Donnerstag6. November 2025

Demaart De Maart

Rave und RadauUnwirkliche Kontraste: Die diffusen Corona-Ausschreitungen von Luxemburg

Rave und Radau / Unwirkliche Kontraste: Die diffusen Corona-Ausschreitungen von Luxemburg
 Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Bizarrer hätten die Corona-Proteste am Samstag wohl kaum verlaufen können. Während einige Unruhe stiftenden Randalierer auf Konfrontationskurs mit den Polizisten gingen, tanzten auf dem Glacis andere Demonstranten zu Bob Marley, Muse und Queen. Es hatte mitunter das Flair eines Raves, wäre die Lage drumherum nicht so aufgeheizt gewesen. Ein Erfahrungsbericht.

Die Stimmung am Glacis ist angespannt. Aus Boxen dröhnt laute Musik, während vereinzelte Teilnehmer mit Trillerpfeife und Rauchbomben bewaffnet auf die Polizei zuhalten. Andere skandieren lautstarke Parolen, dazwischen immer wieder „Liberté, liberté, liberté!“. Am Rand des „rond-point Schuman“ bewachen Polizisten in schwerer Schutzkleidung die Zugänge zum Stadtpark und die Straße zur Innenstadt. Der Verkehr wurde umgeleitet, auch die Tram hat ihren Betrieb bereits eingestellt. Die Polizisten werden von vermummten Demonstranten angepöbelt. Es liegt etwas in der Luft.

Als Pressevertreter fühlt man sich inmitten dieser Gesellschaft nicht unbedingt wohl. Es ist kein Geheimnis, dass viele Sympathisanten der Querdenker-Bewegung den klassischen Medien nicht trauen. Davon zeugen die unzähligen Vorwürfe und Beleidigungen in den Kommentarspalten der sozialen Netzwerke. Auch vor Ort werden manche Pressevertreter offen angefeindet, verraten von Notizblöcken, Kameras und Mikrofonen mit Logo ihres Arbeitgebers. „Medienhure“ werden später zwei Kollegen von einer Gruppe junger Männer angepöbelt. „Ihr könnt nichts anderes, als Lügen zu verbreiten!“, fügt er hinzu.

Zuvor war bereits ein Zeitungsfotograf mit einer Handykamera verfolgt worden, weil er seine vom Schweiß getränkte Schutzmaske kurz zum Säubern abgesetzt hatte. Um den Vertreter der vermeintlichen „Lügenpresse“ später im Netz der Lächerlichkeit preiszugeben. Illusionen, den Nachmittag unerkannt zu überleben, hegt jedoch keiner der Journalisten. Zu klein ist das Land, zu divers die 500 Menschen, die sich am oberen Eingang zum Glacis eingefunden haben, dass man nicht doch einem bekannten Gesicht über den Weg läuft.

Die Presse war kein gern gesehener Gast auf der Demo am Samstag
Die Presse war kein gern gesehener Gast auf der Demo am Samstag Foto: Editpress/Alain Rischard

Es sind die üblichen Verdächtigen, die die Menge anpeitschen oder das Geschehen live für die Abonnenten zu Hause übertragen. Eine Menge, die im Vergleich zur Vorwoche dann doch etwas ausgedünnt wirkt. 2.000 Demonstranten hatten sich bei der vorangegangenen Veranstaltung eingefunden, bei der auch der Weihnachtsmarkt gestürmt sowie die „Gëlle Fra“ mit Nazi-Parolen behangen wurde. Wohl einer der Gründe, weshalb viele Anhänger der Bewegung dem Geschehen am Samstag ferngeblieben waren.

„Nun geht das wieder von vorne los“, seufzt eine Frau an der Tram-Haltestelle, als sich weitere 100 Demonstranten plötzlich vom Stadtpark ihren Weg zum Glacis bahnen. „Ich hoffe wirklich, es bleibt heute ruhig. Sonst werden unsere Rechte bald ganz eingeschränkt.“ Gemeint ist damit wohl die Entscheidung der Behörden, für diese Veranstaltung eine Protestzone auszuweisen. Eine Reaktion der Polizei und der Stadt Luxemburg auf die Geschehnisse des vergangenen Wochenendes.

