Mittwoch5. November 2025

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Maria KolesnikowaDie Ikone des belarussischen Widerstands muss für elf Jahre in Strafkolonie

Maria Kolesnikowa / Die Ikone des belarussischen Widerstands muss für elf Jahre in Strafkolonie
Maria Kolesnikowa ist die letzte in Belarus gebliebene Oppositionsfigur – nun wurde sie verurteilt Foto: AFP/Ramil Nasibulin

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Als Diktator Lukaschenko sie aus dem Land werfen wollte, zerriss Maria Kolesnikowa vor dem Grenzübertritt ihren Pass – und wurde so zum Idol der belarussischen Opposition. Nun hat das Regime sie und den Anwalt Maxim Snak zu elf und zehn Jahren Haft verurteilt.

Irgendeiner habe ihr Noten geschickt, Mozart, in einem Brief hinter Gittern. „Eine Superidee“, hatte Maria Kolesnikowa einst ihrem Vater geschrieben. Die Blockflöte, die ihre Schwester ihr in die Zelle übergeben wollte, hatte das Wachpersonal da längst zurückgehalten. Kolesnikowa blieb das Papier, Musik für den Kopf, als Erinnerung in einer Welt vollkommen anderer Töne. „Abwesenheit von Musik ist Folter“, hatte es in einem ihrer zahlreichen Briefe geheißen, die ihre Familie aus dem Untersuchungsgefängnis von Schodino, etwa 50 Kilometer östlich von Minsk gelegen, bekam.

Hierher hatte sie das Regime vor einem Jahr verfrachtet, weil die Querflötistin, die einst in Stuttgart lebte und später der Opposition von Belarus ein fröhliches und zuversichtliches Gesicht gab, mit vielen Tausenden von Menschen quer durchs Land die Systemfrage stellte. Am Montag hat das Minsker Kreisgericht Maria Kolesnikowa zu elf Jahren Strafkolonie und den Anwalt Maxim Snak, ebenfalls einst im Koordinationsrat der belarussischen Demokratiebewegung aktiv, zu zehn Jahren Haft unter verschärften Bedingungen verurteilt. Schuldig gesprochen in folgenden Punkten: Verschwörung zur verfassungswidrigen Machtergreifung, Bildung einer extremistischen Organisation, Gefährdung der nationalen Sicherheit. Es ist die Rache des Regimes für die Unbeugsamen im Land.

Das Urteil war schnell gefallen in diesem Prozess, von dem sehr wenig an die Öffentlichkeit dringen durfte. Die Verhandlung hatte vor etwa einem Monat begonnen. Sie fand hinter verschlossenen Türen statt. Der Verteidiger Snaks hatte die 41 Bänder umfassende Anklageschrift bereits im Vorfeld als „Drehbuch für Hollywood“ bezeichnet, wenn es am Ende heiße: „basierend auf wirklichen Ereignissen“. Nach außen war lediglich das kurze Video vom Anfang des Prozesses gedrungen, in dem Kolesnikowa, im schwarzen Kleid und mit roten Lippen, im Glaskasten des Gerichts tanzt und ein Herz aus Händen formt. Es ist das Symbol einer Unnachgiebigen, eines, das sie auch nach der Verkündung des Urteils wählt: ein Herz in Handschellen, ein Lächeln hinter Glas. Sie stehen für ein Leben einer politischen Gefangenen an der Grenze zu Europa.

Vielen Hoffnung gegeben

Internationaler Protest verhallt in einem Land, in dem ein brutal willkürliches Regime wahllos jeden treffen kann. In dem die Generalstaatsanwaltschaft 4.600 Strafverfahren wegen „Extremismus“ innerhalb eines Jahres zählt. Aus dem in den vergangenen Monaten etwa 200.000 Menschen gegangen sind, weil sie die Kontrolle eines Diktators nicht mehr ertragen wollten und konnten. Auch Kolesnikowas Mitstreiterinnen Swetlana Tichanowskaja und Weronika Zepkalo leben im Ausland und kämpfen für ein freies Belarus.

Das Trio hatte im vergangenen Jahr unerwartet Zehntausende Menschen quer durch die Straßen des Landes bewegt. Die Menschen widerstanden offen dem Regime, bis dieses Regime mit allen Mitteln zuschlug, stets wissend, dass es eine schützende Großmacht im Rücken hat: Russland.

Kolesnikowa, die durch ihre Haltung vielen im Land Hoffnung gibt, hat sich stets zu Belarus bekannt – wissend, wozu das diktatorische Regime fähig ist. Die umtriebige 39-Jährige war für Viktor Babariko eingesprungen, nachdem dieser bei der Präsidentschaftswahl den Dauerherrscher Lukaschenko schlagen wollte und festgenommen wurde. Die Musikerin wurde plötzlich zur Politikerin, einer Inspirationsquelle, die so viele begeisterte. Nachdem sie im September vor einem Jahr von Geheimdienstlern auf offener Straße in Minsk gekidnappt worden war und an der Grenze zur Ukraine aus dem Land geworfen werden sollte, zerriss sie ihren Pass – und wurde dadurch geradezu zur Ikone des belarussischen Widerstands. Ihre Anwälte wollen in Berufung gehen.