Montag10. November 2025

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IndonesienKonflikt zwischen Militär und indigener Bevölkerung in West-Papua spitzt sich zu

Indonesien / Konflikt zwischen Militär und indigener Bevölkerung in West-Papua spitzt sich zu
Zwei indonesische Soldaten wurden im Mai mutmaßlich von Rebellen in Papua getötet  Foto: AFP/Ricardo

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Indonesien ist die drittgrößte Demokratie der Welt und die größte Volkswirtschaft im schnell wachsenden Südostasien. Doch in der rohstoffreichen Provinz West-Papua summieren sich die Menschenrechtsverletzungen. Der Konflikt zwischen indonesischem Militär und indigener Bevölkerung spitzt sich zu.

Während die weltweite Aufmerksamkeit auf den Konfliktherden in Gaza und Myanmar liegt und das Leiden der Uiguren in China für weltweite Empörung sorgt, braut sich auch in West-Papua eine brandgefährliche Situation zusammen. Letzteres konnte so heimlich, still und leise vonstattengehen, da ausländische Medienvertreter keinen Zutritt in West-Papua haben und selbst lokale Journalisten wie Victor Mambor, der im papuanischen Jayapura ein Medienunternehmen betreibt, immer wieder bedroht werden. Erst im April beschädigten Randalierer beispielsweise das Auto Mambors schwer.

In den vergangenen Wochen sollen lokalen Medienberichten zufolge hunderte indonesische Soldaten in die Provinz West-Papua entsandt worden sein. Unzählige Menschen sind aus Angst vor dem Militär aus ihren Dörfern geflohen. Auslöser für den militärischen Einsatz ist der Tod eines hochrangigen indonesischen Polizeichefs Ende April. Dieser kam bei einer Schießerei mit der sogenannten „West Papua National Liberation Army“ (TPNPB) Ende April ums Leben. Der Polizeichef war in der Region gewesen, um den gewaltsamen Tod von zwei Lehrern und einem Jugendlichen zu untersuchen, die die TPNPB mutmaßlich ermordet hatte, weil sie angeblich indonesische Spione waren. TPNPB kämpft für ein freies und von Indonesien unabhängiges West-Papua.

„Wir leben in einem Kriegsgebiet“

Der Tod des Indonesiers schlug in Jakarta hohe Wellen. Der indonesische Präsident Joko Widodo sagte lokalen Medien, er habe den Sicherheitskräften befohlen, „alle Rebellen zu jagen und zu verhaften“, während ein weiterer hochrangiger Regierungsvertreter, Bambang Soesatyo, sagte, sie sollten alle „zuerst vernichtet“ werden. Über Menschenrechtsfragen könne man später sprechen. Lanikwe, die Leiterin eines lokalen Frauenvereins, sagte dem Guardian, die Situation für die Menschen vor Ort sei inzwischen entsetzlich. In ihrer Region seien Tausende vertrieben worden. „Fünf Dörfer flohen in den Dschungel. Kliniken und Schulen wurden vom Militär übernommen. Soldaten sind überall. Wir leben in einem Kriegsgebiet“, berichtete sie.

In einem Aufsatz für das akademische Online-Magazin The Conversation schrieben drei West-Papua-Experten erst vor wenigen Tagen über ihre Sorge, dass die Gewalt auf der Halbinsel eskalieren und die indonesischen Soldaten mit unverhältnismäßiger Härte gegen die Menschen in West-Papua vorgehen könnten. Bereits 1977/1978 war es im Baliem-Tal und 1998 auf der Insel Biak zu Massakern an der einheimischen Bevölkerung gekommen.

Morde, Belästigungen und willkürliche Verhaftungen

Als Beispiel für die zunehmende Gewalt führen die Akademiker einen Vorfall aus dem Februar an. Damals war ein indonesischer Soldat von separatistischen Kämpfern im zentralen Hochland von Papua erschossen worden. Als die Sicherheitskräfte sich auf die Suche nach seinem Mörder machten, schossen sie bei der Befragung von Dorfbewohnern einem jungen Mann in den Arm und zerschmetterten seinen Knochen. Seine Brüder begleiteten ihn daraufhin in eine Klinik. Doch dort wurden die drei Männer laut einer der Ehefrauen angeblich gefoltert und getötet.