Bettels Haus unter Bewachung

Protestler haben am Samstag vor einer Woche auch vor dem Wohnhaus von Premierminister Xavier Bettel in Bonneweg randaliert; sie warfen mit Eiern, auch ein Auto wurde zerkratzt. An diesem Samstag hat die Polizei vor dem Gebäude größere Präsenz gezeigt. Rund 20 Polizisten sicherten Haus und Straße in Schutzmontur ab. Gegen 18 Uhr, als Protestler durch die Innenstadt zogen, riegelten die Polizisten die Straße für kurze Zeit komplett ab und ließen nur noch Anwohner durch – eine reine Vorsichtsmaßnahme, wie sich herausstellte. (WiR)

„Das Recht auf Meinungsäußerung wurde auf 1,5 Quadratkilometer reduziert. Das dürfen wir nicht hinnehmen“, echauffieren sich indessen die Organisatoren der „Saturday for Liberty – Polonaise solidaire“ über die Lautsprecher. „Die Kreuzung, die Tunnel gehören euch! Wenn ihr wollt, könnt ihr auch mit der Tram spielen. Sie gehört euch“, suggeriert Mitorganisator Peter Freitag in einer unterschwelligen Aufforderung, die Straßen und Verkehrsmittel zu besetzen.

Es dauert aber eine knappe Stunde, bis sich Teile des Protestzuges in Bewegung setzen. Ein Mann fordert die Umstehenden auf, sich ihm anzuschließen und den von der Polizei freigeräumten Korridor in Richtung Kirchberg zu stürmen. „On est gâtés ici au Luxembourg“, vermerkt eine Frau sarkastisch. Doch dann ertönt von hinten der Aufruf, die Stellung zu halten und die Kreuzung zu blockieren. Die behäbige Masse kommt langsam wieder zum Stehen, ein erster Elan scheint gebrochen. Niemand weiß so recht, wohin. Hier ertönt Musik, dort wird ein Böller gezündet. Ziellos wandern Grüppchen von einem Schauplatz zum nächsten – bis Randalierer die Absperrung der Polizei in Richtung Innenstadt anvisieren.

Die Absichten einiger Protestierender waren deutlich zu erkennen
Die Absichten einiger Protestierender waren deutlich zu erkennen Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Vermummte Krawallmacher pöbeln die Polizisten an, wieder explodieren Böller, während dichter Rauch aus den gezündeten Bengalos durch die Reihen weht. Ein Rädelsführer der Randalierer läuft an den Polizisten auf und ab, zu den ominösen Klängen des „Imperial March“ aus der Star-Wars-Saga. Darth Vader lässt wohl grüßen. Wie auf Kommando wird die Stimmung aggressiver, während über den Köpfen der Demonstranten ein Polizeihubschrauber seine Runden dreht. Der Blick in den Himmel verrät, dass auch zwei Drohnen das Geschehen genau im Blick behalten.

Dann unvermittelt eine Kehrtwende: Die Gruppe wendet sich dem Limpertsberg zu, der auch von Beamten in ein paar Metern Abstand zueinander abgegrenzt wird. Doch die Ordnungskräfte sind auf der Hut: Innerhalb weniger Sekunden bilden dazu gestoßene Einheiten an der Allée Scheffer eine undurchdringliche Mauer. Die Schilde dicht an dicht gedrängt, ergeht die Botschaft an die Demonstranten: Kein Durchgang! Also wird nach wenigen Metern wieder der Rückzug in die Protestzone angetreten.

Damit wenden sich die Randalierer wieder den Beamten zu, die den Weg zur Innenstadt blockieren. Sie werden Opfer unflätiger Beleidigungen und Provokationen, bevor vereinzelte Chaoten durch die lose Reihe stoßen und den Rest der Masse zum Mitkommen anregen. Begleitet von Jubelschreien und Parolen folgt ein Tross von Demonstranten, unter die sich auch viele Schaulustige gemischt haben, die sich die Konfrontation mit der Polizei – die Smartphones gezückt – nicht entgehen lassen wollen.

