf gesellschaftliche Veränderungen doch gerade recht leicht …

Es geht um gesunden Menschenverstand und gesellschaftliche Freiheit. Natürlich entwickelt sich die Gesellschaft weiter, aber der Ampel wohnt ein überzogener Erziehungsauftrag inne. Bauern sollen gut finanziert werden, aber ob man Fleisch essen darf und wie viel man dafür bezahlen muss, soll bitte nicht die Politik festlegen. Gleichberechtigung ist wichtig, aber verpflichtendes Gendern geht vielen Menschen auf die Nerven. Die Freigabe von Drogen ist völlig falsch. Der Schutz des Lebens ist ein hohes Gut, gerade in einer Zeit, in der die christliche Kirche in der Krise ist. Und schließlich möchte ich mich auch von meinen Kindern weiter gerne als Papa, Vater oder Dad ansprechen lassen und nicht als ein nummeriertes Elternteil. Die Ampel ist in den zentralen Fragen der Finanz-, Wirtschafts- und Außenpolitik uneinig. Das Label progressive Gesellschaftspolitik hat sie sich als Ersatzbrücke ausgewählt. Ich glaube nicht, dass dies für vier Jahre trägt.