Die Agentur Reuters, die über diesen Vorfall ebenfalls berichtete, zitierte damals Ravina Shamdasani, eine Sprecherin des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte, mit den Worten, dass sie weiterhin „glaubwürdige Berichte über den exzessiven Einsatz von Gewalt durch Militär und Polizei“ in der Region erhalten würden. Darunter seien Morde, Belästigungen und willkürliche Verhaftungen. Nach Angaben von Amnesty International wurden zwischen Februar 2018 und August 2020 47 Fälle von rechtswidrigen Tötungen durch indonesische Sicherheitskräfte in der Region registriert – mit insgesamt 96 Opfern. Viele der Einheimischen, aber auch ausländische Beobachter, sind inzwischen der Überzeugung, dass sich in West-Papua ein langsam voranschreitender Völkermord abspielt.

Wirtschaftliche Entwicklung versus Nationalismus

Als wesentlichen Grund für die Eskalation des Konflikts nennen Experten die Politik des indonesischen Präsidenten Joko Widodo. „Er glaubt, dass die wirtschaftliche Entwicklung den papuanischen Nationalismus übertrumpfen wird“, hieß es in der akademischen Analyse bei The Conversation. Doch aus Jakarta anberaumte Projekte würden den Konflikt nur anheizen. Ein Beispiel dafür sei der Bau einer Autobahn, die das Innere von Papua „erschließen“ solle. Doch wo der Präsident wirtschaftliche Entwicklung sehe, würden die Einheimischen nur „mehr Soldaten, mehr Holz- und Bergbauunternehmen und mehr indonesische Siedler“ sehen.

West-Papua ist vor fast 50 Jahren von den Niederlanden im Zuge der Dekolonialisierung an Indonesien abgetreten worden. 1969 stimmten Repräsentanten West-Papuas im sogenannten „Act of free Choice“ zu, dass West-Papua weiterhin zu Indonesien gehören solle. Im Nachhinein kamen jedoch Gerüchte ans Tageslicht, wonach die Repräsentanten der Ureinwohner mit ihrem Leben und dem Leben ihrer Familien bedroht worden seien, damit sie für Indonesien stimmten.

Siegfried Zöllner
18. Juni 2021 - 16.33

Zunächst möchte ich mich vorstellen. Ich habe 13 Jahre in Westpapua gelebt und dort als kirchlicher Mitarbeiter (Missionar und Pfarrer) gearbeitet. Nach meiner Rückkehr nach Deutschland war ich beteiligt an der Gründung des Westpapua-Netzwerks mit Sitz in Wuppertal und bin bis heute Mitglied im Vorstand des Netzwerks (www.westpapuanetz.de). Seit fast dreißig Jahren beobachten wir die Menschenrechtsverletzungen und die unangemessene neokolonialistische Politik Indonesiens gegenüber Westpapua. Wir betreiben Advocacy bei unserer Regierung, bei der EU und beim Menschenrechtsrat in Genf. Zweijährlich veröffentlichen wir in Zusammenarbeit mit dem ICP (International Coalition for Papua) einen ausführlichen Menschenrechtsbericht. Ich habe Ihren Artikel mit großer Freude gelesen. Mit Recht betonen sie das öffentliche "Schweigen" über diesen Konflikt. In deutschen Medien gibt nur ganz selten Berichterstattung über diesen Dschungelkrieg, der im Grunde seit über 60 Jahren geführt wird und in all seinen Facetten auch Genozid genannt werden könnte. Die Wurzel des Konflikts liegt in der Durchführung des von Ihnen genannten Act of Free Choice 1969. Damals war den Papua ein freies Referendum versprochen worden. Heute fordern sie nicht anderes als die Wiederholung jenes Referendums, das ihnen "gestohlen" wurde. Die Papua gehören zu den besonders zu schützenden indigenen Völkern, mit ca. fünf Millionen eine letztlich hilflose Minderheit in Indonesien. Doch Indonesien ist vor allem an den reichen Ressourcen des Landes interessiert. Dieser Ausbeutung stehen eben die indigenen Volksgruppen im Wege und müssen so oder so beseitigt werden. Bildungs- und Gesundheitswesen für die Indigenen sind in katastrophalem Zustand, während für indonesische Zuwanderer alles getan wird. Nicht ohne Grund erschwert Indonesien den Zugang für internationale Beobachter und Hilfsorganisationen, wie Sie mit recht schreiben. Jetzt greift eine junge Generation zu den Waffen und führt einen hoffnungslosen Kampf. Eine Lösung kann es nur geben, wenn Indonesien bereit wäre zu einem Dialog mit Vertretern der indigenen Papua mit der Mediation einer dritten neutralen Partei. Diesem Dialog hat sich die indonesische Regierung bisher verweigert.