Wenn die Sonne im Frühsommer scheint, auf dieses Feld im Süden Moskaus, dann blendet das satte Grün rundherum fast die Augen. Eine weite Landschaft. Ruhig ist sie, fast still – und schrecklich. Bilder von Gefangenen, von Getöteten sind hier an eine Gedenkwand am Rande aneinandergereiht. Magere Gesichter, in Schwarz-Weiß. Mehr als 20.000 Menschen haben die Schergen der sowjetischen Geheimpolizei während der stalinistischen Säuberungen der 1930er Jahre hier in Butowo hingerichtet, mit Schüssen in den Hinterkopf. Wie sie es auch im kleinen Wäldchen in Kommunarka taten, ebenfalls im Süden Moskaus. Oder in Sandarmoch, in Karelien im Norden des Landes, in Jekaterinburg, damals noch Swerdlowsk, in Ufa, in Gorno-Altajsk und in Magadan, tief im Osten. Es gibt viele Orte quer durch Russland, an denen Menschen vom sowjetischen Terror vernichtet wurden. An einigen finden sich heute Denkmäler, die an dieses Schreckensregime erinnern. Manchmal mit einem Stein, manchmal mit Gedenktafeln, auf denen Tausende von Namen stehen. Hunderte von Metern ziehen sie sich hin. Rote Nelken liegen hin und wieder am Boden. Ein stilles Gedenken.
Dass die Opfer ihre Namen zurückhaben, ihr Leben sichtbar wird und ihr Sterben, vielleicht auch ihre Geschichte erzählt wird, das ist mitunter der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial zu verdanken, der ältesten in Russland. Bereits zu Sowjetzeiten, als das Land sich mit der Perestroika Gorbatschows zu öffnen begann, schlossen sich Dissidenten, die einst zur Verbannung und Straflager verurteilt worden waren, in Moskau zur ersten Gruppe zusammen und fanden schnell Nachahmer im ganzen Land.
Damit aber soll nun Schluss sein, befindet die russische Generalstaatsanwaltschaft und hat vor dem Obersten Gericht des Landes die Liquidierung von Memorial gefordert. An diesem Dienstag und diesem Donnerstag finden in Moskau die Prozesse statt. In der gegenwärtigen politischen Lage des Landes dürfte dieser Antrag auch gleich das Urteil sein. Ein Zeugnis dessen, wie der Staat seinen Menschen ihr Gedächtnis raubt.
In den vergangenen Monaten hatte es in Russland viele Gerichtsentscheide gegeben, die die Repressionsmaschine von Präsident Wladimir Putin offenlegen. Es setzte fast schon eine Art Gewöhnung ein, wenn jeden Freitag aufs Neue wieder einmal einige Organisationen und Menschen auf der Liste „ausländischer Agenten“ des Justizministeriums gelandet waren. Manchmal einfach dafür, dass eine Tante aus Armenien Geld aufs russische Konto überwiesen hatte. „Ausländische Finanzierung“, befanden die loyalen Beamten im vorauseilenden Gehorsam. Memorial steht bereits seit Jahren auf dieser Liste und hat, so werfen die Ermittler nun der Organisation vor, „systematisch“ gegen die Auflagen verstoßen, die solch eine Brandmarkung mit sich bringt. Offenbar sollen die Menschenrechtler in 20 Fällen ihr Material nicht mit dem Zusatz „ausländischer Agent“ versehen haben.
Gewaltiger Einschnitt für die Bürgergesellschaft
Seit Jahren kennt die Organisation Attacken gewaltbereiter Traditionalisten, die ihre Büros stürmen und ihre Mitarbeiter angreifen, sie geht gegen diffamierende Beiträge im Staatsfernsehen vor, die ihre Arbeit lächerlich machen, kämpft für ihre Leiter in den Regionen, die in absurden Prozessen vorgeführt werden und in Straflager kommen. Erst vor wenigen Wochen hatten vermummte Angreifer eine Filmvorführung von Memorial in Moskau gestört. Die angerückte Polizei setzte aber nicht den randalierenden Mob fest, sondern die Memorial-Mitarbeiter – und verschloss die Eingangstür von außen mit einem Paar Handschellen. Ein finsteres Symbol.
