Mittwoch22. Oktober 2025

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JahresrückblickIn Deutschland kam es zu einer politischen Premiere

Jahresrückblick / In Deutschland kam es zu einer politischen Premiere
Der neue Bundeskanzler Olaf Scholz verabschiedet seine Vorgängerin Angela Merkel im Bundeskanzleramt mit einem Blumenstrauß Foto: AFP/John MacDougall

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Das Jahr 2021 war nicht nur ein Superwahljahr, es leitete auch den Abschied von Langzeit-Kanzlerin Angela Merkel ein. Nach 16 Jahren lässt sie selbstbestimmt von der Macht und übergibt die Regierungsgeschäfte einer Ampel-Regierung.

Es ist ein Jahr des großen Abschieds. Ende einer Ära. Ende einer Kanzlerschaft. Auch Ende von Ministerkarrieren. Und doch konnte sich Angela Merkel nicht ganz sicher sein, wann sie wirklich loslassen würde von diesem höchsten Regierungsamt. Als die Bundeskanzlerin sich vor knapp zwölf Monaten zum neuen Jahr an die Menschen im Land wandte, sagte sie wohlweislich, dass dies „voraussichtlich ihre letzte Silvesteransprache als Bundeskanzlerin“ sein würde. Merkel sprach aus Erfahrung. Vier Jahre zuvor war die FDP quasi im letzten Moment vor der Überfahrt nach Jamaika aus dem gemeinsamen Koalitionsboot mit Union und Grünen gehüpft. Ja, besser gar nicht zu regieren, als falsch zu regieren, hatte FDP-Chef Christian Lindner sein Wendemanöver begründet. Merkel musste sich plötzlich einen neuen Koalitionspartner suchen und es dauerte bis in den März des neuen Jahres, ehe die nächste große Koalition von Union und SPD stand.

Dieses Mal konnte sich Merkel auf ihre Voraussicht verlassen. Die Ampel machte sehr schnell Nägel mit Köpfen. Die Bundeskanzlerin verabschiedete sich stilvoll aus dem Amt, in dem sie in 16 langen Jahren zur mächtigsten Frau der Welt gewachsen war. Am Ende fehlten ihr zehn Tage, um einen anderen Langzeit-Kanzler, Helmut Kohl, in der Dauer der Amtszeit zu überholen.

Merkel geht, gibt den Ampel-Leuten zum Abschied noch etwas mit auf den Weg, was sie selbst immer gelebt hat: „Und jetzt an die Arbeit!“ Sie musste durch gravierende Krisen, manche brachten sie an den Rand dessen, was man sich auch in solchen höchsten Positionen zumuten kann: Finanzkrise, Euro-Krise, Flüchtlingskrise, in der es zum totalen Zerwürfnis zwischen ihr, der CDU-Chefin, und Horst Seehofer, dem CSU-Chef, kam. Und nun schließlich die Corona-Krise.

Der Härte des Geschäfts nicht gewachsen

Merkel erlebte in ihrem letzten Jahr als Kanzlerin mit, wie ihre Partei, die CDU, erst einen neuen Vorsitzenden wählte, weil Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer der Härte dieses Geschäftes auf allerhöchstem Niveau eben doch nicht gewachsen war. Merkel hatte im Jahr zuvor Kramp-Karrenbauers mangelnde Durchsetzungskraft zu den Vorgängen nach der Landtagswahl in Thüringen, wo die AfD den FDP-Mann Thomas Kemmerich trickreich an die Macht gebracht hatte, während einer Reise in Afrika kritisiert. AKK gab auf. Im Januar 2021 schließlich hatte die CDU die Wahl zwischen Armin Laschet, Friedrich Merz (in seinem bereits zweiten Anlauf) und Norbert Röttgen als nächsten Bundesvorsitzenden. Laschet gewann. Und verlor etwas später im Jahr politisch beinahe alles – außer dem Bundestagsmandat. Der neue CDU-Vorsitzende Laschet setzte sich in der Frage der Kanzlerkandidatur in einem harten Kampf zwar gegen CSU-Chef Markus Söder durch. Aber der bayerische Ministerpräsident tat anschließend alles, um Laschet nicht nur nicht zu unterstützen, sondern mehr noch: ihm zu schaden. Sehr viel später im Jahr brauchte die CDU schon wieder einen neuen Vorsitzenden. Dieses Mal schaffte es Merz mit absoluter Mehrheit im ersten Wahlgang – Röttgen und Mitbewerber Helge Braun landeten auf den Plätzen.

Die Niederlagen der CDU bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg im März waren nun wirklich nicht Laschet anzulasten, dazu war er noch zu frisch im Amt des Parteichefs, aber sie markierten schon einen Trend. Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt Anfang Juni rettete Ministerpräsident Reiner Haseloff noch der CDU, Laschet und sich die Macht in der Staatskanzlei in Magdeburg. Doch da zeichnete sich schon ab, dass Laschet nicht unbedingt jener Mann war, den sich viele Deutsche als nächsten Kanzler wünschten. Hinzu kam: Söder warf dem CDU-Kanzlerkandidat, wo er konnte, Knüppel zwischen die Beine.

