Das politische Schicksal von Annalena Baerbock nach der Bundestagswahl gibt zu denken: Die scheidende Grünen-Chefin, ehemalige Kanzlerkandidatin und neue Außenministerin spielt bei den Grünen nicht mehr die allererste Geige. Baerbock hatte sich im Duell mit Co-Parteichef Robert Habeck um die Kanzlerkandidatur durchgesetzt. Das war möglich, weil bei den Grünen eine besonders strenge Form der Frauenquote gilt: Baerbock konnte sich die Kandidatur nehmen, Habeck hatte das Nachsehen.
Doch ihr sind bekanntermaßen im Wahlkampf viele Fehler unterlaufen, zu viele Fehler. Das eher enttäuschende Abschneiden der Grünen wurde Baerbock angelastet, mit Habeck wäre das nicht passiert, lautete die gängige Lesart nach der Wahl.
Ist die Frauenquote also Mist? Nicht nur, weil sie den Grünen möglicherweise die Chance auf die erste Kanzlerschaft vermasselt hat, sondern auch, weil am politischen Schicksal Baerbocks zu sehen ist, dass sie ihr am Ende doch nicht nutzt? Auf den ersten Blick sieht es ganz so aus: Habeck wurde Vizekanzler, spricht auf Augenhöhe mit Kanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner. Baerbock bekam das Außenministerium.
Auch Parteien wie die Grünen, die sich die Gleichberechtigung und die Frauenquote seit ihrer Gründung 1980 auf die Fahnen geschrieben haben, kennen also Prozesse, in denen Frauen von Männern ausgebootet, abgestraft, kaltgestellt werden. Dennoch hat die Quote bei den Grünen dafür gesorgt, dass Frauen seit Jahrzehnten in der ersten politischen Reihe sichtbarer sind als in den meisten anderen Parteien: Von Petra Kelly über Claudia Roth bis zu Katrin Göring-Eckardt prägten sie die politische Debatte. Ohne die Grünen in der neuen Regierung wäre die halbwegs paritätische Besetzung der Ministerämter in der Ampel-Regierung kaum gelungen.
Mehr in Aufsichtsräten, weniger in Vorständen
Über Sinn und Unsinn der Frauenquoten in Politik und Wirtschaft wird seit Jahrzehnten gestritten. Fest steht: Auch mit ihr sind Frauen im Parlament und in Führungspositionen der Parteien und Unternehmen weiterhin gnadenlos unterrepräsentiert. Ohne die Quote allerdings wäre der Frauenanteil noch geringer.
Die Frage, sind genug Frauen da, die muss man ganz klar mit Ja beantworten.
Wenn eine feste Frauenquote vorgeschrieben ist, wie etwa in den Aufsichtsräten der größten deutschen Unternehmen, steigt der Frauenanteil: Immerhin rund 36 Prozent der Posten sind heute mit Frauen besetzt, vorgeschrieben waren seit 2016 zunächst 30 Prozent.
Aufsichtsräte sind aber nur Kontrollorgane, das operative Geschäft obliegt ihnen nicht. Hier die Macht zu teilen, fiel offenbar leichter, als Frauen auch in die wichtigeren Vorstände vorzulassen. Zudem gilt die Frauenquote in Aufsichtsräten auch nur für paritätisch mitbestimmte Unternehmen: Gewerkschaften pflegen in der Regel mehr Frauen auf Aufsichtsratsposten zu hieven, weil in ihnen Arbeitnehmerinnen besser organisiert sind und bessere Aufstiegsmöglichkeiten genießen.
Diverse Unternehmen sind erfolgreicher
In den Vorständen großer Unternehmen dagegen, in denen bis Mitte 2021 keine Quote galt, liegt der Anteil der Frauen bei nur etwa 13 Prozent. Erst seit dem Sommer gibt es ein Gesetz, das den 2.000 größten deutschen Unternehmen vorschreibt, dass künftig ab vier Vorstandsmitgliedern mindestens eine Frau mit am Tisch sitzen muss. Die frühere unionsgeführte Bundesregierung setzte für lange Zeit immer wieder auf Selbstverpflichtungen der Unternehmen. Doch viele von ihnen nutzten ein Schlupfloch: Sie gaben sich selbst einfach die Zielgröße Null, als es darum ging festzulegen, wie groß der Frauenanteil in ihren Führungsetagen sein sollte.
„Wir bekommen immer die Frage, na ja, gibt’s denn eigentlich die Frauen?“, sagt Nicole Voigt, Expertin für Diversität bei der Boston Consulting Group (BCG). Eine aktuelle Studie ihrer Unternehmensberatungsgesellschaft habe ergeben, dass es inzwischen durchaus viele Frauen in den 100 größten deutschen Unternehmen gibt, die in höheren Führungspositionen arbeiten – und durchaus gerne weiter aufsteigen würden. Bei 80 der 100 Unternehmen sei ein größerer Frauenanteil auf den Führungsebenen als im Vorstand zu finden. „Die Frage, sind genug Frauen da, die muss man ganz klar mit Ja beantworten“, sagt BCG-Expertin Voigt.
Auch an den Kapitalmärkten spielt die Frage des Frauenanteils auf den Führungsebenen von Unternehmen eine immer größere Bedeutung. „Für Investoren gewinnt die Frage nach Diversität und somit Frauen im Unternehmen an Bedeutung. Denn wenn es stimmt, dass diverse Unternehmen erfolgreicher sind, dann ist ein wichtiger und am leichtesten zu überprüfender Indikator die Teilhabe von Aufsichtsrätinnen und Vorständinnen“, sagt die Münchner Diversitäts-Expertin Barbara Lutz.
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