Auf ihrer rezenten, von der internationalen Kritik hoch gelobten CD „Mysteries“ hat uns Sabine Weyer bereits drei Werke des französischen Komponisten Nicolas Bacri (*1961) vorgestellt. Und in ihrem Konzert vom 20. Mai, das im Rahmen der SEL-Camerata-Konzerte stattfand, spielte die luxemburgische Pianistin nun die Welturaufführung von Bacris Les quatres tempéraments – Quatre préludes et fugues pour piano op. 159. Bacri gehört zweifelsohne zu den interessantesten Komponisten der Gegenwart, gerade weil seine Musik keinen Modeerscheinungen folgt und er sich nicht in mathematischen Klangberechnungen verfängt. Vielmehr ist Bacri ein Komponist, der sich traut, sehr expressive Musik zu schreiben, die für den Hörer absolut verständlich, nachvollziehbar und erlebbar bleibt, und das trotz ihrer modernen Sprache.
Im Gegensatz zu der Musik vieler seiner Kollegen ist Bacris neuestes Werk, das sich auf die Bachsche Tradition von Präludium und Fuge beruft, trotzdem nicht vorhersehbar. Les quatre tempéraments setzt sich mit Hippokrates’ Lehre der vier Persönlichkeitstypen, genauer der „Viersäftelehre“, auseinander. Rotes Blut für den heiteren, aktiven Sanguiniker, weißer Schleim für den eher passiven, schwerfälligen Phlegmatiker, schwarze Gallenflüssigkeit für den nachdenklichen und traurigen Melancholiker und gelbe Gallenflüssigkeit für den leicht erregbaren und reizbaren Choleriker.
In vier eher kurzen Sätzen – Bacris Werk dauert insgesamt rund eine Viertelstunde – beschreibt der Komponist nachvollziehbar, aber dabei sehr persönlich, diese vier Typen und überrascht den Hörer immer wieder mit einer sehr individuellen, präzisen und vor allem spannenden Klangsprache. Sabine Weyer, mit Bacris Klavierwerk sehr gut vertraut, zeigt auch bei dieser Uraufführung, dass sie sich diese Musik wirklich zu eigen gemacht hat. Kein Zögern, keine Unsicherheit, keine leeren Momente oder Fragezeichen gibt es da; Weyer spielt Les quatre tempéraments mit Hingabe, viel Intensität und technischer Brillanz, sodass nach der Aufführung der im Saal sitzende Komponist hell begeisterten Applaus spendete. Sabine Weyer ist ebenfalls für ihre interessanten Programmkonzeptionen bekannt. Das Konzert in der Philharmonie lief unter dem Titel „Dialogue franco-russe“. Weyer begann ihr Konzert sehr gefährlich, und zwar mit Des Pas sur la neige von Claude Debussy. Dieses feine, sehr intime und fast zerbrechliche Prélude zwingt Pianist und Publikum ab der ersten Note zu allerhöchster Konzentration.
Weyer hat aber überhaupt keine Mühe, das Publikum auf ihre Reise mitzunehmen. Es folgen noch zwei weitere Préludes, La Fille aux cheveux de lin und La cathédrale engloutie, die alle die Pianistin als eine sehr feinfühlige Interpretin zeigen, die sich mit Debussys impressionistischen Farben sehr wohl fühlt. Es folgen einige Auszüge aus der Suite en Ré von Jean-Philippe Rameau, die Sabine Weyer ebenfalls mit größter Kompetenz interpretiert und die einen wunderbaren Übergang zu Bacris neuestem Werk darstellen. Bacri als Mittler zwischen französischer und russischer Schule, das weiß man inzwischen und man kennt seine Nähe zur Musik von Nikolay Miaskowsky, die auf dem Programm von Sabine Weyer auch nicht fehlen darf. Davor gibt es noch Auszüge aus Skrjabins 24 Préludes, ehe das Konzert mit Miaskowskys atemberaubend virtuoser 3. Klaviersonate abgeschlossen wird. Trotz dieses unkonventionellen Programms oder vielleicht gerade deswegen gab es einstimmige Begeisterung seitens des Publikums, sodass Sabine Weyer dieses Konzert mit einer grandios gespielten Debussy-Zugabe, Ce qu’a vu le vent d‘Ouest, zu Ende gehen ließ.
Primo la musica
Einen Tag später begegneten wir einem anderen hochtalentierten Pianisten in der Philharmonie, der ohne Zweifel auf dem Weg ist, einer der weltbesten zu werden. Saleem Ashkar ist vielleicht noch nicht so bekannt wie andere, aber seine Vita lässt auf eine große Karriere hindeuten. Der als Sohn palästinischer Eltern in Israel geborene Pianist wurde im Alter von 17 Jahren von Zubin Mehta entdeckt und arbeitet seither mit vielen führenden Dirigenten und Orchestern zusammen. Er setzt sich für die musikalische Förderung von Flüchtlingskindern ein, begleitet die im Herbst 2016 unter der Schirmherrschaft von Daniel Barenboim gegründete Al-Farabi-Musikakademie.
Zudem ist Ashkar Artistic Director des Galilee Chamber Orchestra, das aus Studenten und jungen Berufsmusikern besteht und zum Ziel hat, den Austausch zwischen jüdischen und arabischen Gemeinden in Israel zu unterstützen. Somit folgt er den Ideen von Barenboims East-Western Divan Orchestra. Zusammen mit dem OPL spielte er das Klavierkonzert von Robert Schumann und betörte dabei mit einem virtuosen, äußerst klaren und dabei sehr eleganten, mitreißenden Spiel. Ashkars feingliedrige Interpretation, die ebenso hochkarätig und genial war wie Krystian Zimermans Auslotung der Beethoven-Konzerte vor einigen Monaten in der Philharmonie, stand stilistisch dabei etwas im Gegensatz zu der vollmundigen Orchesterbegleitung unter Nikolaj Szeps-Znaider, was aber nicht störte.
Im Gegenteil. Ashkars perlendes Spiel und Szeps-Znaiders temperamentvolles Dirigat ergänzten sich vorzüglich, zumal das Orchestre Philharmonique du Luxembourg auf gewohnt hohem Niveau spielte. Wenn auch einige Konzentrationsprobleme das Orchesterspiel bei der folgenden 2. Symphonie von Johannes Brahms störten, so wird dem Publikum die mitreißende, musikantische und virtuose Aufführung noch lange in Erinnerung bleiben. Primo la musica, das war wohl Nikolaj Szeps-Znaiders Konzept, denn in der Tat ging es dem Dirigenten nicht um interpretatorische Spitzfindigkeiten, sondern einfach um eine lebendige, klassische Wiedergabe der Musik. Und da durfte es schon einmal recht laut werden; der Dirigent ließ den Musikern quasi freien Lauf, sodass alle Beteiligten sich zu einer völlig dynamischen, lebendigen und mitreißenden Interpretation zusammenfanden.
Nikolaj Szeps-Znaider auf den Spuren von Mariss Jansons? Die Zukunft wird uns seine weitere Entwicklung zeigen.
De Maart
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