Während des Protestes wurden immer wieder Rauchfahnen eingesetzt, deren Rauchschwaden sich auf die Szenerie legten
Während des Protestes wurden immer wieder Rauchfahnen eingesetzt, deren Rauchschwaden sich auf die Szenerie legten Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Der Menge rückt jedoch ein Wall aus Polizisten entgegen, die mit ihren Knüppeln auf die Schilde schlagen. Dahinter ragt der Wasserwerfer der belgischen Polizei empor, der zur Unterstützung aus dem Nachbarland angefordert worden war. Das ist dann aber zu viel des Guten für manche Protestteilnehmer: „Das mache ich nicht mit! Dort gehe ich nicht hin“, sagt eine Frau zu ihrem Partner, der gebannt in Richtung Schildwall blickt. „Nein, das artet aus! Das wird kein gutes Ende nehmen“, erwidert die Frau und bleibt in sicherer Entfernung stehen.

Auch anderen Teilnehmern wird es mulmig zumute. „Muss das denn wirklich sein? Wegen dieser Leute haben wir einen schlechten Ruf“, meint eine weitere Dame, die wieder den Rückzug zum Glacis antritt. Dieses Sentiment teilen aber längst nicht alle Teilnehmer. „Wir müssen handeln“, ist aus der Menge zu vernehmen. Und: „Das können wir uns nicht bieten lassen. Wir sind doch freie Menschen. Sie können uns nicht hier behalten!“

Inzwischen sind die Parteien nur noch Zentimeter voneinander entfernt, es herrscht ein kurzer Stillstand. Der beißende Geruch aus Sprengkörpern, die immer wieder in Richtung Polizisten fliegen, vermischt sich mit den gezündeten Rauchbomben. Im Hintergrund bellen Polizeihunde, während sich Schaulustige und Pressevertreter am Rande des Geschehens dicht an dicht drängen. Plötzlich setzt sich die Polizei wieder in Bewegung, die Menge weicht zurück.

Der Wasserwerfer der Polizei schlägt eine Schneise in die Protestierenden
Der Wasserwerfer der Polizei schlägt eine Schneise in die Protestierenden Foto: Editpress/Alain Rischard

Doch nur kurz: Schon stehen wieder Chaoten bereit, um sich der Mauer zu widersetzen und die Beamten zu überrumpeln. Diese aber machen kurzen Prozess: Polizisten in der ersten Reihe gehen einen Schritt zur Seite, hinter ihnen schießen pfeilschnell die Kollegen hervor, um zwei Chaoten aus dem Geschehen zu pflücken. Die Reihe schließt sich wieder und die Beamten drängen die Menge weiter in Richtung Glacis.

Doch die Rädelsführer bleiben unbeeindruckt. Sie pöbeln und drücken weiter gegen die Schilder in Richtung Innenstadt, als der Polizeizug kurz anhält und sich zwei Wasserfontänen über die Protestierenden ergießen. Es wird laut und hektisch. Ein empörendes Raunen geht durch die Menge. „Oh, non!“, erschallt es von vielen Seiten. „Die werden doch nicht …“, so eine weitere Teilnehmerin, die dann aber stumm und unverzüglich den Rückzug antritt.

Ein Blick über die Schulter verrät, dass die Chaoten auch über den Park nicht in die Innenstadt gelangen. Schulter an Schulter bilden die Beamten eine dichte Reihe, die sich über das Grün der „Kinnekswiss“ schlängelt und kein Durchkommen ermöglicht. Am Rande des Stadtparks greift sich ein Beamter einen weiteren jungen Mann, der über den Zaun sein Glück probieren wollte. Doch es gibt kein Durchkommen mehr. Schnell hat der Spuk ein Ende: Knapp 20 Minuten, nachdem die ersten Randalierer durchgebrochen waren, stehen die Protestteilnehmer wieder alle auf dem Glacis. Quittiert wird diese Niederlage mit Bierflaschen und Böllern, die immer noch vereinzelt auf die Beamten einprasseln.

