Es war ein sonniger Vormittag in Malmö. Die Straße belebt. Ein Mann näherte sich der jungen Frau. Direkt vor ihr richtete er eine Handfeuerwaffe auf sie und drückte mehrmals ab. Auch ihren Kopf traf eine Kugel. Dann verschwand er. Die Passantin Marylin Petterson versuchte noch, der auf den Boden zusammengesunkenen Frau mit einer Herzdruckmassage zu helfen. „Es war wie eine Hinrichtung. Alles war voll mit Blut. Sie hielt ihr Baby noch in einem Arm. Handy, Schlüssel und Geldbörse im anderen“, erinnerte sich eine Augenzeugin. „Der Vater saß zusammengesunken am Hauseingang und weinte.“
Im Krankenhaus starb die junge Ärztin und Mutter dann. Das zwei Monate alte Kind und der ex-kriminelle Vater, an dem man sich angeblich rächen wollte, blieben unversehrt.
Dies war einer der hässlichsten Schusswaffenmorde, die Schweden in den letzten Jahren erschütterten. Doch die Liste ist lang. So lang, dass das einst, auch dank sozialer Ausgewogenheit, friedliche Wohlfahrtsland mit sehr niedriger Kriminalitätsrate inzwischen die meisten Schusswaffenmorde in Europa zählt.
„Wie nirgendwo anders“
Dies ergibt ein neuer Bericht des staatlichen Kriminalitätsvorbeugungsrates (Bra). Der hat 22 europäische Länder für den Zeitraum 2000 bis 2019 verglichen. „Eine Steigerung wie bei uns sieht man nirgendwo anders. In den letzten 20 Jahren hat sich Schweden vom Schlusslicht zur Spitze bei Schusswaffenmorden bewegt“, so Klara Hradilova-Selin von Bra.
In acht von zehn Schießereien mit Todesopfern waren Kriminelle betroffen. Manchmal verirrte sich aber auch eine Kugel. So wurde eine zwölfjährige Stockholmerin in einem McDonald’s-Restaurant aus einem fahrenden Auto heraus tödlich getroffen. Die Schützen wollten eigentlich zwei ebenfalls dort sitzende Kriminelle treffen, die Schutzwesten unter ihrer gewöhnlichen Kleidung trugen. Bra vermute, dass es um Drogenhandelsreviere, rivalisierende Banden und mangelhaftes Vertrauen in die Stärke der schwedischen Polizei geht. „Warum Waffenmorde gerade in Schweden so angestiegen sind, können wir aber nicht definitiv erklären“, so die Bra-Analystin im TV-Sender SVT. Seit 2013 ist die Anzahl der jährlichen Feuerwaffenmorde deutlich angestiegen.
Laut einer Studie von 2018 sollen die Schießereien damit zusammenhängen, dass es zahlreiche kleine Banden mit noch sehr jungen Hitzköpfen ohne abgesteckte Reviere und klare Führung gibt wie in anderen Ländern.
„Das ist ein komplettes Missgeschick dieser und vorheriger Regierungen“, prangert der Chef der stimmenstarken Rechtsextremen, Jimmie Åkesson, die etablierten Parteien an und macht die umfangreiche Einwanderung von Nichteuropäern verantwortlich. Die seien unmoralischer und rücksichtsloser als ethnische Schweden, wie er in der Zeitung Aftonbladet behauptet. Rund 25 Prozent der schwedischen Bevölkerung sind Einwanderer oder Kinder von Einwanderern. 2000 waren es 15 Prozent. Die rot-grüne Regierung macht vor allem Armut, fehlende Integration und Perspektivlosigkeit in den Einwanderer-Gettos für die Bereitschaft junger Männer zum Eintritt in Banden verantwortlich. Die Ethnizität habe damit nichts zu tun, unterstreicht sie.
Wohlfahrtsstaat sanieren
Die rot-grüne Regierung will den durch massive Kürzungen eingebrochenen schwedischen Wohlfahrtsstaat sanieren, das Sozialwesen und die Schulen in Ghettos stärken. Denn viele junge Männer und inzwischen auch Frauen strömen aus Perspektivlosigkeit in die kriminelle Unterwelt und erfüllen Mutproben in Form von schweren Verbrechen.
Zudem setzt Innenminister Mikael Damberg auf mehr Polizisten und härtere Strafen. „Derzeit haben wir 1.000 Kriminelle mehr, die im Gefängnis sitzen“, betont er seine Erfolge im Vergleich zur Vorjahresperiode. Trotzdem gibt der Sozialdemokrat zu: „In gewissen Teilen Schwedens war der Staat nicht anwesend, die Polizei zu schwach und Kriminelle wurden nicht behelligt.“
Besonderes Aufsehen erregten im Herbst rivalisierende Banden in den Vororten von Göteborg und Stockholm. Sie lieferten sich mitten am Tag Schießereien auf offener Straße und richteten zuletzt gar Straßensperren mit bewaffneten Mitgliedern für ihre Reviere ein. Normale Autofahrer wurden in Göteborg angehalten und überprüft, bevor sie weiterfahren durften. „Unser Personal wurde gestoppt. Maskierte Männer, die Autos stoppen und mit Taschenlampen hineinleuchten“, beschrieb der Lokalpolitiker Johan Fält vom Bezirk Angered die Lage.
Um Bandenkriminalität mehr entgegenzusetzen, debattiert Schweden auch darüber, ob verurteilte Personen mit Bandenzugehörigkeit doppelt so hohe Strafen erhalten sollten wie Einzeltäter. Das ist so bereits im benachbarten Dänemark der Fall. Auch der geltende Strafrabatt für Personen unter 21 wackelt, seitdem Banden deshalb besonders junge Mitglieder für Morde einsetzen. Zudem erwägt Stockholm eine Kronzeugenregelung, wie es sie etwa in den USA gibt.
Auch Frauenmorde häufen sich
Es könnte an der Pandemie liegen. Immer häufiger kommt es in Schweden zu Frauenmorden. Meist durch den Partner. Gerade gibt es eine richtige Welle. Innerhalb von drei Wochen wurden fünf Frauen ermordet. Auch die Gewalt gegenüber Frauen soll sich gehäuft haben. Politiker versprechen mehr Hilfe für Frauenhäuser und andere Stützeinheiten. Schweden ist eigentlich das am meisten emanzipierte Land der EU. Dies stellt unter anderem der EU-Gleichstellungsindex seit 2005 fast jährlich fest. 2020 bekam Schweden wieder den ersten Platz mit 83 Punkten.
De Maart
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