Mittwoch19. November 2025

Demaart De Maart

GroßbritannienUrteil: Wikileaks-Gründer Julian Assange kann doch an die USA ausgeliefert werden

Großbritannien / Urteil: Wikileaks-Gründer Julian Assange kann doch an die USA ausgeliefert werden
Assanges Ehefrau und Anwältin Stella Moris will baldmöglichst Einspruch gegen das Urteil einlegen Foto: Niklas Halle’n/AFP

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Harter Rückschlag für Julian Assange: Das Londoner Appellationsgericht hat am Freitag den Weg zur Auslieferung des Wikileaks-Gründers in die USA freigemacht. Die beiden Höchstrichter hoben damit eine Entscheidung der ersten Instanz auf, die mit Blick auf den labilen psychischen Zustand des 50-Jährigen die Überstellung verweigert hatte.

Das Urteil wurde von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International scharf kritisiert. Von einem „schweren Justizirrtum“ sprach die Anwältin Stella Moris, die mit Assange zwei Söhne hat. „Julians Leben ist in Gefahr“, glaubt Wikileaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson. Die Bearbeitung des Einspruchs aus Washington hatte der Präsident sämtlicher Gerichte in England und Wales höchstpersönlich übernommen. Mit seinem Kollegen Lord Justice Timothy Holroyde ließ sich Ian Burnett im Oktober zwei Tage lang die Argumente beider Seiten vortragen.

Die US-Vertreter legten dabei ein Paket von „feierlichen“ Versprechungen zur Behandlung des Häftlings vor, dem sie schwerwiegenden Verrat militärischer Geheimnisse zur Last legen. Bei einer Verurteilung drohen dem 50-Jährigen in den USA wegen Computer-Hackings und Spionage bis zu 175 Jahre Freiheitsstrafe; realistischer, so die US-Anwälte, sei eine Zeitspanne von vier bis sieben Jahren.

Das Londoner Bezirksgericht hatte im Januar die Auslieferung des depressiven und suizidgefährdeten Aktivisten verweigert. Neben Assanges fragilem Gesundheitszustand spielten dabei die Schilderungen der harschen Haftbedingungen in US-Gefängnissen eine entscheidende Rolle. Dem Appellationsgericht lagen nun mehrere Garantien vor: Der Wikileaks-Gründer werde nicht, wie von der Verteidigung gefürchtet, in Einzelhaft sitzen müssen; auf ihn würden nicht die berüchtigten „speziellen Behandlungsmethoden“ (SAMs) angewandt, denen Terror-Verurteilte ausgesetzt sind; weder die Untersuchungs- noch die mögliche Strafhaft werde er im ADX Florence Supermax-Gefängnis im Bundesstaat Colorado absitzen müssen. Sollte es zu einer Verurteilung kommen, könne Assange die Haft in seiner australischen Heimat absitzen.

Spannungen wegen Auslieferungsverfahren

Hätten der Bezirksrichterin diese Garantien vorgelegen, so das Urteil der beiden Appellationsrichter, hätte sie dem Auslieferungsbegehren stattgeben müssen. Mit dieser Vorgabe wird das Verfahren nun ans Bezirksgericht zurückgegeben. Assanges Anwaltsteam kündigte „baldmöglichen Einspruch“ an, wie es Stella Moris vor dem Gerichtsgebäude ausdrückte. Allerdings könnte der Supreme Court als letztmögliche Instanz die Annahme des Falles verweigern.

Dann bliebe nur noch der Appell an Innenministerin Priti Patel. Die Politikerin gilt als stramm rechte Befürworterin von Law&Order; auf ihre Hilfe kann sich Assange schon deshalb nicht verlassen, weil er kein britischer Staatsbürger ist. Allerdings bestehen zwischen London und Washington seit Jahren Spannungen über beidseitige Auslieferungsverfahren. Die USA verweigerten kürzlich zur Empörung der britischen Öffentlichkeit die Überstellung einer Diplomatengattin, die mit dem Auto einen jungen Motorradfahrer getötet hatte. Umgekehrt bewahrte die damalige Innenministerin und spätere Premierministerin Theresa May einen jungen Computer-Hacker mit Verweis auf dessen Krankheit im autistischen Spektrum vor dem Strafverfahren in der Fremde.

Es geht hier nicht um das Recht auf freie Meinungsäußerung

Londoner Bezirksgericht

Nach Feststellung psychiatrischer Gutachter leidet Assange am Asperger-Syndrom. Seine Enthüllungsplattform Wikileaks hatte 2010 und 2011, teilweise in Zusammenarbeit mit renommierten Medien wie New York Times, Guardian und Spiegel, US-Geheimdokumente veröffentlicht. Durch die Veröffentlichungen kamen schwere Kriegsverbrechen amerikanischer Soldaten in Afghanistan und Irak ans Licht; viele Delikte bleiben bis heute ungeahndet.

Unerbittliche Verfolgung

Der Australier soll die später wegen Geheimnisverrats verurteilte Soldatin Chelsea Manning zum Kopieren der 250.000 diplomatischen Depeschen angestiftet haben, auf die sich die Veröffentlichungen stützten. Wikileaks bestreitet dies. Inzwischen haben sich viele der Medien, die ursprünglich intensiv und vertrauensvoll mit Assange zusammengearbeitet hatten, von seinen Methoden distanziert.

Assange hatte sich im Juni 2012 der vom britischen Supreme Court angeordneten Auslieferung nach Schweden wegen angeblicher Sexualdelikte entzogen, indem er in der Londoner Botschaft von Ecuador um Asyl bat. Knapp sieben Jahre später konnte Scotland Yard ihn in der Botschaft festnehmen, anschließend verbüßte er eine knapp einjährige Haftstrafe wegen seines Verstoßes gegen die Kautionsauflagen. Inzwischen sitzt er seit zweieinhalb Jahren im Gefängnis Belmarsh im Osten von London.

An der unerbittlichen Verfolgung des 50-Jährigen hat auch der Machtwechsel von Donald Trump zu Präsident Joe Biden nichts geändert: In Washington gilt Wikileaks als „feindseliger nicht-staatlicher Geheimdienst“. Weniger melodramatisch drückte es die Entscheidung des Bezirksgerichts aus: Assange sei über die normale, von der US-Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Tätigkeit eines investigativen Journalisten hinausgegangen: „Es geht hier nicht um das Recht auf freie Meinungsäußerung.“