Dienstag21. Oktober 2025

Demaart De Maart

ÖsterreichImpfpflicht auf die sanfte Tour

Österreich / Impfpflicht auf die sanfte Tour
Österreichs Kanzler Karl Nehammer spricht bei einer Sondersitzung des Nationalrats im Parlamentsausweichquartier in der Wiener Hofburg Foto: Roland Schlager/APA/dpa

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Der Kanzlerwechsel bringt Österreich einen politischen Klimawandel: Karl Nehammer zieht die Impfpflicht durch – allerdings auf die sanfte Tour, die auch der Opposition ein Mitgehen ermöglicht.

Dass sie kommt, war schon vor Nehammers Amtsantritt vorigen Freitag klar. Wie die Impfpflicht aber umgesetzt werden sollte, blieb Gegenstand vieler Spekulationen. Seit gestern steht fest: In Österreich wird als erstem EU-Land und nach dem Vatikan zweitem europäischen Staat überhaupt die Covid-Schutzimpfung ab 1. Februar 2022 verpflichtend. Alle in der Alpenrepublik wohnhaften Menschen über 14 Jahre müssen sich komplett – also mit drei Stichen – impfen lassen, sofern sie das bis dahin nicht schon getan haben. Betroffen sind 7,7 Millionen Personen, von denen allerdings 6,3 Millionen zumindest schon den ersten Stich haben. Neben Kindern sind auch Schwangere und Personen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen dürfen, sowie Genesene bis zu sechs Monate nach der Infektion von der kollektiven Pflicht ausgenommen.

Was sich schon in Nehammers ersten Auftritten gezeigt hatte, war am Donnerstag auch bei der Präsentation des entsprechenden Gesetzesvorhabens hör- und sichtbar: Die ÖVP setzt nach dem endgültigen Abgang ihres verglühten Sterns Sebastian Kurz auf die sanftere Tour. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP), bisher als Hardlinerin mit entsprechendem Blick und Tonfall bekannt, zeigte ausdrücklich Verständnis für die Ängste von Impfgegnern, versprach freundliche Überzeugungsarbeit und beteuerte, man wolle Impfverweigerer nicht bestrafen, sondern „abholen“.

Impfverweigerer-Abo

Ganz ohne pekuniären Druck wird es freilich nicht gehen. Wer sich nicht überzeugen lässt, muss in einem Verwaltungsstrafverfahren mit bis zu 3.600 Euro Geldstrafe rechnen, wobei das Strafausmaß allerdings sozial gestaffelt sein wird. Zur Auswahl steht auch ein alternatives Verfahren, bei dem das Strafausmaß bis zu 600 Euro beträgt – allerdings im Wiederholungsfall alle drei Monate. Dies bedeutet für radikale Impfmuffel mit dem entsprechenden Kleingeld quasi ein Impfverweigerungs-Abo von monatlich 200 Euro bis zum voraussichtlichen Ende der Impfpflicht im Januar 2024. Auch ein bereits eingeleitetes Verfahren kann durch „tätige Reue“ – also einen Stich – sofort zur Einstellung gebracht werden. Eine Zwangsvorführung zur Impfung oder Beugehaft werden ausdrücklich ausgeschlossen.

Die soziale Staffelung der Strafen und den Verzicht auf Haftandrohung dürfen sich die oppositionellen Sozialdemokaten auf die Fahnen schreiben, die dafür dem Gesetz der türkis-grünen Koalition im Parlament zustimmen werden. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner wollte allerdings den neuen Wiener Honeymoon nicht so weit treiben wie Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger, die das Impflicht-Gesetz gemeinsam mit Edtstadler und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) im Kanzleramt präsentierte. Einigkeit herrscht jedenfalls im Hinblick auf die vollzogene 180-Grad-Wende: So wie Mückstein betonte auch Meinl-Reisinger, vor Kurzem noch strikt gegen eine Impfpflicht gewesen zu sein, aufgrund der dramatischen – sich inzwischen wieder entspannenden – Infektionslage aber umgedacht zu haben. Auch die SPÖ-Chefin ließ ausrichten, Pflicht sei „nie das Ziel“ gewesen.

Radikalisierung

Nur eine Partei verschließt sich dem Umdenkprozess. Die FPÖ bleibt Sammelbecken für das von Verunsicherten und Ängstlichen über Esoteriker, Staatsverweigerer und Identitäre bis hin zu echten Nazis reichende Spektrum der Impfgegner. Parteichef Herbert Kickl – zwischendurch vorübergehend selbst durch Covid ausgebremst – macht seit Wochen mobil.

Für Samstag ist die nächste Großkundgebung gegen die Impfpflicht in Wien geplant. Zudem will die FPÖ Bürger beim Einbringen von Rechtsmitteln unterstützen. Auch mit Blick auf die im kommenden Jahr erhofften Neuwahlen kontert Kickl Nehammers Charmeoffensive mit einem Verweigerungskurs, der die Radikalisierung der Impfgegnerszene pusht. Mittlerweile werden bereits Krankenhäuser vom Verfassungsschutz bewacht und Spitalspersonal mit Pfeffersprays ausgestattet, um gegen in sozialen Medien angedrohte Angriffe von Anti-Impf-Fanatikern gerüstet zu sein.