Wenn sich Regisseurinnen dem Horrorgenre zuwenden, sollte man als Kinobegeisterter in der Regel wenigstens die Ohren spitzen. „She Dies Tomorrow“ von Amy Seimetz, „Candyman“ von Nia DaCosta, die „Fear Street“-Filme von Leigh Janiak auf Netflix, „Relic“ von Natalie Erika James, „Censor“ von Prano Bailey-Bond – um nur diese Filme der letzten beiden Jahre zu nennen. Alle diese Regisseurinnen wissen sich des Genres und seiner Codes so zu bedienen, dass die Filme um Lichtjahre interessanter sind als die Blutspritzer, die sie hie und da mal einsetzen müssen. Und nein, es handelt sich bei den Filmen nicht um „elevated horror“. Dieser neumodische Terminus ist eigentlich nur ein chauvinistischer Stempel, mit dem z.B. A24 versucht, die Filme von Ari Aster und Robert Eggers als erhabene Meisterwerke zu verkaufen, während alles andere nur Horrorfilme sind. „Elevated“ und heilig oder nicht, die Protagonistin aus „Saint Maud“ scheint sich von hoch oben Beistand zu erwarten und handelt dementsprechend.
Die junge Maud macht sich zu Filmbeginn für ihren Aufbruch bereit und packt ihre Sachen. Sie verlässt ihre winzige Wohnung in der kleinen englischen Küstenstadt. Es stellt sich als Arbeitsreise heraus. Maud ist nämlich Krankenschwester und sorgt sich palliativ um Patienten, die dem Tode nahe sind. Sie zieht bei der schwerkranken Amanda ein, einer ehemals bekannten Tänzerin und Choreografin. Die beiden Frauen könnten nicht unterschiedlicher sein. Amanda ist extrovertiert und hat jeden Abend Besuch, hat Gemütsschwankungen und kann auch sehr kalt und verletzend sein. Maud auf der anderen Seite ist eine Erscheinung, die scheinbar bei der kleinsten Berührung riskiert, zu zerbrechen. Und sie ist sehr gläubig. Das Voice-over ist kein klassisches Voice-over, sondern stellt sich als Dialog mit Gott heraus, mit dem sie zu kommunizieren versucht. Trotz der Unterschiede verbindet die Frauen eine abstrakte Faszination für die jeweils andere. Aber hinter der gutherzigen Fassade von Maud und der von oben erhaltenen Mission scheint eine gegensätzliche Kraft von unten zu brodeln.
Eine Hauptfigur, die irritiert
Wenn der Abspann eingeblendet wird, sind keine 80 Minuten vergangen. Nichtsdestotrotz nimmt sich Regiedebütantin Rose Glass in „Saint Maud“ alle nötige Zeit, aus ihrer Hauptfigur mehr zu machen als die – auf den ersten Blick – naiv dümmliche Figur, die von dunklen Kräften eingenommen wird. Während in „The World to Come“, der vor kurzem in der „Cinémathèque“ gezeigt wurde, noch die Frauen wegen des erdrückenden patriarchalen Wertesystems allein waren, so ist Maud hier nun eine Frau, die ganz grundsätzlich einsam ist. Und in Gott, oder mit was auch immer sie zu reden scheint, versucht sie einen Halt zu finden.
Regisseurin Glass macht es ihrem Publikum nicht sonderlich einfach, sich mit der zum Teil sehr irritierenden Figur zu identifizieren, es ist aber dieses fatalistische Moment, das Wissen, dass die Hilfe und der Beistand, den sie sich erhofft, sie vielmehr radikalisiert und sie immer weiter von ihrer Umwelt abschottet, anstatt sie von erlebten Traumata zu befreien – mit dem Hintergrund der unendlichen Offenheit des Meeresblickes –, den Saint Maud schlussendlich unendlich traurig macht. Die walisische Schauspielerin Morfydd Clark, die man bisweilen hauptsächlich in Nebenrollen sehen konnte, wird dank dieses Films und der präzisen und zum Teil wirklich ungemütlichen Regie von Rose Glass ziemlich sicher für nächste Projekte angefragt werden.
Der Film „Saint Maud“
„Saint Maud“ (2019) von Rose Glass, mit u.a. Morfydd Clark und Jennifer Ehle. „Bill Hickox Award“ für das beste Regiedebüt bei den „British Independent Film Awards“ 2020, sowie der „Grand prix“ beim „Festival international du film fantastique“ in Gérardmer 2020.
De Maart
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