Das nun drohende Aus für Memorial als Hüterin der Erinnerung an Lager und Terror ist ein gewaltiger Einschnitt in der Bürgergesellschaft im Land. Es überschreitet eine psychologische Barriere im immer repressiver werdenden Apparat in Putins Russland. Und es zeigt: Das Geschichtsmonopol hat einzig und allein der Staat. Putin als Chefhistoriker verkündet die „historische Wahrheit“, die auf Heldentum baut. Der Staatsterror, dem Millionen sowjetischer Bürger zum Opfer fielen, hat keinen Platz in dieser Glanzgeschichte. Er soll vergessen werden. Die Arbeit von Memorial beeinflusse die sittliche und geistige Entwicklung der Kinder, heißt es auf den zwölf Seiten Papier, mit denen die jahrzehntelange Geschichts- und Bildungsarbeit der Menschenrechtler zunichtegemacht werden soll.
Kritik am Staat gilt als Nestbeschmutzung
Im Verständnis der Ermittler gilt es damit als unmoralisch, sich mit seiner Familie zu beschäftigen, mit den Großvätern, die erschossen und verscharrt wurden, mit den Großmüttern, die jahrzehntelang auf eine Nachricht von ihnen warteten oder ebenfalls im Lager zugrunde gingen. Mit den Eltern, die als Kinder zu „Volksfeinden“ gestempelt waren, die gemieden und gebrochen wurden und die dieses Trauma an ihre Enkel weitergeben. Der Schrecken der sowjetischen Vernichtungsmaschinerie, er prägt jede Familie in Russland, bis heute, weil wenig aufgearbeitet ist, weil sich Familienmythen halten und Angst allgegenwärtig ist, geschürt auch vom jetzigen Regime, dessen Geheimdienstler stolz darauf sind, sich Tschekisten zu nennen, wie die Geheimpolizisten schon zu Zeiten Lenins. Der Putinsche Apparat macht die Russen zu Menschen ohne Gedächtnis und ohne Vergangenheit.
Stattdessen breitet sich Stalins Konzept von Volksfeinden aus. Kritik am russischen Staat und an seiner Führung gilt als Nestbeschmutzung, schnell werden die Kritiker zu Extremisten und Terroristen erklärt. Das Menschenrechtszentrum von Memorial hat das angemahnt, hat offen von politischen Gefangenen in Russland gesprochen, hat sich für die Rechte politisch Verfolgter im Nordkaukasus eingesetzt und für die Rechte von LGBTQI+, für all das „Böse“ in den Augen der konservativen Führung des Landes also – und wird nun bezichtigt, Extremismus und Terrorismus zu unterstützen.
Die Menschen sollen stumm werden. Die Jugendlichen nicht mehr herausfinden, was sich vor Jahrzehnten in ihrer Umgebung abgespielt hatte. Die Vergangenheit: tabu. Die Gegenwart: unter Kontrolle des Staates. Die Einschüchterung setzt sich fort und zeigt sich in den Reaktionen nach der schockierenden Nachricht vom drohenden Aus für Memorial: Viele Menschen im Land nehmen sie als alltäglich hin.

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und damit ist Putin entschuldigt oder Lukachenko? Die weissen Kreuze in Sandweiler,das sind alles böse Amis?Wir kritisieren den Kapitalismus in dem wird gut leben und die Demokratie in der wir kritisieren dürfen. Mit vollem Magen lässt sich leicht über den Hunger in der Welt diskutieren.Fragen wir doch einfach das russische Volk,aber das würde nicht viel bringen denn die meisten Menschen haben aufgegeben."Väterchen Russland ist wie er ist.Da kann man nichts ändern."
@Klod - Et ass 2-1 fir de Westen, well, net ze vergiessen, ass den gudde Mann wou a Russland am Exil setzt. An all déi gestierzten Afrikanesch , Arabesch, Süd Amerikanesch Präsidenten, oder déi, déi op komescher art a weis gestuerwen sinn, zielen mir net mat. Hypokritesch westlech Politik a Propaganda
Und da ist so ein dicker,oft durstiger aber bekannter französischer Schauspieler welcher Vladimir als grossen Demokraten bezeichnete!
Ach...die sowjetischen verbrechen.
Und jemand der die westlichen verbrechen anprangert sitzt im britischen knast.
Also 1-1 zwischen dem putin und den biden johnson system.