Eine der ersten Festnahmen beim versuchten Durchbruch in die Innenstadt
Eine der ersten Festnahmen beim versuchten Durchbruch in die Innenstadt Foto: Editpress/Alain Rischard

„Heil Hitler“, ertönt es plötzlich aus dem Hintergrund. Eine ältere Dame hat sich hinter die Polizeilinie geschlichen. „Das sind Hitlers Schergen. Wir sind wieder in Hitlers Land“, so die Frau. Übrigens nicht der einzige Nazi-Vergleich auf dieser Demo. Daneben wirft ein Plakat die Frage auf, was die Gesellschaft denn zu tun gedenkt, wenn die ersten Konzentrationscamps für Ungeimpfte ihre Tore öffnen würden.

Der angespannten Stimmung am „rond-point Schuman“ steht plötzlich eine Menschenkette gegenüber. Sie will Randalierer friedlich davon abhalten, sich in Richtung Limpertsberg durchzuschlagen. Dazwischen ertönen die Klänge von Michel Sardous „Les lacs du Connemara“ und Queens „We Will Rock You“ aus den Boxen. Nach einem Techno-Mix mit Sprüchen von Premierminister Xavier Bettel erklingt ein Song von Bob Marley – passend zum süßlichen Marihuana-Geruch, der stellenweise über den Ort des Geschehens weht. Beinahe unwirklich erscheint der starke Kontrast zwischen Krawallen und friedlichem Protest, die sich in unmittelbarer Nähe zueinander abspielen. Dennoch passt es zu der losen Gruppierung aus Verschwörungstheoretikern, Krawallmachern, Impfgegnern und selbst erklärten Verfassungsexperten, die sich an diesem Nachmittag zusammengefunden haben.

Nach dem gescheiterten Durchbruch in Richtung Innenstadt scheint die Luft raus aus dem Protest. Die meisten Teilnehmer sind längst abgezogen. Die Verbliebenen sammeln sich um die Musikboxen, Bierdose fest in der Hand. Die Anspannung des Protestes ist dem Feeling einer Rave-Party gewichen. Auch die Polizei wittert keine Gefahr mehr und zieht sich langsam vom Glacis zurück. Das Tageblatt-Team macht sich zu Fuß in Richtung Bahnhof, bis auf dem Boulevard Royal plötzlich wieder Schreie ertönen.

Kein Durchkommen am Weihnachtsmarkt an der „Gëlle Fra“
Kein Durchkommen am Weihnachtsmarkt an der „Gëlle Fra“ Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

„Liberté, liberté“, hallt es über die Ringstraße, während knapp 100 Chaoten den Verkehr zu blockieren versuchen. Andere Demonstranten wollen in ein Kaufhaus einzudringen, doch ohne Erfolg – die Türen sind blockiert. Indessen haben die Anführer ein weiteres Ziel: den Weihnachtsmarkt an der place d’Armes, wo die Gruppe wieder prompt von einem Polizei-Wall empfangen wird. Da sie dort mit ihren „Non au Covid-Check“-Rufen nicht weiterkommen, macht sich die unorganisiert wirkende Gruppe auf direktem Wege zur „Gëlle Fra“.

Die noch anwesenden Pressevertreter werden mit argwöhnischen Blicken bedacht. Diese versuchen in den Gassen der Altstadt mit den Demonstranten Schritt zu halten, bevor sie das güldene Symbol erreichen. Doch die 50 verbliebenen Krawallmacher können kaum etwas gegen die Hundertschaft ausrichten, die die Polizei dort aufgeboten hat. „Wir sind zu wenig, um diese Woche noch etwas auszurichten“, meint einer der Anwesenden. „Päiffen alleguer“, stimmt ihm sein Partner zu, während beide in Richtung Pont Adolphe laufen – wo sich die Gruppe dann im Nichts auflöst.