ÖVP und Grüne wollten „das Beste aus beiden Welten vereinen“, tatsächlich prallen diese Welten immer öfter aufeinander. Es gibt kaum ein Thema, bei dem sich die Regierungsparteien einig sind.
Lange Konfliktliste:
Grünen-Umweltministerin Leonore Gewessler verkündete die Einführung eines Plastikflaschenpfandes, der ÖVP-Wirtschaftsbund sagte Njet und hatte natürlich Kanzler Sebastian Kurz auf seiner Seite. Grünen-Chef Werner Kogler forderte den Abgang des nicht wirklich überparteilich agierenden Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka als Vorsitzender des Ibiza-Untersuchungsausschusses, was der ÖVP-Mann natürlich ignorierte.
Schon seit langem spaltet die Migration die Koalition: Die Grünen wollen zumindest Frauen und Kinder von griechischen Inseln holen, die ÖVP lehnt das ab.
Nach der Vergewaltigung und Ermordung eines 13-jährigen Mädchens in Wien durch vorbestrafte afghanische Asylwerber ruft die ÖVP nach einer Verschärfung des Asylrechts. Das verweigern die Grünen, die noch vor Kurzem einen von Kurz umgehend abgelehnten Abschiebestopp nach Afghanistan verlangt hatten.
Vorige Woche verkündete Gewessler eine Überprüfung aller großen, selbst bereits genehmigten Straßenbauprojekte, was einen Aufschrei aus den Bundesländern zur Folge hatte. Der Kanzler distanzierte sich von der Ministerin, hat aber kein Durchgriffsrecht in den Ministerien, da er keine Richtlinien-, sondern nur eine Koordinierungskompetenz hat.
Auch die türkisen Attacken auf die gegen den Kanzler wegen Falschaussage im Ibiza-Ausschuss und Finanzminister Blümel wegen des Verdachts der Bestechlichkeit ermittelnde Justiz vergiften das Koalitionsklima. Die Grünen werfen dem Koalitionspartner ein „brandgefährliches Spiel“ vor.
Im Zweifel koalitionstreu
Die Grünen treiben dagegen ein selbstgefährdendes Spiel: Denn obwohl die Liste der koalitionären Konflikte immer länger wird, halten die Grünen der ÖVP im Zweifel die Stange. So verhinderten sie die von der ÖVP abgelehnte Verlängerung des Mitte Juli auslaufenden Ibiza-Ausschusses, indem sie der geschlossen dafür eintretenden Opposition die dafür nötigen Stimmen verweigerten. Der Ruf der Grünen als Kontrollpartei ist dahin. Auch sämtliche Misstrauensanträge gegen ÖVP-Minister scheiterten an grüner Koalitionstreue.
Angesichts der alles anderen als harmonischen Regierung halten sich hartnäckig Neuwahlgerüchte. Tatsächlich können weder ÖVP noch Grüne ein Interesse an Neuwahlen haben. Den Grünen fehlt ein populäres Ausstiegsszenario. Mit dem Abschiebestopp nach Afghanistan oder dem Infragestellen wichtiger Infrastrukturprojekte gewinnt man keinen Blumentopf. Und Kurz stünde vor dem Problem der aussichtslosen Partnersuche: Nachdem er 2017 die Koalition mit der SPÖ und 2019 jene mit der FPÖ aufgekündigt hatte, gäbe es nach einem Scheitern des Bundes mit den Grünen keine realistische Mehrheitsperspektive mehr für Kurz.
Roter Selbstzerstörungstrip
Aber auch die SPÖ kann sich keine Neuwahlen wünschen. Denn sie bietet derzeit ein verheerendes Bild. Der nach dem Rückzug des burgenländischen Landeshauptmannes Hans-Peter Doszkozil aus dem SPÖ-Bundesvorstand eingekehrte Friede erwies sich als trügerisch. Beim Parteitag Ende Juni erhielt die Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner nur 75 Prozent Zustimmung. Und Doskozil brach sein bundespolitisches Schweigegelübde. Der Rendi-Widersacher forderte eine kritische Selbstreflexion der Partei. Rendi-Wagner revanchierte sich, indem sie Doskozil mit FPÖ-Chef Herbert Kickl verglich. Selbst dem Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser, einem Rendi-Getreuen, ist kein Bekenntnis mehr zu einer Spitzenkandidatur der Parteichefin bei der nächsten Wahl zu entlocken. Vorgezogene Neuwahlen würden die SPÖ auf dem falschen Fuß erwischen.
Die FPÖ hätte dagegen einen Startvorteil: Der Machtkampf dort ist entschieden, Kickl hat Parteichef Norbert Hofer erfolgreich weggemobbt und sinnt nun auf Rache an Sebastian Kurz. Bei Neuwahlen könnte einmal mehr die Stunde der Rechtspopulisten schlagen.
De Maart
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