Dann kam die Flut im Ahrtal. Und Laschet lachte im falschen Moment. Vorne am Mikrofon sprach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Menschen Mut zu, hinten erwischte eine Kamera den fröhlichen CDU-Kanzlerkandidaten, während vielen Menschen an der Ahr das reißende Hochwasser gerade die Existenz geraubt hatte.

Mit langem Atem Wahlsieg geholt

Der Wahlkampf lief, die Kandidaten machten ihre Fehler. Bei den Grünen hatte sich Annalena Baerbock machtbewusst gegen Robert Habeck durchgesetzt. Der gab nach, weil er nachgeben musste. Je länger der Wahlkampf dauerte, je mehr sich die Grünen wegen selbstgemachter Fehler der Kandidatin vom kühnen Traum Bundeskanzleramt entfernten, je mehr Laschet nach einem Mittel suchte, als geplagter Corona-Ministerpräsident und Kanzlerkandidat zu punkten, desto mehr wendete sich – beinahe unbemerkt – das Blatt.

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz kam auf leisen Füßen nach vorne, zeigte sich im Wahlkampf stereotyp „berührt von der Zustimmung, die ich bei den Menschen erfahre“. Scholz hatte unter anderem das Glück, dass seine Polit-Skandale einfach zu kompliziert waren, dass sie in eine Schlagzeile gepasst und von den Menschen im Land leicht verstanden worden wären. Der Cum-Ex-Skandal um die Hamburger Warburg-Bank, wo sich Scholz als Erster Hamburger Bürgermeister mehrfach mit dem Warburg-Banker Christian Olearius getroffen hatte, war einfach zu verschachtelt, als dass es darauf für ihn ernsthaft hätte gefährlich werden könne. Ein frisierter oder aufgehübschter Lebenslauf wie im Falle von Baerbock oder ein Foto wie im Falle von Laschet waren einfacher zu verstehen. Scholz startete durch, auch, weil die anderen Fehler machten, die leicht vermeidbar gewesen wären. Und so holte sich Scholz mit langem Atem den Wahlsieg. Einen Erfolg, der umso erstaunlicher war, weil die SPD selbst acht Wochen vor dem Wahltag weiter wie festgemauert bei jener 15-Prozent-Marke lag, bei der für sie seit Monaten kein Vorankommen möglich schien.

Zwischendrin bewegte die Republik der Afghanistan-Einsatz. Nach dem strammen Vormarsch der radikal-islamischen Taliban auf Kabul mussten auch die deutschen Soldatinnen und Soldaten überstürzt und binnen weniger Tage das Land verlassen. Bei der Evakuierung ließ die Truppe Tausende afghanische Ortskräfte, die für die Bundeswehr gearbeitet hatten, und deren Familien zurück. Die gesamte Bundesregierung bis hoch zur Bundeskanzlerin sah dabei nicht gut aus. Als Vize-Kanzler war Scholz mit im Blickpunkt, ebenso zentrale Kabinettsmitglieder wie Außenminister Heiko Maas (SPD) und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Doch weder der Cum-Ex-Skandal noch die Beteiligung von Scholz und Maas am Afghanistan-Desaster schlugen auf die Umfragewerte der SPD durch.

Es darf regiert werden

Wenige Wochen nach der Bundestagswahl war dann auch für Unions-Kanzlerkandidat Laschet die Hoffnung gegen null gesunken, über die Hintertür – nach womöglich gescheiterten Sondierungsgesprächen von SPD, Grünen und FDP – doch noch ins Kanzleramt zu kommen. Laschet war raus, ebenso Söder, dem die CDU die permanenten Sticheleien und Durchstechereien gegen den gemeinsamen Kanzlerkandidaten kaum verzeihen dürfte. SPD, Grüne und FDP hielten sich unter Führung von Scholz, Lindner, Baerbock und Habeck eisern an ihr Schweigegelübde. Wer quatscht, der fliegt, so die Devise während der Sondierungen wie bei den folgenden Koalitionsgesprächen.

Anfang Dezember war es dann geschafft. SPD, Grüne und FDP wollen für die nächsten vier Jahre „Mehr Fortschritt wagen“, so die Überschrift über dem Koalitionsvertrag. In der Nikolauswoche stand dann die neue Regierung. Der 9. Dezember dann war Kanzlertag. Der neue Bundeskanzler Scholz machte es kurz: „Ich schwöre.“ Ohne den Zusatz: „So wahr mir Gott helfe.“ Scholz und seinen Ministerinnen und Ministern geht es nun wie allen Vorgängern: Wer dran ist, ist dran. Die Ampel leuchtet. Es darf regiert werden.

Am 24. November einigten sich die SPD, die Grünen und die FDP auf einen Koalitionsvertrag: Der Weg für die erste Drei-Parteien-Bundesregierung in Deutschland war frei 
Am 24. November einigten sich die SPD, die Grünen und die FDP auf einen Koalitionsvertrag: Der Weg für die erste Drei-Parteien-Bundesregierung in Deutschland war frei  Foto: AFP/Odd Andersen