Am Montag haben in der Schweiz die bilateralen Gespräche zwischen Moskau und Washington über die jüngsten Spannungen rund um die Ukraine begonnen – ohne Kiew. Das passt in das Verständnis Russlands, die Welt in Einflusszonen einzuteilen und sich über kleine Länder zu ermächtigen. Zudem hat Russlands Präsident Wladimir Putin der Ukraine längst ihre Staatlichkeit abgesprochen. Es gebe nichts mit Kiew zu besprechen, sagt auch der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew immer wieder.
Das Treffen von Genf ist ein von Russland erzwungenes Gespräch, nachdem es mit immer mehr Nachdruck Sicherheitsgarantien von den USA und der NATO eingefordert hatte. Die Verträge hat es bereits ausgearbeitet, so wie Russland „Verträge“ versteht: Washington solle unterschreiben, alle Forderungen, so heißt es vom russischen Unterhändler Sergej Rjabkow, seien „notwendige, unabdingbare Elemente“.
Ein Ultimatum, keine Basis für Verhandlungen
Es ist ein Ultimatum, keine Basis für Verhandlungen. In den Dokumenten findet sich der Verzicht auf jede Erweiterung der NATO und auf jegliche militärische Aktion der NATO in Osteuropa, im Kaukasus und in Zentralasien – und seien es lediglich gemeinsame Übungen der Länder mit der NATO. Es sind unerfüllbare Forderungen, das weiß letztlich auch der Kreml. Misslingen die Gespräche, so Rjabkow, könne Präsident Putin „Optionen prüfen“, die ihm seine Militärs vorbereiteten. Die berechtigte Angst des Westens: Moskau könnte das Scheitern als Vorwand sehen, in der Ukraine militärisch einzugreifen.
Ein Thema macht die Gespräche noch komplizierter als sie ohnehin sind, da keine der Seiten sich im Vorfeld zu Kompromissen bereit gezeigt hat. Eines, das gar nicht auf der Tagesordnung in Genf steht: die gewaltsamen Proteste in Kasachstan. Die Gemengelage in den beiden Ländern ist eine sehr unterschiedliche, auch wenn Putin nun auch von einem „Maidan“ in Kasachstan spricht. So heißt der zentrale Platz in Kiew, von dem Ende 2013 die Proteste in der Ukraine ausgegangen waren, nachdem der damalige ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch das Assoziierungsabkommen mit der EU nicht unterschrieben hatte. Nach dem Machtwechsel in Kiew folgte der Krieg in der Ostukraine, folgte die russische Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim, folgte Moskaus Enttäuschung über die Ukraine und der Furor des Kremls, mit dem es seine Ukraine-Politik seitdem betreibt.
„Maidan“ bedeutet im Verständnis des Kremls eine Einmischung von außen, die zu einem Umsturz der Machtverhältnisse führt – und die es zu vermeiden gilt. Eine solche Einmischung sehen Moskau und Nur-Sultan nun auch in Kasachstan. Wer hinter den „Banden von außen“, wie der kasachische Präsident Kassym-Schomart Tokajew die Protestierenden in den Städten seines Landes zu nennen pflegt, stecken soll, hat er zwar immer noch nicht gesagt. Unter dem Deckmantel des Anti-Terrors-Kampfs aber rief er das von Russland angeführte Militärbündnis der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit an (im Russischen als ODKB abgekürzt). Theoretisch ist die ODKB so etwas wie der russische Gegenentwurf zur NATO, gegründet nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, eigentlich um die beteiligten Länder Russland, Belarus, Armenien, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan gegen Angriffe von außen zu verteidigen. Sie wurde bislang als Papiertiger verspottet und geht zum ersten Mal seiner Beistandsverpflichtung nach.
Kasachstan hat sich vor 30 Jahren aus der Sowjetunion herausgelöst. Auch damals stand bereits Nursultan Nasarbajew an der Spitze des Landes. Der heute 81-Jährige, der einen Personenkult pflegt, hat all die Jahre erfolgreich versucht, sich der russischen Dominanz zu entziehen. Mit dem Ausruf des Bündnisfalls gibt sein Nachfolger Tokajew die mühsam errungene Souveränität fast schon freiwillig auf – um seine eigene Macht im Land zu konsolidieren.
Für Moskau kommt die Krise in Kasachstan zwar zeitlich ungelegen, weil es gerade dabei ist, für sich die Ukraine-Frage zu lösen. Doch nach einer kurzen Phase der Verunsicherung sieht der Kreml auch eine Chance darin: Der Einfluss auf den ohnehin engen Verbündeten in Zentralasien steigt. Tokajew hat sich von Moskau abhängig gemacht. Russische Staatsmedien machen bereits Vorschläge, was der öl- und gasreiche Nachbar von Moskau lernen könne: politische Institute stärken zum Beispiel, den Umgang mit politischen Gefangenen lernen, Gesetze studieren. Solche Belehrungen klingen wie Hohn und zeigen, dass sich das politische Leben im autoritären Kasachstan nicht öffnen wird.
Soldaten in fast allen ehemaligen Sowjetrepubliken
Russlands Militär hat nun in fast allen ehemaligen Sowjetrepubliken seine Soldaten. Ausgenommen sind lediglich das Baltikum, Turkmenistan und Usbekistan. In Armenien soll nach dem jüngsten Krieg mit Aserbaidschan um Bergkarabach eine „Friedensmission“ der Russen für zunächst fünf Jahre die Grenze sichern. In Kasachstan kommen nun ebenfalls „Friedenstruppen“ zum Einsatz, 2.500 Soldaten sind für die Sicherung der kasachischen Infrastruktur zuständig. In Kirgistan und Tadschikistan hat Russland eigene Militärbasen. Im Osten der Ukraine agieren ebenfalls russische Soldaten, wenn auch verdeckt. Auf der Krim war Russland mit der Schwarzmeerflotte ohnehin immer militärisch vertreten. In Belarus ist seit Jahren eine russische Militärbasis geplant, bislang war es bei gemeinsamen Militärübungen zwischen Moskau und Minsk geblieben.
Allerdings hat Moskau den belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko, der sich nun auch in der Krise um Kasachstan als Dialogpartner inszeniert, nach dessen gefälschter Wiederwahl und den Protesten in Belarus in der Hand. In den abtrünnigen georgischen Gebieten Abchasien und Südossetien wie auch in Transnistrien, das völkerrechtlich zur Republik Moldau gehört, hat Russland ebenfalls Truppen stationiert. Putins Traum vom großen Imperium, er wird bereits gelebt – und er wird gewaltsam verteidigt.
Beginn mit wenig Hoffnungen
Die USA und Russland beim Auftakt der Beratungen über die Sicherheitslage in Osteuropa Hoffnungen auf eine rasche Lösung des Konflikts gedämpft. Der stellvertretende russische Außenminister Sergej Ryabkow und die stellvertretende US-Außenministerin Wendy Sherman begannen am Montag ihre Gespräche in der US-Botschaft in Genf. „Die USA werden sich die russischen Bedenken anhören und unsere eigenen Überlegungen mitteilen“, schrieb Sherman in einem Tweet. Zugleich machte sie klar, dass keine Diskussionen über europäische Sicherheit ohne andere Verbündeten stattfinden würden. Ungeachtet der zunehmenden Spannungen mit Russland betonte die Nato die Beitrittsperspektive für die Ukraine.
De Maart
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